Als Leibniz in den Prinzipien der Natur und der Gnade die Frage stellte, warum es eher Etwas als Nichts gebe (Nr. 7: Pourquoi il y a plustôt quelque chose que rien?), war seine Verteidigung des Seins von dem Wunsch beseelt, einen letzten Grund für alles Seiende zu finden. Diesen letzten Grund nannte er Gott und dachte ihn als ein Wesen von höchster Vollkommenheit, höchster Macht, höchstem Wissen und höchstem Willen. Leider konnte es dieses Wesen trotz seiner Allmacht nicht verhindern, das es mittlerweile im Sterben liegt. Diese Vorstellung und Erfindung der Menschen verliert an Macht und Leben, je weniger Menschen an diese Vorstellung glauben. Das Etwas, das Gott einmal war, in all seiner Herrlichkeit und Schrecklichkeit, in all seiner Überlegenheit und in all seiner Forderung, sich fortwährend selbst zu überwinden, verwandelte sich in ein Nichts und eine Nichtigkeit, für dessen Existenz nur noch wenige Gründe sprechen.
Und so ist es heute kaum noch genießbar zu lesen, mit welchem Eifer sich Leibniz in der Theodizee redlich darum bemühte, die Frage zu beantworten, wieso ein solch perfektes Wesen, wie es Gott ist, die Übel und das Böse in der Welt zulassen kann. Wenn es Gott nicht mehr gibt, wenn der letzte Grund für alles Seiende wegfällt, wenn alles Seiende aus Nichts kommt und für Nichts geschaffen ist, verwandelt sich die Theodizee in eine Nihilodizee: Wie kann es sein, dass weder das Gute noch das Böse für Etwas taugen? Wie kann das nichtige Nichts das Gute zulassen?
Der Nihilismus und die Nihilodizee
Die Frage nach der höheren Gerechtigkeit des Nichts fällt zusammen mit der Heraufkunft des europäischen Nihilismus. Die Entbergung des Nichts als letzten Grund aller Dinge stößt sie in den Abgrund ihrer Sinnlosigkeit. Wenn das Sein entgleitet, entstehen Angst, Unbehagen und das Unheimliche. Das drohende Nichts und der machtlose Gott sind die Grundprinzipien einer jeden Form des Nihilismus, wie auch immer sie in einer Philosophie auftauchen mögen.
Bei einer solchen nihilistischen Grundstellung bleibt – der Theodizee nicht unähnlich – als Aufgabe der Philosophie eine Therapie der Seele, die Trost spenden kann, möglich und übrig. Doch das Verhältnis von Erkenntnis und Verzweiflung macht eine Kehrtwende und dreht sich ins Gegenteil.
Bei Leibniz ist die Erkenntnis das Tröstende selbst: Die Welt kann nicht – auch nicht bei einem allmächtigen Gott – die beste aller denkbaren Welten sein. Sie muss die beste aller real möglichen Welten sein. Und weil alle Wesen außer Gott nicht perfekt und nicht notwendig gut sein können, muss ihre Existenz kontingent und sie selbst möglicherweise böse sein. Von Gottes Allgüte bleibt in der bestmöglichen Welt nur eine Tendenz zum Guten übrig, eine Harmonie und ein Drang zur Perfektion. Mit dieser Erkenntnis ist eine Versöhnung mit dem Bösen möglich.
Im Nihilismus stößt die Erkenntnis der Wahrheit die Erkennenden dagegen in die Verzweiflung. Das Nichts als Ungrund raubt dem Dasein jeden Wert und jede Möglichkeit, das Bessere oder Schlechtere abzuwägen und zu erkennen. Wenn das Dasein tatsächlich nichts weiter bedeutet, als eine bloße Hineingehaltenheit in das Nichts (vgl. Heidegger, Was ist Metaphysik?), verwandelt sich jedes Miteinandersein in einen Kampf um Macht, bei dem keine prästabilierte Harmonie die übelste aller denkbaren Möglichkeiten verhindern könnte. Ein Prinzip des unzureichenden Grundes macht jede Existenz von sich aus kontingent und imperfekt. Das Chaos ist möglich, das Gegenteil des Soseins notwendigerweise latent vorhanden, sonst wäre das Nicht des Nichts nicht möglich. Alles vergeht und jede Art der Ordnung selbst, des Wesens überhaupt, wird fraglich, wenn es eher Nichts als Sein gibt.
Eine Lösung erkennt das Nichts an
In einer nihilistischen Nihilodizee wäre der Umgang mit der Welt nichts weiter als ein großes Als-Ob. Die Menschen würden sich selbst belügen, wenn sie an ein Wesen glauben, oder es an Ernst und Strenge fehlen lassen, wenn sie grundlos das Als-Ob mitspielen, obwohl sie Einsicht in den nichtigen Abgrund allen Seins gewonnen haben. Dumm ist nur, wer glaubt, die Macht aus dem Nichts, die seinsvernichtend waltet, durch Ethik und Moral zügeln zu können.
Es gibt viele Namen in der neueren Philosophie, die Einsicht in die nihilistische Wahrheit des Waltens der Welt erlangten und sich danach auf die Seite des Seins schlugen, als Seinshirten und Fürbitter des Noch-nicht-Seins. Deren pastorales Programm braucht hier nicht im Detail besprochen zu werden, klar ist nur: Sie wollen festhalten an der Entscheidung, ob es eher Sein oder eher Nichts gibt. In dieser Abwägung, in dem Ausschluss des Einen gegen das Andere liegt das eigentliche Problem, das verhindert, in den Fragen der Theodizee oder Nihilodizee weiter voranzukommen. Sein und Nichts als gleichwertige Teile der Welt zu denken, hat seit Leibniz allein Hegel versucht. Er behandelte sie, wenn auch mit vielen Fehlern, als die Wahrheit, die allem Werden zugrundeliegt, insofern es Bewegung ist (Enzyklopädie § 88).
Dass der Ausschluss und die Verrechnung des Seins gegen das Nichts keinesfalls zwingend ist, merkt man schon an der seltsamen Begründung, die Leibniz für einen Vorrang des Seins anführt. Es gebe eher Sein als Nichtsein, weil das Nichts leichter und einfacher ist als das Sein (Prinzipien der Natur und der Gnade Nr. 7). Er nimmt das Grundlose nicht schwer, er nimmt es leicht, wiegt es und befindet es sogar als zu leicht, um philosophisch etwas zu taugen.
Der Gebrauch und die Leichtigkeit des Nichts
Tatsächlich hat niemand seither versucht, dieses Leichte und Einfache, das Leibniz dem Nichts zuschreibt, näher zu erkunden. Die Einfachheit besteht wohl kaum in einer vermeintlich simpleren Lösung bloß für die Erkenntnis der Welt, weil eine völlige Wertfreiheit des Daseins nicht zu weniger ethischen und ontologischen Schwierigkeiten führt als eine Parteinahme für das Sein. Die Leichtigkeit muss vielmehr selbst eine Wirkung des Nichts sein.
Einen Hinweis auf dieses Einfache, das wir suchen müssen, gibt eine alte chinesische Weisheit: Sein macht Habe, Nichts macht Gebrauch (Laozi Nr. 11). Das Nichts macht leichter und einfacher, weil es den Gebrauch ermöglicht. Nehmen wir als Beispiel einen Krug oder ein Rad: Gerade dasjenige, das durch diese Dinge mit entsteht und noch unbestimmt bleibt, nämlich die Leere der Nabe und das Fassende des Gefäßes, erlauben erst den Gebrauch dieser Dinge. Dank dieses bestimmten Nichts wird die Welt zu einem Zuhandenen mit ihren verschiedenen Gebrauchsweisen in ihrer jeweiligen Dienlichkeit.
Verallgemeinert man diese Weisheit auf das Sein und das Nichts überhaupt, so müsste das Nichts sogar den Vorrang haben, weil es der Gebrauch ist, der allgemein den Vorrang hat. Die Welt gibt sich in der Weise, dass sich in ihr Wesen selbst und andere gebrauchen. Der Gebrauch von sich führt zu einer Aneignung von Sein, denn die Aneignung macht sich Formen des Gebrauchs zum eigenen Besitz. Ein Klavierspieler hat das Sein als Klavierspielender erworben, wenn er die wohlklingenden und missratenen Gebrauchsweisen des Klaviers zu seiner Habe zählt, von der er wiederholend Gebrauch machen kann (vgl. Agamben: Der Gebrauch der Körper, 6.3). Der Wohlklang, den er erzeugt, wird nur unzureichend durch ihn selbst bestimmt. Der Gebrauch seines Körpers bedient sich des Wesens des Klangs, das eigene Gesetze für den Gebrauch der Harmonien kennt. Der Gebrauch in der Tat bestimmt sich immer doppelt, aus dem Zeug und dem Zeugenden, der das Zeug benutzt. Gebrauch ist wesentlich Zeugnis.
Nihilistische Technik ist unerträgliche Leichtigkeit
Die moderne Wissenschaft und Technik versichern sich der Welt nicht mehr im Sinn des zeugenden Gebrauchs. Bei ihnen bedeutet Wissen die Fähigkeit, etwas machen zu können. Höchste Technik heißt höchste Herstellung. Die Verfügungsgewalt solcher Machenschaften reicht weit über den gewöhnlichen Gebrauch von Werkzeugen hinaus. Was sie kennzeichnet, ist die Erschaffung eines mächtigen Systems. Ein System ist ein Gestell, in dem das Gebrauchende und das Gebrauchte so miteinander verbaut werden, dass sie ein Werk und eine Arbeit werden.
Etwas herstellen oder etwas machen bedeutet die Erschaffung von Etwas aus dem Nichts. Das Hergestellte war vorher nicht da und ist ins Dasein gebracht worden. Diese Herkunft aus dem Nichts bereitet Unbehagen, wenn sie zu Systemen führt mit dem Anspruch, beliebig die gebrauchten Wesen so ineinander zu verbauen, dass sie nach dem Willen des Systemarchitekten wirken und nur auf diesem Willen zur Wirkung beruhen. Eine solche Technik ist wesenlos in dem Maß, wie sie dem Zeug, das sie verwendet, kein Eigenes als Habe zugesteht. Diese Art der neuzeitlichen Technik und die Metaphysik, die sie begleitet und ermöglicht, sind die tätige Avantgarde des Nihilismus. Sie erleichtern das Dasein trügerisch, weil sie die Menschen an eine wesenlose Gebrauchsweise des Nichts gewöhnen.
Eine Lösung der Nihilodizee muss den Umgang mit der Welt umstellen von einer wesenlosen Herstellung und nichtigen Verwertung zu einer wesentlichen Gebrauch und einem unwesentlich Missbrauch. Dann erst ist das neuzeitliche Subjekt überwunden und ein leichtes Selbst gewonnen.
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