Skip to content

Spießer – Philister – Kleinbürger. Rezensionsnotiz zu „Das Spießerverdikt“ von Sonja Engel & Dominik Schrage


von

Spießer – Philister – Kleinbürger

Rezensionsnotiz zu Das Spießerverdikt von Sonja Engel & Dominik Schrage

Der Inbegriff des Spießers: „Der Sonntagsspaziergang“ von Carl Spitzweg (1841).

 

Niemand möchte „spießig“ sein. Das Buch Das Spießerverdikt. Invektiven gegen die Mittelmäßigkeit der Mitte des 19. Jahrhunderts (Bielefeld 2022), verfasst von Sonja Engel und Dominik Schrage, geht der Frage nach, woher dieser seltsame Begriff des „Spießer“ – und seine Verwandten wie derjenige der mittlerweile aus der Mode gekommene des „Philisters“ und derjenige des „Kleinbürgers“ – eigentlich kommt und welche Funktion er im Diskurs des 19. Jahrhunderts spielte. (Weiterlesen)


Auf dem D-Zug ins „Herz der Finsternis“ – Kleine Rezensionsnotiz zu „Einzeln Sein“ von Rüdiger Safranski


von

Diese Besprechung bezieht sich auf die 2021 bei Hanser erschienene Erstauflage des Buches, das jüngst bei S. Fischer neu aufgelegt wurde.

Auf dem D-Zug ins „Herz der Finsternis“

Kleine Rezensionsnotiz zu Einzeln Sein von Rüdiger Safranski

 

Es zeugt von dem guten Gespür des Verfassers für die Tendenzen des Zeitgeistes, dass der Bestseller-Autor Rüdiger Safranski seine neue Monographie ausgerechnet jetzt veröffentlichte. Was es bedeutet, einzeln zu sein, erfuhren die meisten von uns in den letzten beiden Jahren notgedrungen. Safranski liefert uns in seinem Buch Anhaltspunkte, um dieses Schicksal ganz nietzscheanisch in etwas umzumünzen, dass wir nicht nur als äußere Notwendigkeit hinnehmen, sondern auch bejahen können.

Er unternimmt dies, indem er den Leser mit auf eine Zeitreise quer durch die Geschichte der Philosophie des Einzeln-Seins nimmt, die ihn von der Renaissance bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts führt. Weder eine „durchgehende Geschichte“ (S. 10) möchte Safranski, trotz der gewählten chronologischen Reihenfolge, dabei erzählen noch eine „umfassende Theorie über das Einzeln-Sein“ (ebd.) entwickeln, sondern schlaglichtartig „Einzelfälle, die jeweils zu denken geben“ (ebd.) beleuchten. (Weiterlesen)


Sprache des Krieges – Teil 2


von

Sprache des Krieges

Teil II: Lexik

Link zu Teil 1.

„Am Anfang war das Wort; und das Wort war bei Gott; und Gott war das Wort.“ So rief der christliche Gott dazu auf, das Leben durch Liebe zu kennen – so begann die Konstruktivität. Die Destruktivität des Diabolischen drückt sich auch in Worten aus, in Worten menschlicher Lügen und Manipulationen. Die letzte dieser Äußerungen lautete: „Wir starten eine Spezialoperation zur Entnazifizierung und Entmilitarisierung der Ukraine.“ Dieses Oppositionsmuster ist keineswegs ein Appell an die Gefühle von Gläubigen oder Atheisten, sondern eine gewisse Betonung dessen, wie die Bedeutungen von Wörtern, die auf Menschlichkeit und Konstruktivität abzielen, heute verdreht werden und etwas ganz anderes bedeuten können. Ukrainerinnen und Ukrainer erleben die Bedeutung dieser Worte heute. (Weiterlesen)


Sprache des Krieges


von

Sprache des Krieges

Teil I: Phonetik

 

Ein Laut, ein Anlaut ist der Anfang der Sprache, ihre Grundlage und Verkörperung zugleich. Dies wird durch die Theorie der Linguistik bestimmt. Ein Anfang und eine Verkörperung der Phonetik des Krieges ist die Sirene. Der Krieg beginnt mit einem Sirenen-Anlaut und geht damit weiter. Die Sirene ist der Auftakt zum Konzert des Todes. Die Ukrainerinnen und Ukrainer erleben diese Tatsache gegenwärtig.

Der Krieg hat wohlgemerkt viele Stimmen: das Heulen von Militärflugzeugen, das Pfeifen von Raketen, das Dröhnen von Panzern. Schlimmer als dieses Trio ist nur das Timbre der Explosion: allumfassend, überwältigend, schicksalhaft. All dies sind Konsonanten der Sprache des Krieges. Noch beängstigender hingegen sind ihre Vokale: menschliches Weinen, Trauerschreie aus Verlust und die Unfähigkeit, sich zu wehren, aus Verzweiflung und Angst. Die Sirene, begleitet von einem Artillerieorchester oder anderen Konsonanten- und Vokalklängen, soll wie eine Pawlow-Glühbirne funktionieren: Es geht darum, einen Reflex von „Angst“ und „Gehorsam“ zu erzeugen. Auf diese Weise dämpft und erstickt die Stimme des Krieges häppchenweise die rationalen Fähigkeiten eines Menschen! (Weiterlesen)


Verteidigung der Romantik des Hoffens


von

Ein Gastbeitrag des Leipziger Philosophen Jonas Pohler. Er hatte ihn zu unserem letzten Eos-Preis eingereicht, der der Frage galt „Was müssen wir hoffen?“. Da es sich jedoch um eine Aphorismensammlung und keinen regelrechten Essay handelt, haben wir uns dafür entschieden, diesen Text hier zu publizieren und nicht auszuzeichen. Wir wünschen unseren Lesern einen hoffnungsvollen Start ins neue Jahr und eine inspirierende Lektüre.

 

Verteidigung der Romantik des Hoffens

I

Als ich vor Kurzem auf einer Parkbank saß – es war ein Sommertag, der mehr einem Herbsttag glich – und darüber nachdachte, wie ich und die Menschen um mich herum sich in der Großstadt bewegen, kam mir eine merkwürdige Erkenntnis. Es ist eine nicht weiter überraschende und altbekannte: Nämlich, dass wir die Sklaven von Gewohnheiten sind. Dass ich und so viele andere immer dieselben Straßen entlang gehen, dieselben Orte besuchen, uns das Gleiche aussuchen, machen und planen. Auch wenn man mir wohl antworten wird: „Erzähl uns doch etwas Neues!“, so ist mir doch, dass wenn einer das Geheimnis der Gewohnheiten entlüften würde – und ich meine wirklich ihren Wahrheiten sich annähere, ihm würde vieles aufgehen: über den Menschen, über die Geschichte, vielleicht sogar über das Leben als solches.

Ich kam an diesem Nachmittag auf der Parkbank zu einem poetischen Schluss. Obwohl es immer die ungenausten und abstraktesten sind; sind es auch die wahrsten und menschlichsten:

Wir sind doch wie Pflanzen, auch wenn wir uns bewegen.

Wir wollen immer da sein – wie aus Gewohnheit und heimlichem Trieb –, wo Licht und frisches Wasser uns versprochen sind. Wie die Hand das Feuer fürchtet, ruht diese Hundeseele auf der Parkbank aus sich selbst, was heißt, Schmerz ist Schmerz und die Welt, die ist, ist gut. Ihr sind die Sinne untrüglich und unabscheulich – tut es weh, fährt sie zurück, muss sie fressen, frisst sie – das Träumen muss sie nicht erzwingen.

Dies Poetische träumt, das Selbst träumt. Es träumt unbeschreibliche Romane, deren Götter wir sind und Zeichner. Selbst Figuren, die noch gar nichts davon ahnen. Man lacht darüber. Man lässt es dabei bewenden. Es ist wie in eine Waschmaschine zu starren: einen sinnlosen Vortex, doch unheimlich befriedigend.

Danach hatte ich einen Termin bei meiner Therapeutin. Es gibt wohl nur ein zweites Geheimnis, das noch entscheidender ist: das Geheimnis der Angst.

***

Gefragt wurde aber: Was müssen wir hoffen? – Mir liegt nichts ferner, als auf eine solche Frage akademisch zu antworten, weil es in erste Linie keine akademische Frage ist. Auch deshalb ist sie so wichtig. An dieser Stelle gibt es kein ‚Wenn und Aber‘.

So viel sei gesagt: Die Lösung dieser Frage ist mit dem zweiten Geheimnis, dem der Angst, verbunden. Man muss erwähnen, wem das Geheimnis nicht selbst eines ist, dem sind viele Fragen zu stellen. Zuerst die, ob die Kategorie ‚Geheimnis‘ aus seinem Denken schon verbannt ist. Das ist nicht nur zu bemitleiden, sondern philisterhaft. Wer schon glaubt, dass es keine Geheimnisse gäbe, den darf die Realität Lügen strafen oder wie Dostojewski in »Schuld und Sühne« schreibt:

Die Natur wird nicht in Betracht gezogen, die Natur wird hinausgejagt, die Natur hat keinen Platz! […] Darum lieben sie auch nicht den lebendigen Lebensprozess, – sie brauchen keine lebendige Seele. Eine lebendige Seele ist rückschrittlich! Und bei ihnen kann man die Seele aus Kautschuk machen, tut nichts, daß sie Leichengeruch hat, – sie ist dafür nicht lebendig, ohne Willen, eine Sklavenseele und wird sich nicht empören. […] Mit der Logik allein kann man nicht die Natur überspringen! Die Logik will drei Fälle voraussetzen und es gibt ihrer eine Million! Soll man die ganze Millionen Fälle abschneiden und alles bloß zur Frage des Komforts konzentrieren? Die leichteste Lösung der Aufgabe! Sie ist verlockend einfach und man braucht nicht zu denken! Und das ist die Hauptsache – man braucht nicht zu denken! Das ganze Lebensgeheimnis findet auf zwei Druckbogen Platz! 1)Aus dem Russ. übertr. v. M. Feofanoff. Frechen: Komet 2000. S. 212 (Weiterlesen)

Fußnoten

Fußnoten
1 Aus dem Russ. übertr. v. M. Feofanoff. Frechen: Komet 2000. S. 212

Spendenaufruf und Verkaufsaktion zum Jahresende


von

Wir freuen uns sehr, dass dieser Blog immer mehr Leser erreicht. Er wird betrieben von dem gemeinnützigen Verein Halkyonische Assoziation für radikale Philosophie e. V. mit Sitz in Leipzig. Leider ist sein Betrieb nicht ganz kostenlos. Wir müssen für die Domain und den Serverplatz regelmäßig ein Entgelt entrichten und investieren zudem viele Stunden unbezahlter Mühe in das Verfassen und Akquirieren der Artikel, die Redaktionsarbeit und das Warten der Seite im Hintergrund.

Wenn Ihnen unsere Artikel gefallen, unterstützen Sie uns daher gerne mit einer kleinen Spende, die Sie auch steuerlich absetzen können. Wir freuen uns über jeden Cent. Die entsprechenden Daten finden Sie hier.

Auf unserer Internetseite finden Sie zudem dort unsere bis zum 6. 1. limierte Sonderverkaufsaktion, bei der Sie zahlreiche unserer Print-Publikationen zu einem stark vergünstigten Preis erwerben können.

Wir wünschen allen unseren Lesern eine besinnliche Festzeit.

Ihre Eisvögel

(Foto: Timo Klostermeier | CC-BY 2.0)

 


Im „Geisterkrieg“. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine als „Weltgericht“ (Hegel)


von

Im „Geisterkrieg“

Der Angriffskrieg gegen die Ukraine als „Weltgericht“ (Hegel)1)Dieser Artikel, der im März 2022 aus Anlass dieser Diskussionsrunde zum Thema entstand, ist angeregt von meinem intellektuellen Austausch mit meinem ukrainischen Kollegen Vitalii Mudrakov, mit dem zusammen ich kurz vor dem Krieg den Aufsatz Eine Revolution der Selbstüberwindung. Friedrich Nietzsche und die ukrainische Transformation verfasste, der in der kommenden Ausgabe der Nietzscheforschung erscheinen soll. In diesem Text argumentieren wir, dass es sich bei der in Deutschland nach wie vor, die Propaganda des Kremls aufgreifend, als „Putsch“ diffamierte „Orangene Revolution“ (2004/5) und den Maidan-Aufstand (2013/14) um echte revolutionäre Ereignisse handelte, die mit einer „Umwertung der Werte“ im Sinne Nietzsches führten: Weg von den Werten der „russischen Welt“, d. h. gelebter Korruption und Knechtschaft, hin zu gelebter Freiheit und Würde. Wie sich im Folgen zeigen wird, leugne ich nicht, dass es faschistische Tendenzen auch innerhalb der ukrainischen Bevölkerung gibt und dass dort der Westen oftmals sehr naiv betrachtet wird. Doch dies scheint mir nicht die herrschende Tendenz dieser Bewegung zu sein, die heute im Freiheitskampf gegen die russische Okkupation kulminiert.

 

I. Einleitende Gespensterkunde

Beim furchtbaren Angriffskrieg gegen die Ukraine, der sich zugleich immer mehr als rücksichtlos geführter Vernichtungskrieg gegen das ukrainische Volk entpuppt, haben wir es in einem doppelten Sinne mit einem „Geisterkrieg“2)Ich übernehme diese Metapher von Nietzsche, der in Ecce homo schreibt: „Der Begriff Politik ist dann gänzlich in einen Geisterkrieg aufgegangen, alle Machtgebilde der alten Gesellschaft sind in die Luft gesprengt – sie ruhen allesamt auf der Lüge: es wird Kriege geben, wie es noch keine auf Erden gegeben hat. Erst von mir an giebt es auf Erden grosse Politik“ (Ecce homo. Wie man wird, was man ist. In: Studienausgabe Bd. 6. München 1999, S. 255–374; 366; Schicksal 1). zu tun. Zum einen bewahrheitet sich in ihm erneut Guy Debords These von der „Gesellschaft des Spektakels“ und Baudrillards vom „Simulacrum“. Ich möchte nicht behaupten, dass dieser Krieg nicht stattfinden würde und habe ja bereits eingangs deutlich gemacht, um was für einen Krieg es sich handelt. Dennoch kann der geradezu surreale Charakter dieses Krieges kaum geleugnet werden. Niemand sah ihn kommen, niemand weiß, was dort in der fernen Ukraine eigentlich gerade vor sich geht und niemand vermag zu prognostizieren, wie es jetzt weitergeht. Es ist ein Krieg der Propagandaagenturen, die alles versuchen, um den Gegner besonders monströs, die eigenen Opfer möglichst gering, die eigenen Siege möglichst großartig erscheinen zu lassen. Zwischen den Lügen und Desinformationen ist es unendlich schwer, glaubwürdige Fakten zu erkennen.

Doch selbst diese Fakten stehen nicht für sich, sondern werden sofort einsortiert in die Schemata ideologischer Interpretationen, Kriegsmaschinen des Geisterkrieges, die die wenigen verbürgten Tatsachen sofort in Geschosse der eigenen Sache verwandeln. Es sind drei hauptsächliche militärisch-ideologische Komplexe, die hier vor allem ihr Unwesen treiben. Der Krieg zeigt deutlich: Wir leben in gewisser Weise schon lange nicht mehr in einer gemeinsamen geteilten Welt. Wir haben es mit drei Welten zu tun, die jeweils von einer fundamental unterschiedenen Ontologie und normativen Ordnung getragen sind, die sich unvereinbar gegenüberstehen. Jede dieser Geisterwelten oder auch Weltgeister beansprucht absolute Gültigkeit und während in der banalen Realität die Soldaten und die Zivilisten kämpfen und sterben, erhebt sich darüber und darunter, ihr Treiben gleichsam spirituell umwehend, eine womöglich entscheidendere Schlacht, die das Schicksal der Menschheit für die kommenden Dekaden entscheiden wird. Wir sollten daher nichts unversucht lassen, um ein wenig Gespensterkunde zu betreiben: Mit welchen Weltgeistern haben wir es zu tun? Was sind die Formeln, mit denen sie sich beschwören oder auch austreiben lassen? Was sind die bösen Geister und was die guten?

(Weiterlesen)

Fußnoten

Fußnoten
1 Dieser Artikel, der im März 2022 aus Anlass dieser Diskussionsrunde zum Thema entstand, ist angeregt von meinem intellektuellen Austausch mit meinem ukrainischen Kollegen Vitalii Mudrakov, mit dem zusammen ich kurz vor dem Krieg den Aufsatz Eine Revolution der Selbstüberwindung. Friedrich Nietzsche und die ukrainische Transformation verfasste, der in der kommenden Ausgabe der Nietzscheforschung erscheinen soll. In diesem Text argumentieren wir, dass es sich bei der in Deutschland nach wie vor, die Propaganda des Kremls aufgreifend, als „Putsch“ diffamierte „Orangene Revolution“ (2004/5) und den Maidan-Aufstand (2013/14) um echte revolutionäre Ereignisse handelte, die mit einer „Umwertung der Werte“ im Sinne Nietzsches führten: Weg von den Werten der „russischen Welt“, d. h. gelebter Korruption und Knechtschaft, hin zu gelebter Freiheit und Würde. Wie sich im Folgen zeigen wird, leugne ich nicht, dass es faschistische Tendenzen auch innerhalb der ukrainischen Bevölkerung gibt und dass dort der Westen oftmals sehr naiv betrachtet wird. Doch dies scheint mir nicht die herrschende Tendenz dieser Bewegung zu sein, die heute im Freiheitskampf gegen die russische Okkupation kulminiert.
2 Ich übernehme diese Metapher von Nietzsche, der in Ecce homo schreibt: „Der Begriff Politik ist dann gänzlich in einen Geisterkrieg aufgegangen, alle Machtgebilde der alten Gesellschaft sind in die Luft gesprengt – sie ruhen allesamt auf der Lüge: es wird Kriege geben, wie es noch keine auf Erden gegeben hat. Erst von mir an giebt es auf Erden grosse Politik“ (Ecce homo. Wie man wird, was man ist. In: Studienausgabe Bd. 6. München 1999, S. 255–374; 366; Schicksal 1).

Die Ideologie der Nicht-Demokratie (zu Latour & Co.)


von

Es handelt sich bei dem folgenden Text um das vollständige, etwas korrigierte und ergänzte, Vortragsskript meines Gastvortrags bei der Vorlesung von Hans-Martin Schönherr-Mann im SoSe 2022. Den Vortrag selbst und die darauffolgende Diskussion mit Alexander Görlitz kann man sich hier ansehen. Der Skriptform ist es geschuldet, das manche Thesen etwas ungenügend erläutert bzw. durch Zitate untermauert werden. Auf Nachfrage kann ich entsprechende Nachweise und Erläuterungen gerne noch anbringen.

Eine Zeichnung von Robert Linke, zu der ihn mein Vortrag inspirierte. Mit freundlicher Erlaubnis des Künstlers.

Die Ideologie der Nicht-Demokratie. Latours Konzepts eines „Parlaments der Dinge“ als philosophische Legitimation des (Post-)Corona-Regime / Für eine Ethik des kritischen Individualismus III

I. Einleitung

Nachdem ich in den vergangenen Wochen hier auf diesem Kanal zwei Vorträge hielt zu Denkern, die sich explizit als Individualisten verstanden und eine entsprechende Ethik vertraten1)Kierkegaard und Nietzsche., möchte ich mich in meinem dritten Vortrag „Für eine Ethik des kritischen Individualismus“ an einem Philosophen abarbeiten, der sich im Gegenteil als Kritiker dessen bezeichnet, was er den modernen Individualismus nennt: Bruno Latour.

Latour lebt noch und wurde 1947 in Frankreich geboren. Er gehört zu den bedeutendsten Vertretern einer Denkschule, die oft als „Neuer Materialismus“ bezeichnet wird. Ich werde diesen Vortrag mit einigen Bemerkungen zum Stand des Individualismus heute beginnen, um dann kurz die Grundthesen dieser Geistesströmung anhand vor allem einiger ausgewählter Schriften Latours vorstellen. Bevor ich den „Neuen Materialismus“ dann kritisch würdigen werde, möchte ich noch, dem Thema dieser Vorlesung entsprechend, auf Latour Legitimation der Corona-Politik zu sprechen kommen.

(Weiterlesen)

Fußnoten

Fußnoten
1 Kierkegaard und Nietzsche.

Bekenntnis einer demokratischen Drecksau


von

Mein versprochenes Manifest aus meinem Vortrag Nietzsche – Für eine Ethik des kritischen Individualismus II (Link).

Bekenntnis einer demokratischen Drecksau

Oink, oink!

Seht her, ich bin kein Mensch,

Ich bin eine demokratische Drecksau.

Du, erhabener Edelmensch, hast nichts als Verachtung für mich übrig.

Ich bin hässlich, missraten und schwach.

Du hältst dich für frei, stark, souverän und nennst mich Canaille. Einen wutschnaubenden Fanatiker, attestiert mir einen krankhaften Geist.

Leicht könnte ich dir vorhalten, dass du dich selbst beschreibst, wenn du über mich wütest und das Rutenbündel brichst.

Aber das wäre einfach, allzu einfach.

Ich empfinde in Wahrheit weder Verachtung noch Wut, wenn ich dich betrachte, sondern etwas, was du dir eisern abgewöhnt hast, Mitleid.

Du bist nicht frei, du suchst nur nach der Freiheit.

Auch ich bin nicht frei, ich suche nach der Freiheit.

Doch anderswo als du.

Ich suhle mich bei meinen Mitschweinen im Dreck, ich liebe meine Borsten, ich wühle den Boden nach Eicheln.

Ich atme die Luft des Waldes und bin bei den Waldgeistern zu Haus.

Du fliegst eilig über uns hinweg und machst große, hastige Sprünge.

Etwas treibt dich, lässt dir keine Ruhe.

Ist es das, was man „Gewissen“ nennt und was du an dir verachtest und mit allem Peitschenknall nicht übertönen kannst?

Eine Mutter hat dich gesäugt, wie auch mich, und das wurmt dich.

Diese Gleichheit mit mir, die dich aus der erhabenen Stimmung der Einsamkeit reißt.

Sehen wir uns nicht zum Verwechseln ähnlich?

Zögest du einmal deine liebgewonnene Uniform aus, entledigtest du dich deines glitzernden Säbels, stutztest du deinen mächtigen Schnurrbart, der dich mit den Großen verbindet – wärst du ganz nackt, man könnte uns glatt für Brüder halten.

Aber du hast weder Mutter noch Bruder. Elternlos braust du, einer Wolke gleich über den Wald hinweg. Immer höher zu größerer Freiheit, immer weiter entfernt vom Moos und den Farnen.

Hier im Wald ist niemand Souverän, niemals, und deine Rute dient uns als nächtliches Feuer, in dessen Schein wir uns wärmen und berichten, was uns die Waldgeister sagten.

Hier im Wald bildet alles ein großes Geflecht und es gibt keine Herrschaft.

Die Bäume recken sich empor, morgen schon sind sie Nahrung für Pilze und Würmer.

Und alle ernährt die Sonne, der Wind, der Regen und die große Mutter, die Erde.

Oink, oink!

Ich suhle mich bei meinen Mitschweinen im Dreck, ich liebe meine Borsten, ich wühle den Boden nach Eicheln.

Gäbe es noch einen Gott, wünschte ich dir trotz allem einen Platz im Himmel.

Doch du hast ihn getötet, leer ist dein Auge seitdem.

Nackt sind wir hier alle, wenn der Regen auf uns herabfällt und der gesamte Wald atmet.

Dann wird es kalt und nass und wir verkriechen uns ins Gebüsch, sind ganz eng beieinander.

Kennst du das, diese Enge? Du fliehst sie, wo du nur kannst.

Dein Gott ist tot und mit ihm starb auch dein Nächster.

Ein Geist bist du selbst, schwarz und stolz, einer Krähe gleich.

Du denkst, du wärst frei, doch willst doch nur, dass wir Schweine uns über dich ärgern.

Manchmal klappt’s und wir tun dir den Gefallen.

Aber eigentlich bist du uns ziemlich egal, du armes Schwein.

Spotte nur über unsere Enge im Wald und unsere Vorliebe für die Eicheln – manchmal entdecken wir auch einen Trüffel.

Auch sind wir nicht ohne Träume.

Wir sammeln uns auf der Lichtung, wenn Fuchs und Hase sich grüßen, wir lauschen den Geistern des Waldes.

Sie schicken uns Bilder von kommenden Welten, für die du keinen Sinn hast. Bilder der Zärtlichkeit und des Friedens, des kommenden Glückes, eine Welt ohne Wölfe und Adler. Gleich Tautropfen in Spinnennetzen funkeln sie uns und geben uns Hoffnung, lassen auch unsere Äuglein strahlen.

Wir schützen uns vor den Wölfen und Adlern,

denen du Freund bist.

Wenn der Wald brennt, ist es für dich nur ein weiteres Schauspiel,

uns macht es Angst, weil wir wissen, was du nicht weißt:

Dass es uns in der Aschenwüste nicht gäbe.

Komm, Freund, gesell dich zu uns,

wenn dich deine wilden Hunde genug gehetzt haben.

Lausche den Geistern des Waldes,

hör auf die Tropfen des Regens,

sei ein Schwein unter Schweinen,

grunze mit uns im Chor,

suhl dich im Dreck,

suche die Eicheln,

finde die Trüffel,

lieb deine Borsten.

Oink!


Freude und Jauchzen


von

Freude und Jauchzen

Ein literarischer Kommentar zu Kierkegaards Furcht und Zittern1)Diese Geschichte entstand als literarischer Anhang zu meinem Vortrag Kierkegaard – Für eine Ethik des kritischen Individualismus I, den man sich auf Youtube ansehen kann (Link). Ich habe dort den Ausschnitt, in dem ich diese Geschichte vorlese, auch nochmal als separates Video hochgeladen (Link).

Die (verhinderte) Opferung Isaaks in der Darstellung Rembrandts.

Da saßen sie endlich einmal wieder alle vier beisammen und schmausten ihre liebsten Speisen. Die Mutter ließ sich genüsslich einen Apfel schmecken, ihre beiden Söhne tranken Wein – rot schimmerte das Glas des älteren, weiß dasjenige des Nachzüglers, dazu aßen sie eine Scheibe helles Brot; der Onkel hatte sich ein frisches Glas Bier gezapft und der Vater sich einen Teller feinstes Mana zurecht gelegt.

Der ewige Konflikt zwischen den beiden Söhnen des Herrn war einmal wieder in einen Streit ausgeartet. „Sende mich doch endlich einmal auf die Erde, Vater“, meinte Jesus erbost. „Warum darf immer nur Luzi den Spaß haben? Ich werde Wunder wirken und die Menschen in Scharen zu Dir führen. Die ganze Welt soll sich vor Dir verbeugen und Deinen Namen preisen, nicht nur diese elenden Kameltreiber.“ „Sprich nicht so über mein Volk“, sagte der Vater sanft. „Ich habe meinen besonderen Plan mit ihm. Die Zeit ist noch nicht reif. Dein älterer Bruder soll die Menschen erst einmal vorbereiten.“ „Vorbereiten, vorbereiten!“, Jesus geriet außer sich. „Seit der Aktion mit der Schlange machen die doch ohnehin was sie wollen. Ja, es war richtig, den Menschen die Freiheit zu geben. Doch was machen sie damit? Türme bauen, Reiche errichten, sich wechselseitig abschlachten … Selbst die Sintflut hat sie nicht zur Besinnung gebracht. Und wenn ich mir diese Ziegenhirten ansehe, wird mir ohnehin ganz schlecht. Wenn ich zu denen gehe, blüht mir Übles, das spüre ich.“ „Komm mal runter“, entgegnete Luzifer gelassen, ehe er sich einen guten Schluck vom Rotwein gegönnt hatte. „Predigst Du nicht Sanftmut und Feindesliebe? Ich glaube nicht, dass die Menschen noch irgendeiner Aufsicht unsererseits bedürfen. Sie sind jetzt frei. Lass sie sich doch gegenseitig abschlachten, vergewaltigen, niedermetzeln. Sollen sie das Böse nur in vollen Zügen auskosten. Die Besinnung wird von selbst kommen. Wir haben uns schon genug eingemischt und damit in der Regel alles noch viel schlimmer gemacht.“ Gott, Amordei und der Heilige Geist warfen sich entnervte Blicke zu. Spätestens seit der Geschichte mit Kain und Abel war das Tischtuch zwischen Jesus und Luzifer zerschnitten. Abel war Jesu Liebling gewesen, sein erster wahrer Anhänger – Luzifer hatte den Mord Kains zwar nicht befördert, aber auch nicht verhindert, das hatte ihm Jesus noch nicht verziehen. (Weiterlesen)

Fußnoten

Fußnoten
1 Diese Geschichte entstand als literarischer Anhang zu meinem Vortrag Kierkegaard – Für eine Ethik des kritischen Individualismus I, den man sich auf Youtube ansehen kann (Link). Ich habe dort den Ausschnitt, in dem ich diese Geschichte vorlese, auch nochmal als separates Video hochgeladen (Link).