Die Entdeckung der „Schwarzen Hefte“ warf ein neues Licht auf die Debatte um Heideggers NS-Sympathien. Allerdings stand Heidegger seit jeher unter Verdacht, mehr als nur ein bloßer Mitläufer gewesen zu sein, der die letzten Jahres des „Tausendjährigen Reichs“ gar in inneren Emigration überwinterte. Eine weitaus größere Überraschung ist daher ein kürzlich aufgetauchter schwarzer Koffer, gefüllt mit verschiedensten Hinterlassenschaften Theodor W. Adornos, die eindeutig belegen, dass er nicht nur – wie bereits bekannt – 1933 plante, sich während der NS-Zeit in Deutschland einzuigeln und dafür bereit war, einige Zugeständnisse dem Regime gegenüber zu machen, sondern, dass er zu Beginn der Nazi-Herrschaft vorübergehend hellauf begeistert vom neuen Regime war und seine große Chance sah, ähnlich wie sein badischer Konkurrent seiner Karriere endlich entscheidenden Auftrieb zu verleihen.
Aber der Reihe nach. Der schwarze Lederkoffer wurde 1965 an die Philosophiestudentin Ute Bergenroth übergeben, mit der der Philosoph seit 1961 eine mehrjährige Affäre gehabt hatte. Auf Druck seiner Ehefrau, die diese Melange zu intim geworden war, musste er sie beenden. Da ihm Ute Bergenroth jedoch so an Herz gewachsen war, übergab er Adorno als Abschiedsgeschenk am 1. April 1965 jenes brisante Stück, versehen mit der kurzen handschriftlichen Notiz:
Liebste Ute,
Dich habe ich als einzige wirklich geliebt. Bei Dir hatte ich stets das Gefühl, als einzigem Menschen in dieser grauen Welt Schwäche zeigen zu dürfen ohne Stärke zu provozieren. Dir vertraue ich daher meine zärteste Hinterlassenschaft an, mein dunkelstes Geheimnis. Das deutsche Antisemitenpack wird sich deswegen die Hände reiben – sollen sie nur! Ich habe nichts zu verbergen. Ich wollte es dem Main anvertrauen – nun also Dir. Mein Schicksal liegt in Deinen ach so liebevollen Händen! Bitte gehe vertrauensvoll damit um. Erst in 50 Jahren soll die Welt davon erfahren. Jetzt wäre es ein zu großer Triumph für die Judenmörderbande. Bis dahin wird mein Werk ohnehin zu einem Klassiker verstaubt sein, da wird die Publikation des Inhalts keinen großen Schaden anrichten können und ein paar jungen, eifrigen Nachwuchswissenschaftlern ein leidliches Auskommen bescheren.
Sei in Gedanken ein letztes Mal umarmt!
Bitternis ist im Kelch auch der besten Liebe; so macht sie Sehnsucht zum Übermenschen, so macht sie Durst dir, dem Schaffenden!
Dein Theodor
Die nun mehr 74-jährige Dame hatte schon aus Rachsucht mit dem Gedanken gespielt, früher an die Öffentlichkeit zu treten. Doch Adorno hatte sie richtig eingeschätzt: Sie hielt dem großen Idol ihrer Studienzeit die Treue und bewahrte den Koffer 50 Jahre lang auf ihrem Dachboden auf. Nun wandte sie sich an die Halkyonische Assoziation für radikale Philosophie, um Adornos Auftrag endlich umzusetzen.
Nach einer ersten Durchsicht entschlossen wir uns, die Dokumente dem Adorno-Archiv an der Uni Frankfurt zu übergeben unter der Bedingung, dass wir die ersten sind, die über diesen spektakulären Fund berichten dürfen. Wir fühlen uns für das uns von Frau Bergenroth entgegengebrachte Vertrauen sehr geehrt!
Theodor W. Adorno hat also selbst alle Hinterlassenschaften, die auf jene Phase seines Lebens hinweisen könnten, gesammelt und in jenem Koffer für die Nachwelt aufbewahrt. Er beinhaltet insbesondere Tagebucheinträge, den Briefwechsel mit seinen Eltern und seiner (damals noch) Verlobten Gretel Karplus und mit Notizen versehene Bücher und Zeitungsartikel. Soweit wir es bisher auswerten konnten, dokumentieren die Funde folgende subjektive Situation Adornos zwischen der ‚Machtergreifung‘ und seinem Exil in Oxford 1934. Man muss betonen, dass es sich um seine subjektive Situation handelt: Seinen in den Notizen festgehaltenen Überlegungen folgten so gut wie keine Taten, keinem seiner Vertrauten teilte er etwas davon mit, seine Frau und seine Eltern nahmen das dunkle Geheimnis ebenso wie er selbst mit ins Grab.
Um was geht es nun genau? Tatsächlich waren die Ereignisse Anfang 1933 ein Schock für Adorno. Doch anders als bisher angenommen, kein negativer. Vielmehr spricht aus allem eine geradezu euphorische Begeisterung für das Geschehen. „Das ist meine Chance“, vertraut er seinem Tagebuch im Februar 1933 an:
Das Volk ist auf der Straße, überall Gemeinschaftlichkeit und Aufbruchstimmung. So muss es 1918 gewesen sein! Nun haben wir sie, die deutsche Revolution! Die Genossen vom Institut sind zu kritisch, der primitive erste Anschein der Bewegung trübt ihren Blick. Der alte Fehler der „kritischen Kritiker“. Wir dürfen gerade jetzt nicht aufgeben, sondern müssen am Ball bleiben. Was dieser neuen Bewegung fehlt, ist eine Philosophie. Ich kann der Philosoph der Bewegung sein. Im Kierkegaard-Buch bereits Spuren gelegt. Marcuse für Kooperation mit Heidegger gewinnen. Verbindung zur Partei herstellen. Vielleicht Überläufer von der KPD?
In der Tat studiert er in den nächsten Monaten fieberhaft Schriften von Heidegger und verschiedenen Nazi-Größen und versucht energisch, persönlichen Kontakt zu ihnen herzustellen. Den sich bereits früh abzeichnenden und auch gegen ihn selbst gerichteten Antisemitismus und Antikommunismus hält er für bloße Übergangsphänomene. Zum Antikommunismus heißt es:
Genau so, wie wir erkennen müssen, dass das Sozialistische nicht ohne das Nationale denkbar, sie, dass das Nationale nicht ohne das Sozialistische. Nationalsozialismus Synthese, strenger Hegelianismus – aber durchaus materialistisch. Sie werden uns als Bündnispartner gegen die Liberalen und die Trusts brauchen. Sie werden noch darum betteln, dass wir für sie schreiben. Nur Geduld.
Getrieben von diesem Optimismus, meint er zu Heideggers berüchtiger Direktoratsrede:
Hier wird bei aller Phraseologie doch einiges Richtige und Wichtige festgehalten. Es geht ja um die Autonomie der Hochschule. Die Tendenz klar, Klassengegensätze zu versöhnen, Entfremdung der Universität vom Leben aufheben. Ich könnte dasselbe Programm für Frankfurt artikulieren, nur auf dem Boden eines strikten dialektischen Materialismus. Sofort Exemplar des Kierkegaard-Buchs an H[eidegger] senden!
Auch im Falle des Antisemitismus ist sein Optimismus kaum zu überbieten:
Sie haben doch alle Nietzsche gelesen: Nur in Verbindung mit uns Juden kann Deutschland zur Weltmacht werden. Wir haben Geist und Geld, sie haben Ordnungssinn, Organisationsvermögen und militärisches Talent. Athen und Rom. Gemeinsamer Kampf für die Kultur. Der Westen muss verteidigt werden. Hauptfeind im Westen London / New York, im Osten Moskau. Schluss mit dem elenden Dasein als „ewiger Jude“ – im neuen Reich gerade für uns Heimat. Gerade wir sollten uns hinter Hitler stellen. Palästina als deutsche Kolonie, Heimat für Ostjuden. In der Tat zu viele, zu arm. Stinken. Wir Geistes- und Geldadel.
Diese Vision korrespondierte mit seinen musiktheoretischen Interessen in dieser Zeit:
Hauptgefahr auf musikalischem Gebiet der Einfluss des Ostjuden, des Zigeuners, des Negers. Verrohung. Erbe von Jahrhunderten abendländischer Tradition in Gefahr durch Dekadenz. Schönberg Gipfelpunkt dieser Tradition, muss gegen den Ansturm verteidigt werden. Militär- und Parteimärsche in 12-Ton-Musik schreiben. Vielleicht doch Komponist werden? Endlich Lücke zwischen Avantgarde und Arbeiterschaft kitten. Schönberg gegen die Anarchie der freien Atonalität und die Barbarei des Expressionismus wie Hitler gegen den Liberalismus und die Trusts. Gleichheit der Töne wie Gleichheit der SA-Leute. Kameradschaft. Kein outsider mehr sein.
Seine viel diskutierten Musikrezensionen aus dieser Periode müssen vor diesem Hintergrund als erste vorsichtige Versuche eines Herantastens an das neue Regime gelten. Adorno wollte jedoch nicht zu viel riskieren. Er fürchtete ein Scheitern Hitlers und wollte nicht vorschnell mit seinen linken Freunden brechen. Ebenso sorgte ihn der Antisemitismus. Er wäre jedoch sofort bereit gewesen, eine ähnliche Rolle wie Heidegger oder Schmitt zu übernehmen.
Glücklicherweise (wie man sagen muss) zerplatzten diese Seifenblasen schnell. Adornos Bemühungen blieben erfolglos. Heidegger und erst recht andere Nazis ließen seine Kontaktversuche unbeantwortet, er war schon längst als Halbjude und Kommunist verschrien. Sie konnte ja nicht ahnen, dass seine Artikel und Briefe aus dieser Zeit mehr als nur bloße opportunistische Heuchelei waren, sondern tatsächlich einer – wenn auch vorübergehenden – Überzeugung entstammten.
Freilich muss betont werden, dass Adorno Deutschland 1934 nicht nur aus Überzeugung und ganz freiwillig verließ. Sein Narzissmus war durch die unerwiderte Kooperationsbereitschaft mit dem Nationalsozialismus empfindlich gekränkt worden. In einem seiner letzten Tagebucheinträge heißt es dementsprechend:
Diese Idioten! Sie haben nichts begriffen! Zu unbedarft, um auch nur ansatzweise ein explizites Verständnis von dem zu gewinnen, was seit 400 Jahren auf dem Weg ist. Deutschland schaufelt sich sein Grab. Ohne mich! Fortan nur noch gegen sie arbeiten. Vielleicht Agent werden. „Was fällt, das soll man auch noch stoßen.“
Wie bekannt, scheiterten auch Adornos Pläne, beim MI 6 anzuheuern und er musste wohl oder übel Großtheoretiker der Linken werden. Auch in der ersten Zeit in Oxford hat er jedoch die Hoffnung nicht aufgegeben, doch noch an die faschistische Bewegung andocken zu können und schrieb u. a. Briefe an Carl Schmitt, Ernst Jünger, Oswald Spengler und Martin Heidegger. Auch hier sind nur Entwürfe Adornos überliefert, Antworten sind nicht bekannt. Womöglich befürchteten sie, dass Adorno tatsächlich britischer Agent geworden war. Adornos Entscheidung, in Oxford über Husserl zu promovieren, war mit dem Hintergedanken verknüpft, so eventuell doch noch Anschluss an Heidegger und Co. zu finden. Politisch träumte er auch jetzt noch von einem faschistischen Europa:
Die kommunistische Idee ist schön und gut. Doch man muss sie um ein nationales Element erweitern. Das nicht der Fehler Stalins. Hier in Oxford viele Sympathisanten mit Hitler und Mussolini. Den Antisemitismus lehnen sie alle ab. Die eigentliche Dummheit der Deutschen. Europa muss gegen Barbarei von Ost und West verteidigt werden. Die Vision Nietzsches.
Ute Bergenroth hatte damals den Koffer zunächst für einen irrwitzigen Aprilscherz Adornos gehalten, der immer wieder durch seinen zuweilen geradezu unerträglich schwarzen Humor aufgefallen sei. Doch es ist Ernst, bitterer Ernst: Die Funde belegen eindeutig, dass sich Adorno 1933 gern genau so wie Heidegger verhalten hätte, ihn nur seine jüdische Herkunft daran hinderte, Teil der neuen Bewegung zu werden. Vielleicht hätten wir von ihm dann eine Positive Dialektik als groß angelegtes System zur Verteidigung der Identität gegen das bedrohliche Nicht-Identische zu verdanken? Eine Ästhetische Theorie, in der die Dekadenz der Avantgarde verrissen wird zugunsten der Rückbesinnung auf die Antike und das Mittelalter? Eine Dialektik der Aufklärung, die für die Kreation eines neuen Mythos als Antidot zu Jahrhunderten der Entzauberung plädiert?
Ähnlich wie bei Heidegger ist die Resignation des späten Adorno wesentlich damit zu erklären, dass sein wichtigster, wenn auch unbeholfener und weltfremder, Versuch, seine Philosophie in die politische Tat umzusetzen, scheiterte. Und zwar vor allem aufgrund seiner jüdischen Herkunft, mitnichten aus mangelndem Eifer. Erst diese Erfahrung ließ ihn für den Antisemitismus sensibel werden – und jede Hoffnung auf wirkliche Versöhnung fahren lassen.
7 Comments
Ja, Edna ist sehr schön.
Edna? 😉
Was ein Zufall, dass sowas am 1. April publik gemacht wird!
Dieser Zufall ist Adorno zu verdanken. Ja, das ist schon ganz schon makaber von ihm.
Ich wünschte, es wäre wahr… aber du bist mir zuvorgekommen 😉
Paul:
https://de.wikipedia.org/wiki/Dame_Edna_Everage
Well, nachträglich jemanden ausgrenzen auf diese Weise ist nicht lustig.
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