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Nächtliches Lob der Vernunft

Ganze Systeme der höchsten, schärfsten, aufrichtigsten Vernunft aufwenden – nur um ein für alle Mal zu beweisen, dass die Vernunft trügt und alles Beweisen nichtig. Alle Philosophen eint eine ästhetische Vorliebe für das Geistige. Die „Irrationalisten“ sind wie Schneider, die die Schönheit des nackten Körpers als vollendete Form seiner Präsentation oder Lüstlinge, die die Askese verehren – als höchsten Gipfel der Erotik, ihre Werke nichts als dekadente Ausschweifungen, Ergüsse kranker, von Innen her an ihren Widersprüchen zu Grunde gehender Seelen. Doch gerade als Luxus und Perversion des Geistes sind sie der größte Triumph jenes Geistes, dem sie Leibesfeindlichkeit vorwerfen. Gegenüber den Traktaken der „rationalen“ Denker besitzen ihre Werke den Hautgout der Delikatesse, wirken jene fad und würzlos. Die geistigen Verächter des Geistes sind so seine wahren Märtyrer. Einmal mehr bestätigt sich, dass man den Geist bis zum Wahnsinn lieben muss, um ihn recht hassen zu können. Wie auch generell die tiefste und konsequenteste Form der Liebe der abgrundtiefe Hass ist. Gesundwerden heißt inkonsequent und langweilig werden – doch genauso inkonsequent und langweilig wären die Werke der „Irrationalisten“, wenn sie ihrer Lehre treu geblieben und dem Geist tatsächlich radikal jede Treue aufgekündigt hätten. Vielmehr: Sie wären gar nicht existent und ihre Autoren hätten womöglich ein furchtbar belangloses Leben geführt.

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