Wohin sind wir gekommen, wohin gedachten wir zu gehen? Man kann eine beurteilende Bestandsaufnahme der Philosophie, wie sie an den akademischen Institutionen unserer Zeit gelehrt wird, nur schwerlich zustande bringen, ohne den ursprünglichen Gedanken zu kennen, aus welchem heraus sie in ihrem Anfange geboren ward. Wohin also gedachten wir zu gehen? Wir wollten das Gehen selbst zum Ziele unseres Spazierganges machen; und das heißt doch eben, dass kein Grund als der intrinsischste überhaupt zu dieser Unternehmung von Belang sein dürfe; dass wir uns selbst genug werden, weil unser Gehen sich selbst genug wird; dass wir die Angst verlieren, die das Gehen überhaupt erst gebiert, weil es fürchtet, nicht zum Ziele zu gelangen. Man mag nun erkennen, dass das Gehen hier durchaus als Metapher (wo auch nicht?!) gelesen sein will, doch die Leerstelle zu füllen wird doch den meisten Denkern als zu einfach erscheinen, da sie für das Höchste noch immer das Denken setzen. Wie aber könnte es denn ein Denken geben, das nicht bloße Berechnung und Kalkulation wäre, wenn da nicht ein Erleben, ein Bewusstsein, kurz: wenn da nicht Leben wäre. So ist denn Kernbestand der Philosophie eigentlich Leben, denn alle Gegenstände der Philosophie entspringen daraus. Doch wohin sind wir gekommen? Haben wir nicht das Leben verdrängt? Wo ist heute noch Leben der Gegenstand ehrlicher Philosophie, die das Denkmögliche erfasst, statt sich im Kreis zu drehen in Anbetracht der eigenen Belanglosigkeit? Mehr noch, der Geist, der selbst noch sprühte, als das Leben verloren war, scheint mir seinen letzten Funken auszubrennen. Sprüht wieder, ihr Geister, werdet voll von Leben, werdet selbst Gestirne und gleißende Sonnen! Was verlangt man nicht von euch? Es sind neue Erzeugnisse von prüfbarem Gehalt und skalierbarer Güte. Ein Maßstaab bringt gar einen Fixstern zum Erlöschen, wenn dieser jenen nicht überstrahlen kann. So überstrahlt denn euren Maßstaab, ihr Sterne! Und wenn sie ihn gar Wahrheit heißen und ihn der Sonne gleichsetzen – strahlt darüber hinaus und verglüht die alte Sonne durch das neue Leben. Aber wenn sie ihn doch nur Wahrheit hießen – denn heute heißt man ihn Wissenschaft. Doch Wissen macht nicht weise; so wie auch die weisheitsträchtige Belebsamkeit (Erlebsamkeit) kein Wissen gebiert. So müsst ihr Sterne jenen schwarz und matt sein, welche nur ihre Wissenschaft kennen. Um so mehr müsst ihr scheinen, nach eurem Dünken und durch euer Leben. Noch sehe ich die Sterne nicht hell mehr Leuchten, doch wähne ich die Nacht bald kommen und hoffe, dass der jüngst begonnene Tag nicht allzu lange blendend währt.
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