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It’s Istanbul, not Constantinople 💁

Marx‘ 18. Brumaire beginnt mit dieser schönen, oft zitierten Stelle: „Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ Als Erdoğan vor einigen Wochen angekündigt hatte, den Museumsstatus der Hagia Sophia aufzuheben und das Gebäude wieder zu einer Moschee umzuwidmen, und die europäische Rechte zur Rettung des Abendlands am Bosporus aufrief, wurde ich unweigerlich an diese Zeilen erinnert. Dass diese Verteidiger sich kaum entscheiden können, ob sie lieber das Christentum oder den Säkularismus retten wollen, ist ein Akt dieser Komödie, der verletzte Sultanstolz, der aus dem Irren vom Bosporus spricht, ein anderer und ich weiß wirklich nicht, welcher mich mehr zum Lachen bringt.

Schon die Uraufführung als Tragödie hatte einen komischen Unterton. Bekanntlich ist Konstantinopel 1453 der osmanischen Belagerung erlegen und wurde als Kostantiniyye zur neuen Hauptstadt des Reiches. Das byzantinische Reich, das zur Mitte des 15. Jahrhunderts sowieso schon am abkrepeln war, war damit Geschichte. Das Abendland juckte es damals wenig. Das Ostreich und das Abendland hatten sich lange entfremdet. Die Kirchen waren getrennt, ein Habsburger in Wien nannte sich Kaiser, obwohl es in Konstantinopel schon einen gab, ein Patriarch von Rom nannte sich Stellvertreter Gottes auf Erden. Ja, es war sogar das Abendland gewesen, das diesen Fall Konstantinopels vorbereitet hatte. Im Vierten Kreuzzug (Anfang 13. Jahrhundert) hatten die Lateiner, vorwiegend Franzosen und Venezianer, eigentlich vorgehabt das Heilige Land Jerusalem von den Muslimen zu befreien. Die materialistischen Interessen überwogen aber bald den religiösen Eifer, die Kreuzfahrer entschieden sich kurzfristig um und belagerten das christliche Konstantinopel. Sie rissen die Mauern ein, vergewaltigten die Frauen und Kinder, plünderten alles, was sie für wertvoll hielten und vernichteten den Rest. Eine echte Glanztat der Kreuzritter. Einen großen Teil des byzantinischen Reiches teilten sie untereinander auf. Trotz dieses herben Verlustes hatte das Ostreich noch ein Viertel Jahrhundert vor sich hinexistiert, aber es konnte sich nie vollständig von diesem Verlust erholen. Die Niederlage gegen das aufstrebende Osmanische Reich war nur eine Frage der Zeit.

Jüngst ist auf Netflix ein türkisches Doku-Drama im gewohnten Serienformat erschienen, das die Belagerung von 1453 als große Heldentat inszeniert. Es ist wohl in diesem Geiste zu sehen, wie sich noch einmal verlogene Christenheit-Säkularisierungs-Verteidiger und nationalistische Sultanatsromantiker gegenüberstehen. Einmal als Tragödie, einmal als Farce.

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