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Ungezügelte Gedanken zum JPMorganlauf und zur Galopprennbahn

Jedes Jahr findet in Frankfurt am Main ein Ärgernis, eine Dummheit, ein Triumph der Neo-Barbarei und des Neo-Faschismus statt. Im „teamwork“ läuft man für „charity“. Optimierung des Körpers harmoniert Selbst harmoniert mit Optimierung des Teams, der Firma, ja, dem gesellschaftlichen Ganzen. Alles wird immer besser.
Ich wüsste gern, wie viele Millionen Steuergelder jedes Jahr für diese lästige Idiotie verschwendet werden, wie viele Menschen aktiv und passiv belästigt werden, wie viele ehrliche Pendler und Studenten deshalb in ihren alltäglichen Bemühungen gestört werden im Sinne eines idiotischen Partikularinteresses, das sich zum unhinterfragbaren Universalen aufspreizt.
Konkreter ausgedrückt: Es müsste ein Bürgerentscheid gegen den JPMorganlauf und ähnliche Abscheulichkeiten und Entwürdigungen her. Doch dieser Bürgerentscheid wäre wohl der unpopulärste aller Zeiten, nur Verrückte und Ewiggestrige, solche, die die Zeiten der Zeit nicht erkannt haben oder gar gar nicht zu erkennen wünschen, wenn sie da mit tosenden Signalen am versammelten Volk vorbeitost wie ein ICE, würden ihn unterstützen und davon gibt es leider (noch?) nicht genug.
Ein anderer Bürgerentscheid findet dieses Wochenende statt. Meine Solidarität gehört den armen Pferden und den armen JPMorganläufern. Sie leiden unter ein- und derselben Krankheit. Man lässt sie schwitzen und leiden, man richtet sie ab zu niedrigen, inhumanen und sogar erst recht inanimalen Zwecken. Das freie Pferd ist ein wunderschönes Geschöpf, ein Sinnbild der Freiheit und des erhobenen Hauptes. Umso niedriger ist das Vergnügen an der Ausnutzung genau dieser stolzen Freiheit. Auch wenn selbst der freieste Mensch in ästhetischer Hinsicht dem unfreiesten freien Pferd bei weitem unterlegen ist – und darin liegt die Uranmaßung des Menschen: zu verhässlichen, was von Natur aus schöner und edler ist als er; der Mensch veredelt die Natur nicht zu sich hinauf, er zieht sie immer nur zu sich hinab (Ausnahmen bestätigen leider die Regel) –, muss man doch mit derselben Geste, mit der man das geschundene Tier betrauert den geschundenen Menschen betrauern, der hier lächerlich zu völlig nichtigen Zwecken verausgabt und vergewaltigt wird. Ja, es gibt einen „hohen“ Unterschied: Der Mensch verhässlicht sich selbst, er zieht sich – paradox genug – selbst zu sich hinab, obwohl er doch gerade das Wesen sein könnte, dass sich über sich hinaus wirft. Im JPMorganlauf kehrt dieser menschliche Drang zur Selbstüberwindung wieder als Karikatur sowie auch das Pferd in der Rennbahn oder vor der Kutsche noch entfernt seinen stolzen Großvätern aus den Weiten der Steppe gleicht. Allerdings bin ich mir, wenn ich mir die keuchenden Deppen ansehe, nicht sicher, ob sie diesem Begriff von Humanität gerecht werden und man ihnen wirklich mehr Verantwortung für ihre Lage zusprechen soll als dem Pferd in der Galopprennbahn. Das ist ja ihre – ganz moralisch gesprochen – schuld, dass sie die Verantwortung besitzen doch unverantwortlich verfallen lassen aus reiner Dummheit und – bestenfalls – reinem Opportunismus. Sicher werden auch ihnen die Scheuklappen aufgezwungen, doch … Gut, lassen wir das „doch“: Wir sprechen ihnen einen Rest Menschlichkeit nur aus Höflichkeit zu und gehen zum nächsten Fall über.
Da will man also die Galopprennbahn abreißen und – anstatt den JPMorganlauf zu sabotieren – wollen selbst linksradikale Freunde von mir sich diesem Vorhaben anschließen. 80 % von ihnen sind Vegetarier oder gar Veganer, das sei hier nur notiert. „Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie Du den Schmerz.“ Das ist mir von Kindheit an eingebläut worden und man tadelte mich, als ich in kindlicher Grausamkeit eine Schnecke mit Salz bestreute um zu sehen, was passiert und lobte mich, als ich mich um einen kranken Vogel kümmerte. Aus diesem Geist heraus bin ich Vegetarier geworden. Und aus diesem Geist heraus sehe ich klar, dass dort in der Galopprennbahn Tiere aus demselben kindischen Bedürfnis, aus dem ich die arme Schnecke mit Salz bestreute, malträtiert werden – Tiere gar von weitaus größerer Schönheit und zweifellos weitaus tieferem Schmerzempfinden –, dass es im Verhältnis dazu noch moralisch besser ist, wenn man ein Schwein kurz und schmerzlos schlachtet aus dem Bedürfnis nach Nahrung heraus. Wenn man Vegetarier nicht nur aus derselben Dummheit und demselben Konformismus wie die JPMorgan-Läufer, die man sonst verachtet, heraus ist, dann könnte man schon allein deswegen unmöglich für den Erhalt der Galopprennbahn stimmen.
Der Reitsport wird bis heute dominiert von Reichen, von „Bonzen“. Es ist eine andere Art von „Bonzen“ wie die, die hinter dem JPMorgan-Lauf stehen, doch es sind und bleiben „Bonzen“. Mit primitiven demagogischen Parolen und Halbwahrheiten versuchen sie, die unzufriedenen und zukurzgekommenen dieser Stadt auf ihre Seite zu ziehen. Sicher auch viele derjenigen, die den JPMorgan-Lauf und die Lebensunart, die er repräsentiert, zum Würgen finden.
Für diese Lebensunart steht auch das neue DFB-Zentrum. Ich gebe es zu: Ich hasse den DFB inbrünstig und auch im Namen des Fußballsports erfreut man sich an der Qual und Abrichtung von Menschen, an denselben Werten, für die der JPMorganlauf steht. Doch beim Profifußball kommen immerhin keine unbeteiligten Zivilisten zu schaden und ich finde es bigott, sich jedes Wochenende begeistert die „Eintracht“ zu geben und dann gegen das neue DFB-Sportzentrum zu stimmen.
Man verstehe mich nicht falsch: Ich hasse den DFB wirklich zu sehr, um für ich zu stimmen oder gar zu seiner Unterstützung aufzurufen. Ich bin in der Hinsicht konsequent, da mich Fußball auch schlicht ebenso wenig wie der Reitsport interessiert. Ich werde daher diesen Sonntag einfach nicht zur Wahl gehen. Ich wäre dafür, dass man das Areal in einen schönen großen Park für Arbeiterfamilien, biertrinkende Hartzer und Rentner, händchenhaltende Liebende, Hundebesitzer, nachdenkliche Spaziergänger und von mir aus sogar Jogger umfunktioniert. Von mir aus sogar welche, die für den JPMorganlauf (den ich zu akzeptieren bereit bin so wie ich AIDS und Darmkrebs akzeptiere als Geiseln der Menschheit). Man könnte die armen alten Reitpferde hier aussetzen und ihnen eine letzte Heimat geben, die wenigstens ein Weniges an die große Freiheit der Steppe erinnert. Die Kinder würde es freuen und die Menschen könnten so auch selbst etwas von ihrer Urfreiheit, um die sie betrogen wurden, wiederentdecken. (Es gibt keinen erhabeneren Anblick als den eines freien Pferdes – doch um die zu sehen, darf man gerade nicht in die Galopprennbahn gehen.)
Aber diese Option steht nicht zur Wahl. Wieso schafft man sie nicht, indem man das Areal besetzt anstatt sich zu nützlichen Idioten der Tierquälermillionäre von der Galopprennbahn zu machen?
Der DFB will anscheinend wenigstens einen Teil des Areals in diesem Sinne der Öffentlichkeit freihalten, daher finde ich seinen Plan sympathischer als die Galopprennbahn. Doch auch damit werden mich diese Idioten nicht ködern genauso wenig, wie mich die Idioten von der Galopprennbahn ködern werden.
Es muss immer einen dritten Weg geben zwischen alter Barbarei und Neo-Barbarei und aus dem Ekel vor der Neo-Barbarei darf nicht automatisch die Verteidigung der alten gefolgert werden.

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