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Das Ich als Spalt der Welt

Hier ein zweiter nicht preisgekrönter Beitrag des Eos-Preises 2019 als Gastbeitrag von Lukas Nagel.

Das Ich als Spalt der Welt. Über die Unmöglichkeit, man selbst zu sein

Als Antwort an HARP und die Thumm-Stiftung, ob es personale Authentizität geben kann und ob sie erstrebenswert sei

Das was ich weiß – das wie ich lebe – das Wesen unsrer Zeit – wie passt das zusammen (Denken als Verbindung der Welt(en))?!

Die Frage wurde danach gestellt, ob ich mich selbst kennen und danach ich sein kann, und ob das überhaupt wünschenswert ist. Ich führe in meine Position dazu ein, dass

  1. Ich mich selbst nicht kennen kann (danach also auch nicht leben kann), sogar diese Unkenntnis selber bin
  2. Diese Vorstellung politisch gefährlich ist und zur Unterdrückung der Kinder durch die Erwachsenen gehört
  3. Aber trotzdem diese Frage wichtig ist, mir den Anfang allen ernsthaften Denkens bedeutet – wie man jenseits des Identitätsprinzips leben könne – ob ich absolut frei sein kann, auch und gerade von mir selbst.

Die Antinomie der Identität: Ich kann mich nicht kennen und doch denke ich mich immerfort mit

  1. Was immer ich denke, mir einfällt, ich tue und bemerke, bin ich. Ich kann schließlich nicht sagen: dies bin ich nicht; ohne zu sagen: dies bin ich – nicht. Aber das Seiende ist. Ich kann vor mir nichts verleugnen, ich bin mir alles und eben darum nichts nicht, und unzertrennbar Eines.
  2. Aber darum bin ich mir eben auch Nichts, da das nichts sagt. Was heißt es, dass ich alles bin? – So bin ich doch bloß die Beliebigkeit reiner Phantasie, ein Nichts, ja das Falsche – wie aus Falschem Beliebiges folgt, und in ihren Folgen alles Falsche dasselbe, nämlich das Ganze, ist – auf welche Art man auch zurechtstellen kann, dass das Seiende ist: Auch das Falsche ist, nur eben nicht als wirkliches Falsche, sondern als Horizont der Möglichkeit des Wirklichen. Das Falsche ist das Sein, und das Sein bin ich selbst. Ich bin beliebig, eben weshalb ich mir die ganze Welt bin.
  3. Aber nicht einfach bin ich mir die Welt. Ich weiß ja nicht mal, was das nur heißen soll. Was also bin ich? Was ist das Sein? Oder bin ich gar mehr als alles Sein? – Ich muss überlegen, was Wesen hier heißen kann: Wesen einer Sache, sofern ich sie denken kann, ist, was sie von andern unterscheidet, ist, was sie ist. Aber ich kann nichts denken, ohne zu denken; sofern kann ich nicht denken, was gerade außer mir, außer meinem Horizont ist, und kann somit mein Wesen niemals fassen. Aber auch das geht nicht weit genug, weil ich so ja die Eigenschaft vollkommener Ganzheit als verstandene, als ganze denken würde, wozu ich ebensowenig ein Recht habe, da ich dann ja ein teilweises Ich denken müsste, um es als falsch anzuerkennen, was ich natürlich nicht kann. Ich bin mir immer schon ich selbst, und zu sagen, ich sei in der Sprache eingesperrt etc., ist darum ebenso unsinnig, da ich mir ja die Freiheit davon nicht denken kann, weil ich sie dazu eben denken müsste. Insofern erscheint dann diese Gebundenheit im Denken selbst als Offenheit, oder als Unmöglichkeit und Unnötigkeit, mich je zu kennen, auch wenn ich weiß, dass ich immer so sein werde, wie ich bin – ein Unbestimmtes, sich selbst offenes Ganzes aller Welt.
  4. Aber wie kann ich das dann wiederum von mir sagen? – Ich bin darüber nun verwirrt. Es erschien mir richtig, was ich schrieb, und doch untergräbt es selbst meine Möglichkeit, auch nur so zu reden und zu schreiben. Aber das gilt doch genauso für diesen letzteren Satz! usw… – Die Auflösung besteht darin, dass ich in einem Zirkel gefangen bin, der ein und dieselbe Bewegung ist. Was ich von mir nicht kennen kann, ist diese meine innere Denkbewegung selbst; aber ich suchte nach meinem Wesen, nach dem, was ich wirklich bin. Insofern kann ich versuchsweise vorschlagen: Mein Wesen ist gerade jene Suchbe-wegung, ist meine eigene Unklarheit über mich selbst. Ich bin, dass ich nicht weiß, was ich bin; das Wesen des Seins ist die Seinsfrage (hier gerade auch intransitiv verstanden).
  5. Aber ich bin mir nicht nur Sein, sondern in dieser Frage ja auch ebenso Seiendes. Ich frage also, ganz klassisch, nach dem Sein des Seienden, meine damit aber mein Ich im Ich des Denkens; den Denkenden im Denkakt (νους εν τω νοηματι). Insofern aber bin ich in mir selbst zertrennt, und also nicht wirklich Sein (als verständliche Gedankenwelt/Realität und Traum-universum), sondern Zerrissenheit und Spalt von Sein und Welt, oder die ontologische Differenz als lebendige Tat – das Reale, was aus aller Realität fällt, sich dann aber als ihr innerster Kern, ihr Sein, herausstellt (exsistîscit, -ito! – δε iam ex-statum’st γε…). (Auf ähnliche Art wie auch Körper und Geist, oder Gedanke und Denkakt, einander je Sein und Seiendes sind und das Ich nur die jeweilig sie auf Distanz haltende Trennung, in der ich eben nicht Körper bin oder Seele, nicht reine Tathandlung oder bloße Traumwelt/Persönlichkeit etc., sondern gerade nur deren Unmöglichkeit, sie je zur Deckung zu bringen).
  6. Aber was ist im Denken nun mehr als Gedanken? Ich kann kaum anders antworten als nur: Falschheit, Negation, Was-es-nicht-ist (Limitation/(Un)Endlichkeit), Scheitern. Mein Denken ist das sich bewußtwerdende Scheitern des Ausdrückens der Unausdrücklichkeit des Ausdrucks selbst – meiner selbst, meines Denkens und Denken-Wollens. Inwiefern aber will ich also scheitern – und was heißt es dann, denken zu wollen? Was ist der Wille selbst, wenn er nichts ist als dies Versteckspiel des Verleugnens seiner, bei gleichzeitigem Wissen um dessen Unmöglichkeit? Welcher Sinn, welcher Geist und Witz ist dahinter?
  7. Ich will dieses und jenes, weiß aber schlechthin nicht, warum. Ich weiß nur, dass ich im Verleugnen meines Willens diesen selbst bestärke, dass darin eine Denkkraft liegt, die solchen Willen, solche Motivation benötigt, dass die Gewolltheit zu leugnen nichts anders wäre als lächerlichst gewollt. In diesem Sinne aber ist sie gewollt: dass das Spiel kein Spiel mit anderm ist, sondern nur an sich selbst, d.i. als leeres Wort. Ich will schließlich wissen, was das heißt – nichts wissen zu wollen. Aber zugleich will ich dann doch auch nichts wissen; aber dies weiß ich. – Hier ergeben sich unzählige Widersprüche, in deren Tiefe ich bei weitem noch nicht alles gefunden habe. Nur dies weiß ich sicher: Dass Philosophieren eine Verlegenheit ist und ein Wesen aus der Verzweiflung; dass ich sogleich nicht wirklich weiß, was ich will, ich dies aber doch wiederum denken und wissen will, also der Wille selbst an sich negativ ist – dass ich will, nicht zu wissen, was ich will!; und dass ich diese ganze Frage für solcherart absurd und witzig halte, dass es dagegen viel zu kleinlich ist, sich an irgendeinem Sinn oder eine Bestimmung festzuhalten, die doch in solchen Gedanken ohnehin verrinnen muss. –

Wenn man ein theoretisches Resultat verlangt: Mein Denken hat keine konstitutiven oder regulativen Transzendentalien, da ich für solche mein Wesen schon kennen müsste, was mir aber gerade verschlossen bleibt oder Verschlossenheit ist (ja nur so gedacht werden kann). Reale Transzendentalien sind luditiv, spielerisch, und damit Ausdruck der höchsten Verzweiflung des Denkens; cogito ergo sum – ich verzweifle, und nur eben darum lebe ich! (man beachte das Intensive im Denken – cog-it-o, ich bedenke immer wieder…) – Im Spiele des verzweifelt sich zu fassen versuchenden Denkens ist der Wille darum nichts als der Witz der Zeit, oder der lebendige Geist als die Träne der Welt (in deren Weinen die Anmut der Schönheit des Nicht-Wissens und Nicht-Wissen-Wollens beschlossen liegt, so die Kuscheltier-Götter in ihrer Niedlichkeit (her)lachen mögen).

Die Dialektik der Gegenwart: Man meint sich sicher zu kennen, und doch ist man dessen Gegenteil.

Nun ist dies nicht allein eine inhaltliche Position, sondern sogleich eine historische. Insofern Philosophie ein Ausdruck einer gewissen Verlegenheit und Verzweiflung ist, drückt sie immer einen Gegensatz aus, der sich bei mir in der Position des kindlichen Denkens befindet – und damit auch ein Reiz zum Suchen ist, aus Absurdität wie aus der Gefahr unserer Zeit. Über alle Systeme hinaus erstrahlt die Komödie der Identität als der unbelachte Witz der Welt; und mein Schreiben ist dagegen nur ein Lachen der Welt – vielleicht nur um der Schönheit der Träne und des Niedlichen willen.

1. Akt: Der Erwachsene

Der Erwachsene behauptet, in seiner Person Kultur und Zivilisation, eine ganze Welt darzustellen. Er ist die erste auftretende Figur des Selbstbewußtseins in der Geschichte (der Welt wie des Einzelnen – kindhaft ist aber nur sein Ideal, was als Ideal auch sehr achtenswert ist – wenngleich unerfüllbar). Er hält dabei eine gewisse Erfahrung des Lebens für das Lebens selbst, einige Werte für den ganzen Sinn, und übersieht damit den ganzen Widerspruch des Willens, den Abgrund, der ich bin, will ihn vielleicht sogar übersehen, um Harmonie und Einordnung in die Welt fordern zu können, um Unterwürfigkeit als Demut und nicht als Schwäche oder Dummheit verkaufen zu können, um also – so arrogant ist letztlich die Vorstellung der erwachsenen Bescheidenheit – Vorbild und Herr aller Welt zu sein. (Hierin liegt die Macht der Idee der Identität, wie sie bis heute allenthalben politisch benutzt wird.)

2. Akt: Der Jugendliche

Als Jugendlicher tritt nun ein Gegner der erwachsenen Ordnung auf, der keine Ablehnung alles Alten nach den alten Idealen vertritt (wie bei noch politisch-humanistischen Bewegungen bis in die 60er), sondern gegen diese Art der Zivilisation überhaupt ist: Der Erwachsene setze sich ein Ziel, das er nicht einhalten kann, eine starrsinnige, künstliche Identität, der er zuwiderlebt, und behaupte Teil einer Welt zu sein, deren Ideal doch dem Leben selbst und der Freiheit, als Pflichtidee und Rollenvorstellung, völlig fremd ist. Der Jugendliche setzt dagegen das Ziel eines echten Lebens und der Menschlichkeit, einer authentischen, eigentlichen Lebensweise und das wahre Ich – Dabei übersieht er, dass das falsche hier nicht nur der Inhalt ist, sondern diese Idee der Echtheit selbst, die keine Vorstellung erfüllen kann.

Darum ist seine Kritik entweder leer (er fordert ebenfalls unmögliches, und scheitert an sich selbst) oder inkonsequent, indem er eine neue Identität ausbildet, und behauptet, sie wäre nun echt, wenn auch sie es nicht sein kann. Er hat recht, dass der Erwachsene nicht er selbst ist; er aber ist es auch nicht, und wird lächerlich dadurch, dass er die richtige Affirmation des Erwachsenen (dass Zivilisation doch auch zum Leben gehöre) ablehnt, anstelle der Arroganz, mit der sie vorgetragen wurde – und noch mehr, indem, da die Jugend so statt eine Freiheit zu ermöglichen in Gruppen zerfällt, die sich je für die eigentliche Menschheit halten (also gleichfalls neue Erwachsenheiten sind), nichts als endlosen Streit erzeugt, und jede Seite für sich glaubt, die Wahrheit über das Leben zu besitzen (d.h. die Jugend wird zur neuen Metaphysik des Lebens, zu Tradition und Esoterik der Cliquen).

Sie dreht sich im Kreis, wird zur Erwachsenheit, die sie kritisierte, erzeugt aber einen Zweifel an ihr, zerstört eine gewisse Identität, bis schließlich keine bleibt; vor allem aber zerstört sie den falschen Schleier einer erwachsenen Starrsinnigkeit, die sich als Ernst ausgibt. In der völligen Ironisierung fällt er somit mit dem Erwachsenen zusammen, ermöglicht aber eine Jugend der Jugend, eine Selbstkritik des Identitätsdenkens – die Voraussetzung auch dieses Textes – und ist insofern doch absolut notwendig, dem erwachsenen Denken auch darin voraus, dass ihre Falschheit reflektierte ist.

3. Akt: Das Kind

Das Kind erscheint als letzte Person dieser Geschichte (als Überwindung meiner Geschichtlichkeit wie der Geschichte der Welt überhaupt) – die puerilitas perennis erscheint als Idee erst am Ende der Geschichte, ähnlich wie die zeitweise Kindheit als Kompromiss erst im 18. Jahrhundert. Sie entsteht in einer Welt, die heute zwischen Tradition und Jugend aufgeteilt ist, und dabei beide Seiten fast zusammenfallen. Sie erfüllt den Anspruch der Jugend auf Kritik, und den der Erwachsenen auf Ernst, denn sie macht mit der jugendlichen Kritik zum ersten Mal ernst und richtet sie auch gegen die Jugend. Sie erkennt die geheime Übereinkunft beider Seiten im Identitätsideal, in der Trennung von Ernst und Albernkeit (dem Unwillen, ihre Einheit im Spiel und Witz anzuerkennen), und in der Haltung zur Welt. Sie ist Lachen über den unsinnigsten Versuch, Erwachsenheit allzu erwachsen überwinden zu wollen (auch wenn sie den Versuch lachend anerkennt). Sie behauptet die beiden Seiten in ihrer Wahrheit, nämlich in ihrer Einheit. Um es in der Art des ersten Anfangs auszurufen: Die lachende und weinende Träne ist ein und dieselbe! – Authentisch bin ich nur im Lachen über die Authentizität selbst. Sie fasst die Identitätskrise als Komödie des Selbst, bestimmt damit eine komödiantische Epoche (als Vollendung und Ende der Lebenskunst) – die ich selber bin. Ich bin keine persona, sondern nur γελως personae, oder die Träne, deren Lachen Geist einer Wirklichkeit werden kann.

Damit überwindet sich diese Epoche aber zugleich: Auch Kind bin ich nicht selbst, nicht als Selbst. Mein Gelächter ist das Epische – ja mehr noch: das Niedliche. Damit kehrt es zu den ältesten Ursprüngen zurück – die Niedlichkeit der Götter, die als Statuen schon Kuscheltiere waren – und doch weit über sie hinaus: zur Göttlichkeit des Kuscheltiers nach aller Geschichte, Freiheit des Traums und der Welt. – Trotzdem aber bin ich mit der Frage, was ich bin, immer beschäftigt, weil ich sonst auch meine Zukunft verliere. Gerade nur im Schicksal bin ich Kind, frei, bestimmungslos. (Sonst wäre ja Freiheit wiederum allein bestimmend, und nicht eine geschichtliche Entscheidung – wie es etwa Sartre gut-humanistisch behauptete.) Wie aber soll ich mir so ein Schicksal je vorstellen? Wie kann ich in der Welt jenseits von ihr sein?

Ich muss eingestehen, dass ich über diesen merkwürdigen Witz, wer ich denn sein soll, wohl viel gelacht, aber nichts verstanden habe, denn ich denke immer noch in denselben Worten, muss sie also nochmal bedenken. So wie ich nur als Erwachsener Kind werden konnte – und es nur Ziel der Philosophie ist, die Kindlichkeit zu lernen, zu spüren, aber dies immer nur als späte Sicht auf verfallene Ideale (Mondenschein des Platonismus) – so kann ich nur durchs erwachsene und jugendliche Denken hindurch die Wahrheit finden, die ich suche, um auf diese Frage antworten zu können. Somit wird aus der historischen Polemik eine inhaltliche Aufgabe und der Anspruch, das Wahre im Schutt der Geschichte zu finden.

Vom Ich zum Etwas und jenseits, zur Tat – oder wie das Denken über die Freiheit des Seins zu ihr werden kann

Mit der kindlichen Kritik am Identitätsprinzip ist eine Antwort vergangen, aber doch nicht die Frage worauf sie sich bezog. Wie ich leben und frei sein kann, bleibt hier, als offene Frage, gerade noch das wichtigste, nur eben nicht mehr als eine einfache Antwort, sondern als verzweifelte Suche nach einem Entsprechen zu einem unbekannten Ziel, der Freiheit (aus dem Abgrund heraus, dessen Träne jene Sprache war und ist – das Weinen der Stille, die niemals stillt…)

Das erwachsene Denkens antwortete ja mit einer Art des Wissens – der absoluten Selbstgewissheit, im Bewußtsein der eigenen Herkunft (Lebenswelt), Identität und Endlichkeit – und ich muss ja nun auch erst versuchen zu verstehen, was Leben jenseits der Identität heißt, also auch Herkunft, Präsenz und Sinn meiner Erlebnisse bestimmen. Nachdem ich zum Etwas, dem konkreten Erlebnis, gekommen bin, versuche ich zuerst, seine Herkunft zu verstehen, es zu erklären; ich finde in dieser Analyse bestimmt vieles – Lebensdaten, Naturursachen, persönliche Absichten, Schicksalsschläge usw. – aber es bleibt alles rätselhaft, denn ich versteh das nicht, was mir gerade der Grund der Erlebnisse ist – dass etwas erscheint. Wie kann eine Sache, etwas solches tun – ohne nicht im Scheinen eine andere zu werden (ohne dass Etwas und Tun sich umkehrt)? – Ich stoße auf einen Widerspruch, und ich kann letztlich nur den Zusammenstoß aller Begründungen erleben, wenn etwas erscheint – die Analyse führt in die Phänomenologie, die bloße Erscheinung. Ich kann dies Wunder natürlich viel beobachten, und ich finde auch wirklich alles – bis auf die Wahrheit, denn die erscheint nicht bloß so, sondern nur im Denken. Wenn ich verstehen will, was wahr ist (wenn ich also überhaupt verstehen will), führt die Phänomenologie also von selbst zur Frage, was die Erscheinung eigentlich wirklich ist, d.h. zur dialektischen Untersuchung (die nicht mehr wie die Analyse auf die Erscheinung zu-, sondern von ihr wegführt). Hier wird nun jeweils in einer Sache nach ihrer Wahrheit gesucht, und dann nach der Wahrheit dieser Wahrheit – so komme ich vom Eindruck zum Symbol, und dann irgendwann (nach weiteren Schritten) zur mathematischen Idee, zur Seele, der Natur(wissenschaft) und Geschichte. Hier aber komme ich nicht weiter: Was ist die Wahrheit der Gegenwart, meiner geschichtlichen Situation? – Hier sehe ich wiederum das erwachsene Denken, den Versuch einer scheiternden Selbstbestimmung, weswegen es von sich (analog zur geschichtlichen Entwicklung) über sich hinausgeht – das Wissen wird zum Wert, und stellt darum die Frage nach einer neuen Theologie des Seins.

In der Werttheorie komme ich aber nun aus andern Gründen nicht weiter. Ich versuche, eine Sache in ihrem Wert zu denken, und denke doch eigentlich den Wert ihres innern Widerspruchs, zu sein – jeder Wert ist eigentlich Seinswert, Wert-für-sich, und doch bleibt gerade dieses Sein mir ganz verschlossen. Ich kann einzig nachvollziehen, dass es so ist, weil ich mir selbst in derselben Art verdeckt bin – eben durch zu große Offenbarkeit, der ich nie entrinnen kann. Damit ist der Wert – als vollzogene Einheit lachender und weinender Träne – eine universale Ambivalenz, eignet sich also wohl zur Diskussion der Götter und ästhetischen Schätzung der Vergangenheit und der Kunst, aber für nichts weiteres in der Zukunft. Sie stellt sich als ebenso erwachsen-leer heraus wie das Identitätsdenken, das sie zu supplementieren versuchte. Sie bleibt jugendlich, und ähnlich wie in der Geschichte muss sich das kindliche Denken von beiden, von Wahrheit und Wert, Wissenschaft und Weisheit lossagen, um eine echte Philosophie zu begründen, und d.h. zunächst die Frage, die in Verzweiflung und Spiel liegt, neuerlich zu stellen –

Ich muss also neu beginnen. In dieser neuen Frage – der Frage der Philosophie – ist der Anspruch all dieses Vergangenen enthalten, aller Wahrheiten und Werte, aber eben nur als Momente, als Übergänge, als inneres, was sich noch äußern, überhaupt erst handeln müsste. Der Anspruch auf Moral, auf eine ganz andere, weitere Theorie des Lebens, ist somit sicherlich vermessen – noch sicherer zu meines Lebens Zeiten wohl kaum erfüllbar – aber doch als Anspruch, an dem sich ein Denken messen muss, wenn es vorgibt, selbst das Leben zu sein, unverzichtbar. – Und zumindest der Anspruch, dies versuchen können zu müssen, als Denkfreiheit, ergibt sich unmittelbar aus diesem Widerspruche; eine Forderung, mit der (samt allen Konsequenzen der planetaren Lebenserhaltung etc.) bereits der ganze politische Anspruch des Philosophierens ausgeschöpft ist, ebenso aber auch die Grenze wahrhaft gedanklicher Politik angegeben.

Aber die Frage bleibt doch damit noch (und selbst wenn eine solche Theorie, eine wirkliche Synthesis gefunden werden könnte) doch immer noch offen: Werde ich handeln, kann ich handeln? – Ich denke, dass sich dies erst in der Tat des Denkens erweisen kann, und keineswegs vorab als System kann gegeben werden. Das System ist vielmehr nur die Vollkommenheit, die das Denken davon abhält, sich selbst für das Leben zu halten, indem es selber vielmehr nur Wahrheit des Lebens ist und Anspruch auf eine Zukunft.

Ob die Kindheit sich vom Joche der erwachsenen Beherrschung und Dressierung dazu, etwas zu sein, lösen wird oder lösen kann, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass dies der einzige echt philosophische Anspruch des Lebens ist: Das Denken in seine Wahrheit zu führen – in die Freiheit, als die Wahrheit in der Offenheit einer Zukunft, als dem Schicksal des Schicksals selbst – seinem Leben als Tod! – Nicht wird dabei alles alte aufgegeben. Jugend und Erwachsenheit der Idee nach – als Leben nach einer unmittelbaren Wahrheit (in Furcht vor dem Widerspruch begriffen), oder nach einem Werte – bleibt Teil der Frage, ebenso wie allgemeiner alle Arten von Wissenschaft und Weisheit, woher auch immer sie kommen mögen. Aber das ist eben keine Antwort. Es bleibt etwas jugendliches in der Vorstellung des Wertes; ihre Überwindung in der Frage der Ethik erst erzeugt eine Kindheit, die in ihrer Suche den Anspruch erfüllt, dass der persönliche Ursprung der Neubeginn einer Welt sein muss, der Beginn jenes Traumes, dessen Wahrheit und Geist ich selber bin, und dessen Form und Grenzen ich nicht zu denken versteh.

Vielleicht hatten Platon und Kant recht, dass die Ethik durch eine Form, nicht durch einen Gehalt zu fassen sei – dass ich sie bin, und dass sie nicht ist. Aber ebenso denke ich, dass Heidegger unrecht hatte, dass ich im Es-Sein nichts verstehen kann, dass ich vielmehr über alle Art Gewohnheit und Willkür des an sich ambivalenten Wertes die Wahrheit behaupten muss! – Vielleicht bleibt mir auch gar nichts anderes übrig. Aber auch das wäre erst eine Frage. Hier bleibt nur ein Ausblick, eine Offenheit, ein Nichts – Ein Sein!? –   ….  ? ! –

In den Spalt der Welt zu fallen
ihr das Lachen selbst zu sein
bin ich nicht denn selbst – erst mein
Welt dem Sein, dann Denken allem?

Ich bin als Abgrund erst die Not
die sich erschafft, und doch verrinnt
und wo ich bestehe droht
der Welten Nacht das lichte Kind.

Ich bin doch selber jener Witz
und Abgrund aller Zeit;
was wag ich da nun jenem Blitz –
der ich selbst bin, es schreit –

«dass ich mein Lachen erst bedenk wenn ich von ihm entflohen lag
und doch da bin und mich mir frag – die Ewigkeit zu sein?
Dass jenem Kinde holde Nach-
t ich sehe Weltenschein
als mein Vergehen?»  …  –  !

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