Man nannte ihn kurz „Zassi“ und bei diesen Namen möchte ich es auch belassen. Er verwendete ihn auch selbst stets und was eigentlich sein wirklicher bürgerlicher Name ist, weiß ich ebenso wenig wie beispielsweise, in welchem Alter er eigentlich genau verschieden ist. Auf jeden Fall zu früh – wie ja bekanntlich die meisten, die etwas taugen. Ich erfuhr von seinem Tod erst mit einigen Wochen Verspätung, wie selbst seine wenigen Angehörigen, da er in seiner zweiten „Heimat“ Thailand an den Folgen eines Badeunfalls verschied. Er starb am 29. Juni, ich erfuhr es irgendwann im August während meines diesjährigen Urlaubs, als ich aus Langeweile eine schon lange nur noch unregelmäßig genutzte E-Mail-Adresse „checkte“, wie es heißt.
Ich kann nicht sagen, dass ich mich Zassi wirklich eng befreundet gewesen wäre. Ich könnte fast sagen, dass ich ihn in einem „anderen Leben“ kennenlernte, als ich als junger Student in Frankfurt am Main in einem autonomen Hausprojekt namens „Institut für vergleichende Irrelevanz“ (kurz: IvI) engagiert war, in dem er wohnte und eine Art „Hausmeisterrolle“ einnahm. Das ist nun über zehn Jahre her und seitdem ich vor einigen Jahren aus Frankfurt weggezogen bin, habe ich zu Zassi nur noch unregelmäßigen Kontakt per E-Mail gehabt. Was immerhin etwas heißen will, denn zu den allermeisten meiner damaligen Bekannten habe ich mittlerweile überhaupt keinen Kontakt mehr.
Wenn ich „Hausmeister“ schreibe, ist das freilich ein wenig zu kurz gegriffen. Er war zugleich eine Art „Sozialarbeiter“. Er hielt sich aus allem heraus und sprach mit jedem. Mich nahm er geradezu ein wenig „väterlich“ an der Hand und gab mir einige gute Ratschläge auf den Weg. Über alle Intrigen, persönlichen Befindlichkeiten und politischen Zankereien hinweg betonte er das aus seiner Sicht Wesentliche: Dass die Abschaffung des Kapitalismus und mit ihm aller Herrschaft das Ziel sein müsse und dass man im IvI in ästhetischer wie praktischer Form bereits jetzt gemäß den Prinzipien jener kommenden Welt leben müsse. Dieses Prinzip predigte er freilich nicht, sondern er lebte es einfach vor. Er war ein Ruhepol und eine moralische Autorität – ohne ihn wäre das IvI, davon bin ich fest überzeugt, bereits wesentlich früher zusammengebrochen als es geschah (im physischen wie im psychischen Sinne).
Eng verbunden fühle ich mich Zassi vor allem, weil er mich vor ziemlich genau zwei Jahren in Leipzig besuchen kam. Genauer: Er besuchte seine hier lebende Mutter und bei dieser Gelegenheit auch mich. Ich war damals für eine Woche im Krankenhaus und hatte damals geglaubt, meinerseits bald das Gras von unten wachsen zu sehen, weshalb ich ihm für diesen Besuch sehr dankbar war.
Zassi war wohl das, was man gemeinhin als einen „Aussteiger“ oder einen „Lebenskünstler“ bezeichnet. Er ging keiner geregelten Arbeit nach, betrog das Amt und fristete seine Existenz ansonsten als Lumpensammler. Ja, er war „Lumpenproletarier“ in dem ganz wörtlichen Sinne, dass er allen möglichen Kram hortete und auf Flohmärkten verkaufte. Er stattete mir selbst kurz vor meinem Umzug nach Leipzig einen Besuch ab und nahm mir einigen Krempel ab, den ich nicht mehr brauchte und den ich ihm gerne gab. Er verdiente auf diese unseriöse Art immerhin genug, um sich einmal im Jahr einen Flug nach Thailand leisten zu können, wo er sich das den Winter über auf Kosten des ehrlichen Michels aufhielt – wenn das die Bild-Zeitung erfahren hätte! Soweit ich weiß, hatte er sich in Thailand sogar eine Art „zweite Existenz“ aufgebaut, doch auch darüber weiß ich eigentlich nur Gerüchte.
Zassi war aber nicht nur Hausbesetzer und Lebenskünstler, sondern auch Künstler im gewöhnlichen Sinne des Wortes. Einige seiner Werke können auf seinem Blog betrachtet werden, auf dem er in den letzten Monaten vor seinem Tod eine rege Aktivität an den Tag legte: http://diva.copyriot.com/ Er bevorzugte die Form der Collage, auch in dieser Hinsicht war er ein Sammler, und bezog stets die Position eines radikalen Anarchismus, der bei ihm ins Religiöse streifte: Er war ein Heimatloser, der ein Leben lang dafür stritt, dass die Welt eine Heimat für alle sein soll, und der daher auch keine Probleme damit hatte, die „ehrbaren Bürger“ und ihren Staat zu bestehlen. Für ihn war die „neue Welt“ freilich keine Sache einer fernen Zukunft: Er wollte sie schon im Hier und Jetzt leben. Ehrgeiz, Gier oder Machtwille waren ihm gänzlich fremd und entsprechend war er auch ohne Verbitterung. Ich habe ihn als Menschen ohne jedes Ressentiment erlebt. Er ist einer der wenigen, dem es gelang, sein Herz in einer Welt des Schmutzes rein zu halten und für eine bessere Welt zu streiten, ohne sich die Hände schmutzig zu machen, aber auch ohne der Selbstgefälligkeit einer „schönen Seele“ zu frönen.
Es verwundert nicht, dass Zassi starke Sympathien für den Dadaismus hegte. Ich selbst hatte die Ehre, mit ihm zusammen eine Gala zum 100-jährigen Geburtstag von Dada abzuhalten, die auf Video festgehalten worden ist – dort kann man ihn auch sehen: https://youtu.be/fnst4Yd_pUY
Sein letzter Text trägt den Titel Goetterdaemmerung und in gewisser Weise passt das gut zu ihm und seinem Tod. Er hätte als einer der wenigen die Legitimation gehabt, am helllichten Tag mit der Taschenlampe durch die Innenstadt des Babel Frankfurt zu laufen und zu fragen, wo denn hier ein Mensch sei; er hätte dem Manager, der ihm nach dem Preis für eines seiner Kunstwerke gefragt hätte, einfach nur darum gebeten, aus der Sonne zu gehen. Er war ein Diogenes unserer Tage.
Gemäß seinem eigenen Wunsch wurde seine Asche in Thailand dem Ozean übergeben.
Möge er dort in Frieden ruhen – und sein Traum von einer Welt ohne alle Entfremdung ihn überleben.
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