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– Zarathroxas Begegnung mit Bucephalus –

Bucephalus

 

Und also zogen Jesus und der Esel hinaus in Richtung übermorgen. Zarathroxa aber folgte den beiden noch ein wenig, denn eines wusste Zarathroxa von Anfang an: die Karotte würde ihnen nicht den Weg zum übermorgen weisen, – – – und Zarathroxa wusste auch, dass es Jesus wusste, doch nicht wahrhaben wollte… – auch waren Zarathroxa Schritte um ein vielfaches langsamer als die des kleinen Esels, dessen kurze Beinchen der Karotte so zielstrebig entgegentrappelten, als handle es sich bei ihr um die erlösendste Erlösung aller erlösten Erlösungen.

Im Kopfe des reitenden Jesu aber zogen sich zähe Zweifel zusammen:

„Wenn der seine Karotte je erreichen würde…. Das will ich mir gar nicht erst vorstellen! … der Ärmste. Er liebt eben das, was er nicht kriegen kann, er sieht mehr in der Karotte, als sie ist und kommt damit gut über sein kleines Eseldasein hinweg. Liebe sieht eben mehr, als ist – aber…“

und wie ein Blitz machte sich mit einem Male eine große Enttäuschung in Jesus breit. Er dachte an einen Witz, der ihm einmal erzählt wurde. Der Witz war aufgebaut, wie Witze eben aufgebaut waren: ein Sachverhalt wurde erklärt, eine Person strebt nach einem Ziel – doch dann kam die Pointe, und eigentlich hatte die Person sich die ganze Zeit getäuscht. Alles war ganz anders. Es war Umsonst. Eigentlich war das die Pointe, die normalerweise das Lachen hervorrief, doch Jesus konnte nicht lachen. Stattdessen spürte er eine große Enttäuschung. Vielleicht war alles ganz anders. Vielleicht war diese Utopie der Liebe, die er gelebt hatte, tatsächlich nur eine Illusion. Vielleicht war es so, dass die Liebe tatsächlich immer mehr in das Gegenüber legt, als in Wirklichkeit existiert. Das wäre dann die Schöpfung der Liebe – die Kraft zur Illusion. Das Gegenüber zeigt gerade genug von sich, um anziehend zu bleiben… und so dachte Jesus über die Liebe nach und wurde trüber und trüber …. und mit einem Male schien das Geheimnis gelüftet – und die Enttäuschung groß — der Esel aber klapperte immer eifrig seiner Karotte hinterher und schrie dabei hin und wieder: > I – A! <

 

 

Zarathroxa aber schritt langsam hinterdrein und bemerkte die Veränderung im Wesen Jesu – doch Zarathroxa unterdrückte das Mitleid und musste beinahe lachen. Der wird sich schon noch Beine machen…

 

 

 

So liefen sie also weit und immer weiter und schließlich kamen sie in eine Wüste. Die Sonne ging unter und ein glitzernder Sternenhimmel breitete sich über dem Firmament aus. Noch immer war der seltsame Aufzug auf dem Wege – vornedrein der emsige Esel mit seiner Karotte, darauf sitzend der unlustige Jesus und hinterdrein Zarathroxa mit der schlafenden Schlange um den Hals. Doch selbst erlösungsbedürftige Esel werden irgendwann müde und erleichtert vernahm Jesus, wie die Schrittchen in Richtung Karotte immer langsamer und lahmer wurden. Es war kalt geworden und Niemand unter den Vieren führte ein wärmendes Licht mit sich. Die Nacht wurde schwärzer und unheimlicher; – und selbst für den Esel wurde die Schwärze so drückend, dass die lockende Wirkung der Karotte erblasste.

Und obwohl Zarathroxa nichts von der beklemmenden Wirkung der Nacht spürte und darselbst keine Müdigkeit verspürte, spähte Zarathroxa aus, ob sich nicht bald ein Ort für ein Nachtlager fände.

Und also spähte und spähte und spähte Zarathroxa und… und dort! – siehe – dort erspähte Zarathroxa am Fuße einer Düne ein fernes, kleines und helles Licht inmitten der samtschwarzen Wüste.

>Dort! <, sprach Zarathroxa also und wies mit ausgestreckter Hand in die Richtung.

>Dort lasst uns rasten. Dort kannst du und dein Esel eurer müden Seele Wunden warten – solcherlei Wunden, wie du nämlich hast, oh Jesus, heilen nur Träume; – und seien es auch die wildesten und gefährlichsten Träume. Immer wachst du als ein Anderer auf – das ist oft enttäuschend. Doch in jeder Enttäuschung steckt der Keim zur neuen, noch listigeren, noch bezaubernderen Täuschung. Eine enttäuschende “Wahrheit“ jenseits der Täuschung nämlich – die gibt es nicht.“

Doch auch Zarathroxa schien sich zu täuschen, denn kein wärmendes Feuer kam in Sicht. Vielmehr hoben sich die Konturen eines schweren eichernen Schreibtisches gegen den schwarzen Nachthimmel ab – – darauf langen Unmengen von Bücher, Zetteln und Dokumenten und dort – Wunder über Wunder…! – dort an dem Schreibtisch saß jemand…. Oder etwas? Es war kein Mensch sondern – sollte es denn möglich sein! – es war ein riesiges Ross, schwärzer als die Nacht, doch mit einem blütenweißen Hemd und einer Krawatte bekleidet! Auf dem Tische aber standen eine Tasse Kaffee und eine stille Lampe friedlich beieinander. Im Lichtschein ließ sich ein kleines Namensschild am Hemd des Ungetüms erkennen: DR. BUCEPHALUS.

Das schwarze Ross sah verwundert auf als es den seltsamen Aufzug naher kommen sah: – fasste sich aber sogleich wieder und fragte mit ernster Stimme: >Wer sind Sie? <

„Reisende, Suchende, Versuchende… und ab und an dem Leben Fluchende, so wie dieser hier.“ antwortete Zarathroxa und deutete auf Jesus hin; „Er und sein Esel sind müde, hungrig und suchen Schutz für diese Nacht. Der, welcher die Hungrigen speiset, erquickt seine eigene Seele: so spricht die Weisheit.“

„Schutz kann ich euch wohlweißlich gewähren. Ich nämlich, kenne die Rechtsordnung.“ antwortete das mächtige Ross mit bedächtiger aber nicht unfreundlicher Stimme.

Jesus aber, der Alledem stumm zuhörte war das Pferd nicht geheuer. Das pikfeine Hemd, die dämliche Krawatte (Phallussymbol!), die ganze bedrohliche Gestalt – das Vieh war mindestens fünfmal so groß wie der Esel! Und dann faselte es da noch etwas von „mit der Rechtsordnung vertraut“? War die Rechtsordnung nicht eben das, was die völlig katastrophalen Zustände in dieser von Grund aus falschen und beschissenen Welt zementiert hatte? Allein der Gedanke, dass sich dieses Tier auf die bestehende Ordnung bezog… sie anerkannte, mit ihr arbeitete… dieses Pferd machte mit! Es war Mitläufer! Mittäter! Wie konnte es nur so unkritisch sein! Jesus warf einen kritischen Blick auf die Bücher – das waren alles Gesetzesbücher! Keine Romane, keine Kinderbücher, keine Liedertexte, keine Gedichte… kein Sinn für Fantasie! Aber noch nicht mal Sachbücher, kein Marx, nichts Horizont-erweiterndes, keine Philosophie…nichts! nur staubige alte Gesetzestexte. Trockenes vergilbtes Zeug.

„Bist du ein Politiker? Oder ein Manager? Ein Steuerberater? Oder ein Richter?“ platze es aus Jesus heraus.

„Ich bin Bucephalus, ehemaliges Schlachtross Alexanders des Großen.“ sagte das Ungetüm langsam mit tiefer fester Stimme. „Nun aber bin ich Dr. Bucephalus. Ich wurde Advokat und studiere nun Gesetzestexte.“

>Aber schlafen sie denn nie? < fragte Zarathroxa

„Ha! Schlafen?! – Schlafen kann ich, wenn ich mit meinem Studium fertig bin! Vorläufig trinke ich schwarzen Kafee!“ antwortete Bucephalus und nahm einen kräftigen Schluck des pechschwarzen Heißgetränks.

„Wissen Sie, einst war ich das exekutive Organ Alexanders von Makedonien und führte auf seinen Befehl hin Eroberungsfeldzüge. Es waren blutige Schlachten. Mein Huf trampelte so manchen Soldaten tot – ich kenne das Gefühl, wenn Knochen und Schädel unter meinem Gewicht zerbersten – ich habe die Schreie und das knirschende Geräusch noch immer im Ohr. Und es waren viele Schlachten, es waren sehr viele Schlachten und ich tötete etliche Menschen. Etwas in mir schrie jedes Mal: Unrecht! Unrecht! Unrecht! Aber ich hatte das Recht auf meinem Rücken, denn Alexander gab mir die Sporen und ich zog immer wieder mit ihm und für seine Gesetze in den Krieg. Ich kannte diese Gesetze nicht, aber ich vertraute ihm – schließlich war Aristoteles sein Lehrer… aber um ehrlich zu sein, was der ihn gelehrt hatte, wusste ich damals auch nicht. Doch dann war es plötzlich aus. Alexander starb. Ich aber war noch da, ein Ross ohne Reiter, ein Soldat ohne Befehl, ein Exekutiv ohne Souverän. Aber Alexanders Gesetze, die waren auch noch da. Und mein Gefühl, ein Unrecht begangen zu haben, das war auch noch da. Nur Alexander war weg.

Da beschloss ich Advokat zu werden und es wieder gut zu machen. Denn, wissen Sie Herr von Nazareth, mit der Rechtsordnung ist es wie mit allen alten Texten: es bedarf der Exegese. Und so sitze ich denn hier friedlich, fernab vom Schlachtenlärm bei stiller Lampe an meinem Schreibtisch und wälz und wende Nacht für Nacht die alten Seiten der Gesetze.“

Jesus starrte Bucephalus mit großen Augen an. Das war also alles noch viel komplizierter als gedacht – in der Tat, da gab es Unterschiede zwischen Alexander, seinem Ross und seinen Gesetzen….. Scheiße!

„Und ich glaube, mittlerweile kenne ich die Gesetze so gut, dass ich selbst einen Lümmel wie Sie hätte raushauen können!“

„In allen Fällen?“ fragte Jesus

„In allen Fällen. Es hätte mir sogar Spaß gemacht, mit Pontius Pilatus zu streiten.“

„Sie streiten jetzt also für ganz normale Menschen wie mich, und nicht für irgendwelche übermenschlichen Arschgeigen wie Nestlé, Vattenfall, BP, Monsanto oder facebook?“, fragte Jesus.

„Sehr richtig. Ich bin der neue Advokat.“

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