Gegenwärtig findet an der Goethe-Uni ffm wieder der Hochschulwahlkampf statt. Von einigen Hochschulgruppen wurde dabei (über das Format UTV und die Wahlausgabe der AStA-Zeitung) die Forderung nach einer Digitalisierung der AStA-Zeitung laut. Namentlich den Piraten, der Liberalen Hochschulgruppe, dem RCDS und der Liste „Riedberg“. Diese Forderung zeugt von einem bedenklichen Verständnis von Hochschulpolitik, wäre ein großer Schritt in Richtung eines entpolitisierten AStA, der auf jeden Fall verhindert werden sollte.
Die Forderung nach der Digitalisierung der AStA-Zeitung wird ausschließlich ökonomisch begründet: Es handele sich um eine ungeheure Geldverschwendung. In der Tat handelt es sich um einen relativ großen Posten im Budget des AStA, immerhin soll ja jeder der etwa 46.000 Studierenden ein gedrucktes Exemplar der Zeitschrift nach Hause geschickt bekommen.
Doch der Sinn der AStA-Zeitung ist es, eine Plattform zu sein, auf der sich so etwas wie ein „kollektives Bewusstsein“ der Studierendenschaft artikulieren bzw. überhaupt erst konstituieren kann. Doch könnte sie das auch, wenn es sie nur noch in digitalisierter Form gäbe?
Wie jeder Organisator von Veranstaltungen, die sich nicht nur an ein kleines Fragment der Öffentlichkeit, sondern wirklich um die Öffentlichkeit im umfassenden Sinne, richten, weiß, sind traditionelle Print-Medium (wie das Plakat oder der Flyer) nach wie vor ein unverzichtbares Mittel, um diese Öffentlichkeit wirklich zu adressieren. Denn der digitale Raum, das Internet, ist seiner Struktur nach auf Fragmentarisierung ausgelegt: Man bekommt nur die Informationen, die man entweder bewusst aktiv aufruft oder die einem auf Algorithmen basierend auf vergangenen Entscheidungen maschinell zugeteilt werden. Dies hat seinen Sinn darin, dass die ungeheure potentielle Quantität möglicher Informationen eine automatische Vorselektion unverzichtbar macht. Doch ich laufe als Internetnutzer stets in Gefahr, von Dingen, die sich jenseits meiner Mailinglists, meines Facebook-Netzwerks, meiner Twitter-Abonemments etc. befinden, überhaupt nichts mitzubekommen – von der Welt also permanent nur das mitzukriegen, was ohnehin bereits meiner Sicht von ihr entspricht. Was meine jeweilige Weltsicht transzendiert, irritiert, stört wird binnen einer Entscheidung von Sekundenbruchteilen weggeklickt. Auf individueller Ebene nehme ich mir so die Möglichkeit, wirklich Neues zu erfahren. Auf kollektiver Ebene wird dadurch die Herstellung einer wirklichen Öffentlichkeit (wie sie historisch von je her über Formen wie das Theater oder eben die Presse erfolgte) verunmöglicht. An die Stelle eines mehr oder weniger einheitlichen Kollektivbewusstseins einer Zeit von sich selbst (das es natürlich real aufgrund der wirklichen Fragmentierung der Gesellschaft nie gegeben hat) tritt eine Vielzahl von fragmentierten Zielgruppen-Bewusstseinen, die nicht mal mehr miteinander kommunzieren, sondern nur noch neutral nebeneinander her existieren. So wird nicht nur Öffentlichkeit, sondern letztendlich noch mehr zerstört: Die Möglichkeit gemeinsamen Handelns in einer gemeinsam dialogisch konstituierten Welt, wie sie für demokratische Politik konstitutiv ist. An die Stelle der Demokratie tritt Bürokratie zum Schutz der eigenen Wohlfühlzone, in der man sich es nun einmal eingerichtet hat.
Im Offline-Alltag ist das nicht so ohne Weiteres möglich. Ich werde permanent mit Dingen konfrontiert, die ich eigentlich nicht haben möchte: Menschen, die ganz anders leben als ich, Informationen, die meinem Weltbild womöglich konträr widersprechen, Eindrücke, die mich womöglich zur einer Konversion meines Weltbildes bewegen. Auch im 21. Jahrhundert kann sich wirkliche Öffentlichkeit nur offline konstituieren: Über reale Versammlungen, reale Treffen, reale Flyer, reale Plakate, reale Zeitungen, reale Bücher etc.
Öffentlichkeitsbildung ist dabei natürlich ein anstrengender Prozess, da sie immer konflikthaft verläuft. Sie ist jedoch ein genuin politischer Akt, insofern sie die reale Vereinzelung der Menschen hin überschreitet auf eine gemeinsame Welt – und sei es eine gemeinsame Welt der Zukunft. Sie ist sogar die Bedingung der Möglichkeit wirklicher Politik, die mehr ist als bloße Verwaltung. Denn nur in der Öffentlichkeit kann über die Zwecke von Verwaltung debattiert werden – für die Verwaltung selbst stehen die Zwecke immer schon fest. Doch jede pragmatische Entscheidung kann vor dem Hintergrund zahlloser Zwecke getroffen werden, die alles andere als feststehen. Die Debatte um die Digitalisierung der AStA-Zeitung ist dafür selbst ein gutes Beispiel: Die Listen, die sie fordern tun so, als gehe es ihnen allein um pragmatische, ideologiefreie Rationalität. Doch die Forderung nach einem „pragmatischen AStA“ ist selbst keineswegs „pragmatisch“, sondern Resultat einer ganz bestimmten Ideologie – nämlich einer dezidiert antipolitischen Grundeinstellung, die so tut, als gäbe es in der Gesellschaft keine wesentlichen Konflikte mehr. Doch die gibt es und die AStA-Zeitung wäre ein Ort, sie auszutragen.
Gerade an der Uni Frankfurt mit ihrer oft beklagten schon räumlichen Zersplitterung in gegenwärtig vier weit voneinander entfernte Campen (ich war in zwei von ihnen selbst in all den Jahren nur ganz wenige Male) und dem oft beklagten Nebeneinanderherexistieren gilt es, über eine an alle Studierenden verschickte gedruckte AStA-Zeitung wenigstens die Möglichkeit bereit zu stellen, dass alle Studierenden an den Belangen der Studierendenschaft gleichermaßen Teil haben, gleichermaßen Anteil an denselben Debatten und Informationen haben.
Ob diese Möglichkeit auch tatsächlich genutzt wird, steht auf einem anderen Blatt. Hier beschreiben die genannten Listen leider einen realen Missstand: Die meisten Studierenden haben offenbar gar kein Interesse daran, Teil einer studentischen Öffentlichkeit zu sein und werfen die Zeitschrift einfach ungelesen weg. Manche wissen nicht einmal von ihrer Existenz. Doch mit demselben Argument könnte man auch den Versand der Wahlunterlagen an alle Studierenden abschaffen. Viel eher gilt es genau zu fragen, was die Gründe für das Desinteresse der Studierenden an einer studentischen Öffentlichkeit sind und wie man die AStA-Zeitung attraktiver gestalten könnte, um diesem Desinteresse zu begegnen. Hierzu einige Überlegungen:
Um langfristig Geld beim Druck der Zeitung zu sparen, wäre es womöglich sinnvoll, wenn sich der AStA eine eigene Druckmaschine anschaffen würde. Soweit ich weiß, ist das nicht unüblich. Diese könnte auch für beliebige andere studentische Druckerzeugnisse eingesetzt werden und würde sich sicher schnell amortisieren.
Um die Qualität der AStA-Zeitung zu verbessern, sollte die Redaktion mit mehr Mitteln ausgestattet werden, um etwa Redakteuren ein kleines Honorar zahlen zu können, das Layout zu verbessern, ein professionelles Korrektorat durchzuführen und selbst wenigstens eine kleine Aufwandsentschädigung zu erhalten. Denn die Realität der Studierenden sieht heute nun einmal so aus, dass man ständig die Wahl zwischen ökonomisch sinnvollen und nicht sinnvollen Aktivitäten hat und bei dieser Wahl letztere (zumal, wenn sie durchaus mit erheblichen Anstrengungen verbunden sind wie die Redaktionsarbeit) tendenziell immer weniger Raum einnehmen können. Letztendlich ist die Mitarbeit in der AStA-Redaktion vergleichbar mit einem Praktikum in der Wirtschaft und sollte genauso wie jene wenigstens minimal vergütet werden.
Es ist auch klar, dass sich die AStA-Zeitung inhaltlich ändern muss. Dies ist jedoch wiederum eine politische Frage: Die „Allgemeinheit“ ist nichts, was an sich vorhanden wäre in einer an sich fragmentierten Studierendenschaft, sondern ist ein Entwurf, etwas Herzustellendes. Es mag sein, dass das, was empirisch die meisten Studierenden ansprechen würde, vom Standpunkt ihrer wahren politischen Interessen aus betrachtet falsch wäre. Die AStA-Zeitung hat somit einen Bildungsauftrag und sollte dezidiert Artikel veröffentlichen, die nicht einfach nur den studentischen „common sense“ widerspiegeln (der, ohne allzu elitaristisch klingen zu wollen, sich doch einfach nur irgendwo zwischen Schmink-, Weggeh-, Selbstoptimierungs- und Karrieretipps bewegen würde – Hauptsache pragmatisch und wohlfühlmäßig), sondern diesem mitunter auch widersprechen. Bei jedem Artikel sollte jedoch die Frage gestellt werden, ob sich dieser wenigstens der Möglichkeit nach eine die studentische Allgemeinheit richtet oder nicht. Ich meine etwa, dass es sinnvoll wäre – und in der Vergangenheit ja auch geschah – auch im „common sense“ zentrale Themen wie die Finanzierung des Studiums, Wohnraummangel, psychische Probleme, Beziehungsprobleme, Zukunftsängste oder Langeweile aufzugreifen, jedoch aus einer dezidiert nicht-pragmatischen, nicht bloß therapeutischen, sondern wirklich in einem emphatischen Sinne aufklärenden, die partikularen Probleme hin auf allgemeine politische Fragen der Gesellschaft beziehenden Perspektive. Ich meine „Politik“ dabei in einem sehr weiten, umfassenden Sinne. Nur, um ein Beispiel zu geben: Anstatt pragmatische Tipps zur Optimierung des eigenen Körpers mit dem Ziel der Steigerung des eigenen Wertes auf dem Beziehungsmarkt zu diskutieren, könnte man darüber schreiben, wie sich dieser Beziehungsmarkt überhaupt konstituiert, welchen sexistisch-patriarchalen Vorstrukturierungen er unterliegt, wie man sich subjektiv wenigstens partiell dem Zwang entziehen kann, auf diesem Markt irgendwie erfolgreich konkurrieren zu müssen, um zu beweisen, dass man ein „ganzer Mann“ oder eine „ganze Frau“ ist. Man hätte somit ein Thema, was wirklich 99 % aller Studierenden irgendwie betrifft. Ich gebe zu: 90 % würden den Artikel trotzdem nicht lesen. Sie würden ihn spätestens nach der Lektüre der ersten Sätze, die bereits suggerieren, dass er irgendwie „anstrengend“ sein könnte, weglegen. Wer will ihnen das verübeln, ist der Alltag in der heutigen Gesellschaft doch schon anstrengend genug? Doch wieso soll die AStA-Zeitung nicht auch anstrengend sein dürfen? In der heutigen Situation der universellen Fragmentarisierung der Gesellschaft in sorgsam abgezäunte Wohlfühloasen muss sie es sogar, sofern es ihr wirklich um das Allgemeine geht, notwendig sein.
Zu denken wäre auch an ein häufigeres, regelmäßigeres Erscheinen. Am University College Dublin, an dem ich zwei Semester studierte, gab es etwa zwei Zeitungen, die kostenlos an der Unibibliothek auslagen und jeweils wöchentlich erschienen. Dadurch könnte die Zeitung auch besser aktuelle Themen ansprechen und deutlich an Relevanz und Präsenz gewinnen.
Für die „pragmatisch“ orientierten Studierenden hat die gedruckte Ausgabe wenigstens den Vorteil, als Verpackungs-, Bastel- oder Brennmaterial dienen zu können. Von einer digitalisierten hätten sie nicht einmal den. Und vielleicht springt ihnen beim Einpacken der Gläser beim Umzug doch ein interessanter Artikel ins Auge, der sie zum Nachdenken über ein wichtiges Thema anregt?
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