Folgend eine kurze Betrachtung, die schon vor einigen Tagen entstanden ist und aufgrund der Wahl zum „Wort des Jahres“ nun erneut an Aktualität gewonnen hat.
Es gehört zu den Merkmalen dieser unserer Zeit, dass sie stets nach den einfachen Antworten auf die ihr sich stellenden und von ihr gestellten Fragen sucht. In ihrem Suchen lässt sich sich nun vornehmlich von Emotionen leiten, welche eine Antwort bekräftigen, so zwar, dass sie die Fragwürdigkeit dieser Antwort verdunkeln. Wo Fragwürdigkeit aus dem Blick gerät, da findet auch keine kritische Argumentation, kein Abwägen des Für-und-Wider mehr statt. Das Festhalten an der gegebenen Antwort erhält sich selbst, zugrundeliegende Fakten werden nebensächtlich oder gar überflüssig. So nennen wir diese unsere Zeit das post-faktische Zeitalter.
Allein muss die Frage gestellt werden, welche ist diese unsere Zeit, wo hat sie begonnen, wo wird sie vermutlich enden? Seit Anbeginn seiner Zeit hat der Mensch vor der Frage als solche gestanden, welcher er durch sein eigenes Denken unweigerlich begegnete. Im gleichen Ursprung war ihm zudem gegeben, dass er sich nach Möglichkeit der Frage entzog, indem er sie beantwortete, aber schlichtweg beantwortete, um sich durch die Be-antwortung der Last der Ver-antwortung durch die beständige Fraglichkeit zu entziehen. Solange das Dasein ein menschliches ist, solange wird es vor die Frage gestellt sein und sich ihrer entziehen. Es zeigt sich: Diese unsere Zeit, das ist die Zeit des Menschen.
Wie aber geht das zusammen? Ein post-faktisches Zeitalter bedingt ein faktisches Zeitalter, dem es nachgestellt ist, wie uns das Präfix ‚post‘ andeutet. Solch ein Zeitalter kann es aber für den Menschen nicht gegeben haben. Wenn es vor dem Menschen liegen sollte, so geht es den Menschen hingegen nicht an. Gerade in Anbetracht der Geschehnisse des zwanzigsten Jahrhunderts ist die Annahme einer faktischen Zeit in jüngerer Vergangenheit zumal eine kaum zu überbietenden Farce.
Der Begriff der Postfaktizität will uns aber wohl genau dieses suggerieren: Es gab eine Zeit, die nun nicht mehr ist, in welcher Antworten durch Fakten, durch Anschauung der Wahrheit gefunden wurden. Diese Annahme geht Hand in Hand mit jeder anderen Form von „früher war alles besser“. Es wird abgehoben auf ein Vergangenes, das ein Besseres war – es handelt sich demnach um einen Verlust, welcher zu betrauern ist. Mit der Trauer ist der Schritt in die Emotionalität bereits vollzuogen, dazu gesellt sich der Kampfgeist, der das Vergangene wiedergewinnen, zu einem Gegenwärtigen auferstehen lassen will. Der Begriff der Postfaktizität ist so selbst schon ein emotional belandener, der seine eigene Fragwürdigkeit verdunkelt. Er ist somit nicht als Diagnose dienlich, sondern selbst ein Symptom dieser unserer Zeit.
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