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Sinn und Sicherheit

Gerade hab ich meine Miete überwiesen. Dabei fiel mir mal wieder auf, was für ein Theater meine Bank, die im Gegensatz zu anderen Banken „Sinn“1)Je öfter man das Wort liest, um so weniger Sinn macht es. verspricht, um meine Sicherheit macht. Nicht nur, dass ich eine endlos lange Zahl zur Verifikation brauche, die sich kein Mensch merken kann, sondern ich muss auch noch einen Barcode einscannen. So hilft mir die GLS Bank meine schier endlosen Reichtümer gegen all die zu schützen, die sie mir wegnehmen wollen.

Jetzt ist auch noch mein Google-Konto im Wartezustand und das alles nur, weil man bei einer Reaktivierung des selben Kontos nicht noch einmal das gleiche Passwort verwenden darf wie zuvor. Weil ich nur ein oder zwei Passwörter habe, die ich immer wieder verwende und die ich mir mit lustigen Eselsbrücken merke, kann ich jetzt nicht mehr auf meine Mail-Adresse zugreifen. Natürlich alles nur zu meiner Sicherheit.

Besonders interessant ist daran, dass sich google offensichtlich bereits als eine Art Behörde versteht. Statt die hippen Technikfreaks zu fragen, ob sie bitte freundlicherweise mein Konto wieder freischalten können, muss ich einen „Antrag auf Wiederherstellung meines Google-Kontos“ stellen.

Gibt es da nicht eine gewisse Ähnlichkeit zur Maskenpflicht? Was ist das für eine Sicherheit, die nervt und um die ich nie gebeten habe? Ist es nicht die Sicherheit derjenigen, die keinen Ärger bekommen wollen, weil sie vielleicht irgendetwas nicht perfekt gemacht haben? Wahrscheinlich betrifft mich dieses Phänomen selbst auch ein bisschen. Zum Beispiel schreibe ich immer wieder Artikel für diesen Blog und ziehe sie zurück, weil ich doch irgendetwas sehe, das problematisch sein könnte. Das hat leider schon auch ein bisschen mit der linken Diskussionskultur zu tun, in der alle so furchtbare Angst haben, sich zu blamieren. Ist etwas Dummes oder Unsensibles gesagt zu haben bereits eine Gefährdung der Sicherheit?

Wie traurig wäre es denn, wenn wir unser Leben verpassen, weil wir den ganzen Tag zu Hause sind und uns die Hände waschen? Vielleicht wird dieser Drang, bloß alles perfekt machen zu wollen, immer schlimmer, je mehr man ihm nachgibt. Vielleicht hat die Gesellschaft bzw. haben unsere Mitmenschen ein Recht darauf, unsere Meinung zu hören, auch wenn sie falsch sein könnte. Das Problem ist vielleicht nicht so sehr, dass es den Menschen in der Tiefe ihres Herzens an Mut fehlen würde, sondern dass für denjenigen, der andauernd widerspricht, erst mal nichts dabei herausspringt. Verwechseln wir da nicht Sicherheit mit Gemütlichkeit?

Nur ein Vorschlag: Vielleicht sollte man das Wort Sicherheit für diejenigen Fälle reservieren, in denen tatsächlich Gefahr erkennbar ist. Eine Unannehmlichkeit ist keine Gefahr und manchmal ist die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Schlimmes passiert, eben sehr gering. Wenn man keine Gefahr spürt und keine Gefahr sieht, sollte man dann wirklich auf Rhetoriker vertrauen, die sie einem ständig einreden wollen? Brauchen wir diese „Gefahr“ vielleicht, um uns selbst zu spüren und lebendig zu fühlen und gäbe es da nicht vielleicht gesündere Varianten?

Spannend ist es übrigens schon: Jeder muss eine Maske tragen, darf sich aber individuell aussuchen welche, so wie auch jeder Klamotten tragen muss, aber deren Auswahl individuell gestalten darf. Tragen wir Kleidung aus Gründen der Sicherheit? Bestimmt auch, denn ohne Kleidung wären wir Krankheiten, Verletzungen, Wind, Sonne und Wetter viel stärker ausgesetzt. Aber wir tragen Kleidung auch aus anderen Gründen, die tiefer gehen, die etwas mit Angst und Sex sowie Nähe und Distanz zu tun haben. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Maske auch etwas mit diesen Themen zu tun hat, was ja nicht heißt, dass es keine vernünftigen Gründe geben könnte sie zu tragen.

Vielleicht wird die Atemschutzmaske ja eine säkulare, genderneutrale Variante des Kopftuchs in der westlichen Welt. Im Orient ist es ja auch heiß und die Sonne prallt einem auf den Kopf, medizinische Argumente finden sich immer. Ich würde das sogar ein bisschen lustig finden, aber für so wahrscheinlich halte ich es natürlich auch nicht. Auch in diese Richtung gibt es eben Szenarien, die relativ unwahrscheinlich sind. Aber irgendwas wirkt eben ein bisschen verkrampft an diesem Gestell, an diesem Getue. Es ist ein bisschen, als würde man jemandem zusehen, der einen nervösen Tick hat.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Mischung aus Raphael Bonelli, Gunnar Kaiser und hin und wieder magazinredaktion.tk, die ich mir die letzten Tage immer wieder gegeben habe, so sehr hilft, sich zu befreien. Geht die Unterdrückung davon weg, dass man immer wieder darüber nachdenkt, wie man doch unterdrückt wird? Geht die Angst davon weg, dass man sich immer wieder sagt, man müsse keine Angst haben? Bevor man etwas gedacht hat, hat man schon immer etwas gefühlt, nicht nur phänomenologisch sondern auch evolutionär und neurologisch gesehen. Wer „gegen die Angst“ und „gegen die Unterdrückung“ ist, hat immer schon „Angst“ und „Unterdrückung“ gedacht.

Es geht nicht darum, wie wir uns zu einer Frage verhalten, sondern welche Frage überhaupt gestellt wird. Vielleicht macht mich ja auch einfach die Einsamkeit verrückt, aber wenn ich zum Beispiel lese, dass man „früher im Westen wenigstens die Möglichkeit von Glück hatte“2)http://www.magazinredaktion.tk/corona27.php, frage ich mich schon, was das überhaupt heißen soll. War außerhalb des Westens nie jemand glücklich? Wenn man sagt, Glück sei leibliche Erfüllung, behauptet man dann nicht umgekehrt, dass gerade niemand „leibliche Erfüllung“ (Was soll das sein? Essen? Sex? Tanzen?) erlebt? Auch das ist ja ein Effekt des gegenwärtigen Zustands, dass man weiter weg ist von den anderen und auch ihre Meinung und damit die Angst vor der eigenen Dummheit bzw. dem eigenen Ausgeschlossensein geringer wird.

Statt Angst vor dem Virus zu haben frage ich mich ja in letzter Zeit eher, was mir eigentlich wirklich wichtig ist, wofür es denn wert wäre zu leben. Ich habe manchmal den Eindruck, dass meine Generation darauf gar keine so tolle Antwort mehr hat. Vielleicht ist es dieser Nihilismus, der dazu führt, dass man alles so schnell mitmacht. Jedenfalls möchte ich den Sinn meines Lebens nicht an die GLS Bank delegieren, als sei Sinn eben nur eine von vielen Aufgaben, an denen Menschen arbeiten.

Fußnoten

Fußnoten
1 Je öfter man das Wort liest, um so weniger Sinn macht es.
2 http://www.magazinredaktion.tk/corona27.php

One Comment

  1. Beppo Pfeiffer schrieb:

    Um das Problem vielleicht noch mal klarer zu machen: Es ist ja bis zu einem gewissen Grad normal, dass ich mir Sorgen mache, dass z.B. ein Blog-Eintrag nicht gut genug ist.

    Soll es mir denn völlig egal sein, was die anderen von mir denken?

    Dieses objektive Maß, wie viel Sorgen man sich machen soll, gibt es halt einfach nicht. Keiner kann einem sagen, wie viel Angst man haben soll oder wie sehr man sich um Sicherheit bemühen soll.

    Ich sage nur, dass man vom Mut vielleicht unterm Strich mehr hat.

    Montag, 1. Juni 2020 um 01:29 Uhr | Permalink

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