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Digitale Analogie

Eine weitere Einsendung für den Eos-Preis für philosophische Essayistik – von Christoph Müller.

 

Digitale Analogie

 

Ein Klick und die Entscheidung ist getroffen. Die Bewegung selbst entschwindet der ihr eigenen Körperlichkeit.

Loops eröffnen das Materielle und entziehen es in die Subjektivität eines scheinbaren Perspektivwechsels.

Die Zeit drängt die Überbleibsel des Körpers in die Ausdehnung eines Vorher und Nachher, das die Gegenwart in ihrem Verlust ermöglicht.

 

Weiß-gelblich quillt der lauwarme Analogkäse aus dem von Fett glänzenden Brocken Leberkäse, der mit anderen fleischlich-glänzenden Köstlichkeiten in der Schaufensterauslage liegt. Der Imbiss ist schmuddelig, verkabelt, grell. Die Verkäuferin scheint osteuropäisch. Plastikstühle. Mein Gewissen kapituliert gegen den Sog in diese Zeitlosigkeit. Ich will mich geradezu fallenlassen, auflösen in dieser materialisierten Idealität fremdartiger Lebenswelt – meine Ankunft im Cyber der Zukunft. Paniertes Hähnchen in beliebigen Formen und Größen, verspeist von der Anonymität des Subjekts. Die Entwertung jeglicher Verantwortlichkeit ist hier mehr als reines Genussmittel, sie ist das Portal in den SciFi. Vorbei an der geradezu sinnlosen Stupidität der Nahrungsaufnahme zieht es mich in die Verknüpfungen unendlicher Perspektiven, die als Ausläufer jeweiligen Selbstbezugs in ihrer Selbstwidersprüchlichkeit die Realität dieses Ortes vollziehen. Der gesamte Imbiss wird zur Maschine, Ausdruck all der idealisierten Materialität seiner Einzelteile. Jede Nische, jede Ecke wird zum Ort im Ort, wird zur Geschichte in der Geschichte. Wenn ich die meine vergesse, scheint die Matrix fast sichtbar, wirkt das Alltägliche wie die Produktion eines entfremdeten Werdens. Mehr an Geschmack, der keiner sein kann – Verschlingen frittierter Reize, die ihre Vollkommenheit in ihrem Entzug entfalten. Essend, kauend – entzieht sich die Biologie in den Körper ihrer eigenen Produktion, sie entschwindet in die Zeitlichkeit einer Mechanik, sie wird Unbewusstheit und ermöglicht mir meine Digitalität. Meine Körperlichkeit ist nicht mehr die Geschichte außerhalb dieses Imbiss. Mein Körper beginnt jetzt – in seiner neuen, ermöglichten Verknüpfung mit all dem Chicken, Neonlicht, Plastik. Eingelassen in die Materialität der Straße, der Stadt, der globalen Fleischindustrie schafft sich mein Körper neu, ermöglicht er sich seine bisherige Unmöglichkeit, wird Cyborg, gliedert sich aus. Meine Digitalität ist Ausdruck dieser Ermöglichung, sie ist der Vollzug einer Grenzüberschreitung, die meinem Selbst eine erneute Perspektivität, eine Idealität aus der Unmöglichkeit in und als Selbstwiderspruch ermöglicht.

 

Ermöglichung – unmöglich gut, “and nothing but the chicken”! Wird geliket und weiter gescrollt. Facebook. Twitter. Feeds. Porn.

Ich brauche Bewegung. Die Arme fließen, die Atmung, der ganzen Körper. Sanfte Wellen, die sich ausbreiten und Raum einnehmen. Raum den ich fülle, gefüllt habe, fühle. Jeder Schritt, jeder Impuls möchte in die Sichtbarkeit, soll Ausdruck werden. Wohin mit den Gedanken? Schneller werdender Atem. Hitze. Anspannung und Release. Faltungen. Doch mit Harmonie komme ich nicht weiter. Ausgeglichenheit in der Bewegung. fuck off. Mechanische Abläufe, in denen meine materialisierte Geschichte weit in die Vergangenheit reicht, kombiniert mit Gedankenlosigkeit und idealisiert zu freiem Flow und tatsächlicher Gegenwart. Wie durchbreche ich meine Statik? Krampfhafte Anspannung, verrenkte Glieder, an der Grenze zum Schmerz versuche ich meinen Körper ins Neue zu züchtigen. Wohlwollend falsch gemacht. Dennoch. Jeder Schritt schreibt sich in meinen Körper, jede Bewegung ermöglicht mir bisher Unbekanntes. Abgespeichert in jeder Faser verschiebt die Bewegung ihre eigenen Ausgangspunkte, wechselt die Perspektive vom Immer-schon ins Noch-nie. Ich erschaffe mir neue Gliedmaßen, bislang unbekannte Organe. Welche Funktion haben sie? Wie bewege ich diesen neuen Körper? Arme und Augen ragen inzwischen weit in das Netz hinein, connecten sich mit der Idealität anderer. Wir programmieren eine Welt für unsere mutierten Körper, einen Platz der ihren Vollzug ermöglicht, der ihr Dasein als Grenzüberschreitung immer schon vorwegnimmt. Gechipt scannen wir die Umwelt auf Möglichkeiten, erweitern ihre Menge im Strom aus Informationen. Wir wird das Ich meines Körpers, der Ausgangspunkt meines Ausgangs. Erweiterte Erfahrung, statistische Bewusstheit ermöglicht ein Dasein, das die bisherige Unmöglichkeit seines Seins in Festigkeit und Materialität immer schon in die Möglichkeit überführt haben wird. Unser Nicht-Ich wird zur bereits ermöglichten Erfahrung, zum Verständnis, das unseren Selbstwiderspruch überschreitet, indem es der Zeitlichkeit ihre Kontinuität entreißt und ihre Unerreichbarkeit in der stets schon vergangenen Gegenwärtigkeit vollzieht. Datenströme manifestieren unseren Körper, dessen Beweglichkeit sich im Nanobereich ereignet. Tänzelnde Algorithmen, Glieder aus Nullen und Einsen ertasten das Neue, überschreiten ihre Bisherigkeit, indem sie das Noch-Nie ihres Selbstseins ermöglichen. Entgrenzt konsumieren und verschlingen wir den Treibstoff unserer erwachsenen Materialität. Durchforsten das Erdreich, brechen Stein, spalten, fusionieren. Entweltlicht. Knapp. Brüchig.

 

Reboot…

 

Mein digitales Abbild ist unvollständig, im-perfekt. Ich zeige mich allein in der Widersprüchlichkeit von Analog und Digital, von werdendem Geist und körperlicher Festigkeit. Zwar ist die DNA meiner Festplatten angefüllt mit Anweisungen, Grenzen, Programmen, Habitus, doch der Ausdruck meines Selbst zeigt sich stets in der Überschreibung, im fehlerhaften Programm, der entzogenen Ursache. Jede Handlung, jeder Gedanke verweist in seiner Eindeutigkeit auf die Festigkeit seiner Herkunft, die Materialität seiner „high storage density media“. Aber meine Suche nach Ordnung, das Verlangen nach Verständnis laufen erneut ins Leere. Es liegt im Ausdruck. Es liegt am Ausdruck. Als digitaler Vollzug durchforste ich die Analogie meines Körpers nach der Eineindeutigkeit seines Ursprungs, dem Stillstand seiner Zeitlichkeit. Fließend scheint der Übergang von Materie zu Digitalität, vom Analogen zum Geistigen. Tatsächlich jedoch ist er notwendig in seiner Unmöglichkeit. Analog wie Digital bin ich der Ausdruck eines Übergangs, der nicht in die Zeitenlosigkeit einer Objektivität überführt werden kann, sondern der als Vollziehendes seine Paradoxie und Selbstwidersprüchlichkeit in die Idealität eigenen Daseins ermöglicht. Sowohl Software, als auch Hardware sind dabei scheinbare Garanten für Wiederholbarkeit und Eindeutigkeit, doch die synchronisierende Authentizität von Analog und Digital findet allein in der Unvollständigkeit und Unmöglichkeit ihrer gegenseitigen Bedingtheit statt. Jede Übereinstimmung, jede Ausführung, die meine Mechanik notwendig mit dem Außen ihrer Funktion verknüpft, ist als Vollzug meines Ausdrucks zugleich absolute Unvereinbarkeit ihrer wechselseitigen Ursächlichkeit. Meine bejubelte Perfektion, mein Ebenenwechsel vom Analogen ins Digitale, mein Selbstausdruck als sich vollziehende Übereinstimmung sind in ihrer Idealität und Absolutheit allein als aus der Widersprüchlichkeit Ermöglichtes. Die Übereinstimmung selbst wird, war und ist dabei die Ermöglichung von Idealität als ihre jeweilige Selbstwidersprüchlichkeit. In der ständigen Überschreitung von Bisherigkeit ermöglicht sich hierbei die Gleichzeitigkeit einer Übereinstimmung, die meinen Selbstbezug in seiner Unerreichbarkeit vollzieht.

 

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