In der aktuellen dritten Ausgabe des Jahrbuchs für marxistische Gesellschaftstheorie habe ich eine längere kritische Besprechung des Buches Theorie der Befreiung von Christoph Menke publiziert, das 2022 bei Suhrkamp erschien. Deren Kernthesen stellte ich bei der Linken Literaturmesse in Nürnberg am 3. 11. 2024 vor. Es folgt eine leicht überarbeitete Dokumentation dieses Vortrags. Da es sich um ein Vortragsmanuskript handelt, habe ich auf alle Nachweise verzichtet, sie können der erwähnten Rezension entnommen werden. Eine etwas detaillierte Besprechung publizierte ich vor etwa einem Jahr auf Englisch (Link) und eine Diskussion des für das Buch leitenden Begriff der „Faszination“ aus der Perspektive Nietzsches auf Nietzsche POParts (Link).
Menke fasziniert. Er gilt als einer der wenigen letzten authentischen Verfechter der Kritischen Theorie, gar eine Art „neuer Adorno“. Wer sich seinen konkreten philosophischen Output – jenseits seiner Selbstinszenierung in diversen Interviews und Wortmeldungen im Feuilleton – ansieht, wird jedoch schnell enttäuscht. Seine neuste Publikation bestätigt diesen Eindruck nur: Menke ist kein neuer Adorno, er ist – bestenfalls – ein neuer Heidegger. Er entwickelt in diesem Mammutwerk keine „Theorie der Befreiung“, sondern eine Apologie der Faszination, die in sich das Potential trägt, zu einer Apologie der Faschzination umzuschlagen.
Von vorneherein muss ich festhalten, dass ich von der Lektüre des Buches eigentlich nur abraten kann. Sie ist eine reine Zeitverschwendung. Dasjenige, was Menke richtig erkennt, ist von anderen längst besser und tiefer gesagt worden. Zur Lösung der heute relevanten Fragen einer um Befreiung bemühten Philosophie trägt er nicht nur nichts bei, sondern er verstellt diese Lösung sogar, indem er einen völligen Irrweg entwirft, in theoretischer wie praktischer Hinsicht. Interessant ist das Buch allenfalls als ideologiekritisches Material, als Symptom für den geistigen Zustand weiter Teile des akademischen Mainstreams, der die Treue zum Projekt der Moderne längst aufgegeben hat und zwar noch nicht bereit ist, die reaktionären Konsequenzen seines Denkens offen zu benennen und sich vielleicht auch selbst einzugestehen, jedoch bereits alles dafür tut, sich auf den drohenden Neofaschismus gedanklich vorzubereiten oder, besser gesagt, einzustimmen. Ähnlich der historischen Konservativen Revolution – der neben Heidegger etwa auch Carl Schmitt zuzurechnen ist, einer weiteren wichtigen Bezugsfigur von Menke – bewahren sich diese Denker zwar eine gewisse Distanz zum „Vulgärfaschismus“, doch unternehmen indes alles, um mit ihrem Irrationalismus die Errungenschaften der Moderne zu verunglimpfen und einer reaktionären Wende dadurch den Weg zu bereiten.
Sicherlich sind die Debatten dieser Milieus viel zu abgehoben von der wirklichen Praxis, um wirklich im politischen Sinne gefährlich zu sein. Eher handelt es sich um pseudoradikale Verbalrevolutionäre ohne jedwede gesellschaftliche Relevanz. Doch man sollte den Einfluss dieser eifrigen Bemühungen um eine denkerische Demontage der Errungenschaften der Aufklärung ebenso wenig in ihrer kulturellen Reichweite unterschätzen. Menkes Theorien werden auch außerhalb der Fachphilosophie durchaus breit rezipiert und für eine „radikale“ Kritik an der liberalen Moderne in Anschlag gebracht. Sie sind der ideologische Hintergrundsound der autoritären Wende, deren Zeugen und Opfer wir im Augenblick sind. Ihre soziale Funktion besteht genau darin, mittels dem Streuen intellektueller Nebelkerzen von wirklich emanzipatorischen Anliegen und Einsichten abzulenken und die Kräfte der wirklichen Befreiung zu verwirren.
Ich kann in dieser kurzen Präsentation kaum mehr als diejenigen Aspekte von meiner Kritik an Menkes Ausführungen vorstellen, die mir für eine gegenwärtige Praxis der Befreiung besonders relevant zu sein scheinen. Menkes Studie fußt auf der Prämisse, dass wir „in einer Zeit gescheiterter Befreiungen“ leben würden. Hier wäre aus meiner Sicht bereits entschiedener Widerspruch anzumelden. Aus einer emanzipatorischen Perspektive heraus betrachtet, leben wir in einer Zeit unvollendeter Befreiungen. In jahrtausendelangen Kämpfen haben sich die Menschen um ein immer höheres Maß an Freiheit bemüht und diverse Unterdrückungsverhältnisse überwunden – und dies erfolgreich. Es handelt sich um keinen Irrweg, auch wenn es immer wieder Blockaden und Rückschläge gibt. Zyniker wie Menke verweisen auf diese Probleme mit höhnischer Freude – doch sie nehmen sie nicht zum Anlass, darüber nachzudenken, wie diese Rückschläge in Zukunft verhindert und diese Blockaden erfolgreich überwunden werden können; sie möchten vielmehr dazu aufrufen, diesen Kampf darum, wie es Marx nannte, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ sein zu lassen im Namen eines vermeintlich „radikaleren“ Begriffs der Befreiung. Dieser Defätismus ist theoretisch vollkommen unbegründet, moralisch verächtlich und politisch einfach nur reaktionär.
Es ist die Einstellung Heideggers, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg im Brief über den Humanismus und anderen Schriften die Shoah, an der er selbst als engagiertes Mitglied der NSDAP aktiv Anteil hatte, dadurch relativierte und entschuldigte, dass sie ja in einem viel größeren „seinsgeschichtlichen“ Kontext betrachtet und als letzte Konsequenz der „abendländischen Seinsvergessenheit“ begriffen werden müsse. Schuld an dem Rückfall in die Barbarei seien nicht die Gegner der Aufklärung, sondern die Aufklärer selbst, nicht die Antihumanisten, sondern die Humanisten.
Dieses Narrativ wurde von zahlreichen seiner reaktionär gesinnten Adepten in der Folge begeistert aufgesogen, nicht zuletzt den Vertretern der Postmoderne wie vor allem Jacques Derrida und Michel Foucault. Als neue Modephilosophie rückte in den letzten Jahren der sogar noch reaktionärere, vom französischen Soziologen Bruno Latour begründete, „Neue Materialismus“ auf den Plan. Das allgemeine Credo: Wenn wir den Faschismus endgültig überwinden wollen, müssen wir die Prämissen des „abendländischen Denkens“ grundlegend in Frage stellen. Seltsam nur, dass man damit haargenau dasselbe sagt wie die erwähnten Denker der Konservativen Revolution vor 1933 – und wie die Faschisten selbst.
Oberflächlich erinnert diese Haltung Menkes an Einsichten, die auch die Vertreter der ersten Generation der Frankfurter Schule artikulierten. Vor allem Adorno und Horkheimer sprachen in der Dialektik der Aufklärung von einem Scheitern der Aufklärung angesichts des Faschismus und der modernen Massengesellschaft und machten dafür die in der Aufklärung selbst angelegte Dialektik verantwortlich. Doch auch wenn man sich natürlich, wie es Menke extensiv tut, aus den Schriften Adornos, Horkheimers und Benjamins einzelne Textstellen zusammenklauben kann, um das eigene reaktionäre Projekt zu unterfüttern, gingen diese Denker doch niemals den Schritt des Defätismus, sondern glaubten weiterhin daran, dass eine über sich selbst aufgeklärte Aufklärung das Projekt der Aufklärung in einer befreiten Gesellschaft vollenden könne. Wie sich leicht zeigen lässt, grenzten sie sich ganz im Gegenteil von der reaktionären Position, wie sie Menke vertritt, dezidiert ab.
Das immer wieder wiederholte Kernargument Menkes gegen den „westlichen“ Freiheitsbegriff lautet, dass er Freiheit vor allem als Selbstermächtigung verstehe, als Freiheit eines Subjekts von äußeren Zwängen. Indem es sich selbst ermächtige, verstricke sich das Subjekt jedoch nur in neue Abhängigkeiten und schaffe neue Herrschaftsverhältnisse. Sein Gegenentwurf basiert darauf, Befreiung als Erfahrung des „Fasziniertwerdens“ zu verstehen, als passives Ergriffenwerden von einer höheren Macht, die einen aus der Gewohnheit herausreiße und von seiner Subjektivität befreie.
Ganz oberflächlich betrachtet, hat dieser Gedanke natürlich eine gewisse Plausibilität. Man müsste ein völliger Spießer sein, um Befreiung ohne dieses Moment zu denken. Befreiung ist wesentlich Befreiung von der Gewohnheit, Aufbruch und Wagnis des Neuen. Menke muss in der Folge denn auch sein eingangs entfaltetes Narrativ im Laufe des Buches vollständig revidieren. Anhand der Analyse zahlreicher philosophischer, literarischer und religiöser Texte sowie der Fernsehserie Breaking Bad zeigt er vielmehr selbst auf, dass Befreiung auch innerhalb der „abendländischen“ Tradition stets auch als Erfahrung der Faszination verstanden worden ist. Wenn überhaupt, dann müsste die „abendländische“ Tradition selbst als Geschichte des Konflikts dieser beiden Freiheitsverständnisse verstanden werden, nicht so, dass man diesen „neuen“ Freiheitsbegriff von außen an sie herantragen müsste.
Doch es wird noch seltsamer. Menke analysiert in seinem Buch unterschiedliche Versuche, Befreiung als Erfahrung des Fasziniertwerdens zu beschreiben und folgert selbst, dass diese gescheitert sind und auch notwendig scheitern müssen. Was er am Anfang großspurig verspricht – einen neuen Begriff der Befreiung, der die Möglichkeit einer gelingenden Befreiung aufzeigt –, gelingt ihm am Ende überhaupt nicht. Er kommt zu dem ernüchternden Resultat, dass beide Weisen der Befreiung notwendig scheitern müssen, sowohl die „abendländische“ als auch die „faszinierte“. Und was er am Ende aus diesem Resultat theoretisch macht, bleibt vollkommen nebulös und abstrakt.
Als einzigen Ausweg skizziert Menke am Ende des Buches einen „mystischen Nihilismus“. Es gehe darum, sich der Befreiung der Faszination in ihrer Reinheit zu erinnern als Einsicht, so könnte man es vielleicht reformulieren, in die Offenheit und Unbestimmtheit der Welt. Das bedeutet aber nichts anderes, als dass Menke am Ende den unversöhnlichen Gegensatz zwischen den beiden Verständnissen von Befreiung, den er eingangs einführte, implizit doch wieder zurücknimmt, denn er selbst schlägt die „Erinnerung“ der Seite des „abendländischen“ Freiheitsverständnisses zu.
Menkes Grundproblem: Er möchte Faszination als Erfahrung denken, die aus der Subjektivität befreie. Doch wenn Faszination eine Erfahrung sein soll, muss sie notwendig die Erfahrung eines konkreten Subjekts sein. Und wenn man diese Erfahrung dann auch noch denken möchte, dann bewegt man sich als denkendes Subjekt notwendig im Bereich des „abendländischen“ Freiheitsverständnisses.
Menke konstruiert zu Beginn des Buches also einen Scheingegensatz, müht sich daran auf hunderten von Seiten ab und zeigt am Ende doch nur auf, dass dieser Gegensatz von Anfang an falsch gewesen ist. Freiheit ist nur als Befreiung von Subjekten denkbar – und nicht als in sich widersprüchliche Befreiung von der Subjektivität.
Doch mit dieser nüchternen Einsicht möchte es Menke nicht bewenden lassen. Bis zum Schluss hält er vielmehr mantrahaft daran fest: Subjektivität ist Gewohnheit, ist Normativität, ist Gesellschaft, Befreiung ist die „Lust an der Desubjektivierung“, ist Gehorsam, ist Unterwerfung. Falsch ist es nur, diesen Gehorsam und diese Unterwerfung als Gehorsam gegenüber etwas oder als Unterwerfung unter etwas verstehen zu wollen. Es geht vielmehr um die reine Erfahrung der Desubjektivierung, des Gehorsams und der Unterwerfung an sich, abgelöst von allen konkreten Bestimmungen. Die Erfahrung der abstrakten Unbestimmtheit, fixiert als solche.
Gestehen wir zu, dass es diese eigenartige Erfahrung gibt. Dann kommen wir aber sofort zum nächsten Problem, was eigentlich ihre praktische Bedeutung sein soll. Menke gesteht selbst zu, dass sie sich nicht festhalten lässt, dass sie eine ganz unpraktische Erfahrung ist. Wie könnte sie also jemals zur wirklichen Befreiung beitragen? Versucht man dies, muss es notwendig scheitern. Ganz am Ende des Buches skizziert Menke ein paar abstrakte und vage Andeutungen, wie er sich diese wundersame Wendung vorstellt, doch sie sind ja schon von vorneherein zum Scheitern verurteilt, können gar nicht glücken.
Will man sich nicht haltlos in den Menke’schen Paradoxien verirren, besteht die einzige und zwingende Möglichkeit dazu darin, auf seinen argumentativen Trick gar nicht erst hereinzufallen und den Dualismus zwischen zwei diametral entgegengesetzten Freiheitsverständnissen gar nicht erst zu akzeptieren. Die konkreten Prozesse der Befreiung beinhalteten stets beide Momente der Befreiung und sie existieren miteinander. Befreiung bedeutet jedoch im Kern und primär genau das, was Menke als „abendländisches Freiheitsverständnis“ brandmarkt – und zwar universell und überall: die Erweiterung des eigenen Handlungsvermögens qua Befähigung. Unfreiheit hingegen ist die Beschränkung desselben. Gibt man diese Grundprämisse auf, gerät man unweigerlich ins begriffliche Nirwana und auch alle anderen Grundbegriffe emanzipatorischen Denkens verlieren ihren Sinn – doch offenbar möchte der erklärte „nihilistische Mystiker“ Menke auch genau dort hin. Er ergötzt sich am ästhetischen Schauspiel des Scheiterns der Bemühungen um konkrete Befreiung, während sich andere darum bemühen, dass Befreiung gelingt.
Während es Menke vorerst beim nihilistischen Mystizismus belässt, ist indes klar, dass es sich auf dieser Spitze nicht lange verweilen lässt. Was soll er dem Faschismus auch schon entgegensetzen? Den abstrakten Verweis darauf, dass jede bestimmte Unterwerfung unter etwas schlecht ist? Doch der nihilistische Mystiker wie auch der Faschist sind sich einig darin, dass es Faszination braucht, um die Schranken der verhassten bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Ideale zu durchschauen. Hauptsache Unterwerfung – egal unter was; so die logische Folgerung aus dem nihilistischen Mystizismus. Dass der Faschismus indes mit einer grundsätzlich nihilistischen Welthaltung nicht nur nicht unvereinbar ist, sondern sie im Gegenteil gerade voraussetzt, kann man den Schriften der erwähnten konservativen Revolutionäre mehr als deutlich entnehmen. Faschisten unterscheidet von nihilistischen Mystikern nur, dass sie den Sprung in den Glauben an irgendetwas wagen – und zwar genau um der „Lust an der Desubjektivierung“ willen. Es geht darum, berauscht in den Abgrund zu taumeln, ganz nach Menkes Geschmack. Alle Reflexion, alles Beharren auf die eigene Subjektivität fallen lassen – nicht um der Wahrheit, sondern um der Faszination willen. Faschismus ist nicht das Gegenteil von Faszination – es ist die Politik der Faszination in ihrer konkreten, von philosophischen Mystifikationen und Schrullen gereinigten Gestalt.
Mit den Faschisten und konservativen Revolutionären ist sich Menke ferner darin einig in seiner Ablehnung der Grundprinzipien der modernen Gesellschaft, der Ideen von 1789. Aus seinem Antiliberalismus, Antiindividualismus und nicht zuletzt Antisozialismus macht er keinen Hehl. Wenn er am Ende des Buches in, wie vermerkt, vollkommen paradoxer Weise vom „neuen Menschen“ und einer ihm entsprechenden „Politik der Erziehung“ schwadroniert, kann einem angesichts dessen wirklich nur angst und bange werden.
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