1.
Die Verzeichnisstruktur eines Computers ist wie ein Baum aufgebaut: Beginnend bei einer Wurzel, die sich immer weiter aufspaltet, vereinigen sich die Zweige an keiner Stelle. Klare Zuordnung schafft Effektivität, sie ist prägend für den Umgang mit Technologie, gleichzeitig ist sie eng verknüpft mit Fragen der Identität und Begrenzung. Dabei kann man sich die 0 als geschlossene, die 1 als offene Grenze vorstellen. Die Identität der Dateien ergibt sich aus der Kombinationen dieser Varianten. Nicht nur Elektrizität, auch die Bewegung von Menschen, Waren und Geld lässt sich als Strom betrachten. Nicht nur Völker sondern auch Staaten und Unternehmen sowie politische Gruppierungen verfügen über eine Identität.
Der Struktur des Baumes enstpricht diejenige der sozialen Medien, wie sich im Kommentarfeld zeigt: Je verzweigter das Netz der Kommentare ist, umso unwahrscheinlicher ist es, dass sie gelesen werden. Im Fall von Facebook werden die Kommentare ab einer gewissen Anzahl an Antworten nur noch auf Nachfrage angezeigt. Der Anfang einer Diskussion ist sichtbar, ihr Ende droht in den Wolken zu verschwinden wie die Blätter eines mächtigen Mammutbaums. Der Strom fließt von minus nach plus in der physikalischen, von plus nach minus in der technischen Betrachtungsweise, ebenso fließt Information in einer andere Richtung als die Arbeitskraft, die sie ermöglicht. Dies spiegelt sich in einem Fortschrittsbegriff, der seine Grundlagen ignoriert und einer Arbeitsweise, die kein Bewusstsein über ihre Technologie besitzt.
Der Vorgang, der diese Technologie möglich macht, erscheint in den digitalen Add-Ons unserer Person nur noch als die von uns als selbstverständlich empfunde Machte der Kommunikation, die in Wirklichkeit die Macht der beinahe eineinhalb Millionen Mitarbeiter von Foxconn ist. Wir nehmen uns jedoch nicht als Täter war und auch nicht als Opfer. Die digitale Welt zeichnet sich aus durch den Horizont einer Software, der wir so ausgesetzt sind wie früher dem Wetter, und dem Boden unserer Hardware, die wir so eifrig beackern und manipulieren, als wäre sie schon immer dagewesen. Gleichzeitig schwinden die eigenen Fähigkeiten, je mehr wir uns von der Technologie verdummen lassen, wir verlieren unser Selbstbewusstsein. Das fügsame Verhalten unsererseits erzeugt das angenehme Gefühl, Teil einer größeren Maschine geworden zu sein, über die wir teilweise selber verfügen. In der Aneignung der digitalen Welt werden wir gleichzeitig ihr Sklave.
Einerseits verschwimmt im Werkzeug Facebook, das zugleich auch Spielzeug ist, die bildliche Ebene mit der sprachlichen: jede Aussage wird gleich durch einen Smiley relativiert, Trauer, die sich in weinenden Kätzchen ausdrückt, kann man nur schwer ernstnehmen. Anerkennung durch Daumen oder Pendants dazu ist keine Anerkennung. Das Elend der Welt ist näher als je zuvor, gleichzeitig schien es noch nie so leicht etwas zu tun: Mit einem Klick glauben wir tausenden von Menschen helfen zu können, gleichzeitig ist die Information darüber, ob das auch wirklich passiert und das Wissen über die Mechanismen, die das bewerkstelligen könnten, weiter entfernt denn je. Die Kommunikation mittels bunter Bildchen lädt dazu ein, sich als unzurechnungsfähiges Kind zu betrachten, allerdings sind auch Politiker auf dieser Plattform, die ja dementsprechen auch unzurechnungfähig sein müssten und sich mutmaßlich lächelnde Kackhaufen zuposten. Wer will solche Gestalten eigentlich noch regieren sehen, die vor aller Welt beweisen, wie weit man es mit Inkompetenz bringen kann, wenn man genug Geld hat? Anstatt sich dafür zu mögen, dass man etwas kann und von etwas Ahnung hat, beginnt man sich dafür zu mögen, andere Menschen auf emotionale Weise zu manipulieren. Für Daumen nach oben gibt es nicht einmal Geld, dafür gibt es von mir einen Daumen nach unten.
Im Computerspiel kann man Machtfantasien ausleben, wo man sich im Alltag als machtlos erfährt: Weltreiche aufbauen oder es den Mächtigen mal so richtig zeigen, zum Beispiel indem man Jagd auf Bullen macht, was überhaupt nicht bedenklich ist. Durch eine Vielzahl an Übungen, wie dem Sammeln von Punkten beim Abschießen von Moorhühnern oder im Trainieren von Pokemon wurden wir darauf programmiert, den Vorgaben eines abstrakten Systems zu genügen, dies haben wir jedoch als Sieg unsererseits wahrgenommen, weil die dazugehörige Oberfläche so hip war.
Stattdessen wäre es sinnvoll, die Herrschaft in der Technik sichtbar zu machen und so zu einem Bewusstsein der in ihr liegenden Möglichkeiten zu gelangen. Die polychromen Intarsien der digitalen Welt, die Gifs, Smileys, Sticker, Spiele und Umfragen, sind keine Kunstform. Sie werden dem Quelltext aufgepappt, statt in mühevoller Feinarbeit eingelegt. Das ist gut so, was passiert, wenn man es anders macht, sieht man an der Instabilität vieler Windows-Versionen. Farbige Bildpunkte, die sich je nach Zweck neu verteilen gleichen den Bewohnern unserer Welt, die sich je nach Anlass neu formieren. Sie sind auf einen höheren Zweck ausgerichtet, den sie nur erahnen können. Würde man sich die Scham über das eigene sinnlose Leben eingestehen und sich darüber austauschen, könnte das dazu führen, dass man versucht sein eigenes erniedrigendes Leben zu verbessern. Das wird jedoch in einer Welt, in der die Leute versuchen bei allem gut auszusehen, nur damit sie es dann auf Facebook hochladen können, vermieden. Die Kommunikation spricht die Sprache der reflexionslosen Freude.
2.
Politische Überlegungen neigen dazu, die Eigendynamik der Technik nicht mit einzubeziehen, das Internet erscheint als eine Phantasiewelt, die beliebig von den Herstellern kontrollierbar ist. Die farblich wechselnden Bildpunkte und die Taktrate der Grafikkarte sind Ausdrucksweisen des Hier und Jetzt, zweier Dimensionen, die in ihrer Änderung doch immer identisch bleiben. Sie werden von einer esoterischen Welt hinter dieser Erscheinung erzeugt, dem Innenleben der Maschine, das die Realität des Computers darstellt, durch die Software unzugänglich. Vor dieser sitzt wiederum der User, der eine ganz andere innere Struktur hat. In den Mitteln, die er zur Kommunikation nutzt offenbart sich das Wesen seiner Kommunikation selbst. Facebook würde scheitern, wäre es nicht der Kommunikation angemessen, die es trägt. Diese gibt weniger die Realität wieder, als dass sie eine Realität erschaffen will. Das Wesen der Kommunikation jedoch gibt es so wenig, wie eine richtige Art zu kommunizieren. Wir reden mit Händen und Füßen, Smileys und Sternchen und bleiben dennoch allein.
Im Gegensatz zu anderen Bereichen der Produktion hat die elektronische Datenverarbeitung den Vorteil, dass sie die Grundlagen ihrer Produktion, beispielsweise veraltete Programmiersprachen oder Programme, in sich aufbewahren könnte. Jedoch, vergisst das Internet tatsächlich nichts? Suche ich auf thepiratebay.org nach MS Office, lassen sich die Uploads nur bis zur Version, die 2006 aktuell war zurückverfolgen, wahrscheinlich da es die Seite erst seit 2003 gibt. Ältere Plattformen wurden einerseits Opfer staatlichen Eingreifens, andererseits technischer Neuerungen. Die Vorstellung eines Denkens, das seine Grundlagen endlos aufbewahren könnte entpuppt ich als falsch, es kommt dauernd zu Verlusten.
Vor diese Hintergrund sehr interessant ist die Tauschbörse napster, die durch dezentrale Technologien wie das peer-to-peer Kommunikationsprotokoll Bittorrent ersetzt wurde. Im Internet werden die Vor- und Nachteile von Zentralisation bzw. Dezentralisation anschaulich. Andere Beispiele dafür wären die Entwicklung von Software auf Basis von Open Source oder die Herstellung der Technik selbst. Die zunehmende Verbreitung von Musiksoftware, deren Industrie zu klein ist, um sich gegen illegale Downloads wirkmächtig zu wehren, führt beispielsweise zu einer Demokratisierung der Musikindustrie, die jedoch gleichzeitig das Überleben für die Künstler schwieriger macht. Hier zeigt sich, wie durch die immer leichtere Beherrschbarkeit der Technik die Phantasie tendenziell wieder in den Vordergrund tritt.
Bedingung und Vorform der Elektronik ist die Elektrik, die in ihrere Primitivität wesentlich zugänglicher ist. Während ich mir vorstellen könnte, eine Apparatur zu bauen, die weit entfernt ein Lämpchen zum Leuchten bringt und mit der eine andere Person bei mir ein solches Lämpchen zum leuchten bringen könnte, fällt es mir schwer, das Selbe über den elektronischen Austausch zu sagen. Das Unterbrechen von Stromnetzen ist der einfachste Zugriff zur Technologie, deren Experten sich jeweils nur auf einen Teilbereich spezialisieren können. Die Abhängigkeit von einem Produkt, das jeder hat, aber kaum jemand versteht, wäre eigentlich unter allen Umständen zu vermeiden, diese Vermeidung würde jedoch in vielen Fällen das Unglück derjenigen bedeuten, die auf sie angewiesen sind. Statt mich für diesen Zustand zu bemitleidern, ziehe ich es vor, mich für ihn zu verhöhnen. Ohnehin ist hier, wenn ich vom Internet spreche, natürlich auch immer ein wenig von anderer Kommunikationstechnik die Rede. Die Schande des eigenen Lebens öffentlich zu machen könnte dabei Anregung zu einer besseren Welt und Gegenentwurf zum Facebook-Lifestyle sein.
Facebook-Justiziar Colin Stretch muss sich von Senator Al Franken einige unangenehme Fragen gefallen lassen: Wie könne einem System, das sich dafür lobt, dass es Millionen von Einzeldaten analysieren kann und diese für den Nutzer in sinnvolle Verbindungen verwandelt, nicht die Verbindung herstellen, dass in Rubel bezahlte Wahlwerbung aus Russland kam? – Gegenfrage: Warum sollte es ein Programm geben, das Wahlwerbung von anderer Werbung unterscheiden kann und warum sollte russische Werbung per se besonders gefährlich sein?
Die erst mal recht banal erscheinende Behauptung, dass das Facebook, das ich wahrnehme, immer nur das Facebook meiner Wahrnehmung ist, bekommt in der digitalen Welt tatsächlich recht bildlichen Charakter: die Inhalte und Werbungen passen sich an meine Beobachtung und das, was ich von meiner Persönlichkeit preisgebe, an. Gleichzeitig wohnt dem Programm jedoch eine Eigenlogik inne, die sich jedem Menschen entzieht.
Nicht nur die Kommunikation zwischen Menschen durch die Maschine, sondern auch die Kommunikation zwischen Maschinen in Form von Metadaten, die Informationen über den Standort der Geräte, den Namen der Person, Urheberrechte und die Sender und Empfänger von E-Mails zulassen und den Beteiligten nicht unmittelbar zugänglich sind, wird zum Produkt, das geklaut und verkauft werden kann. Nicht zuletzt wird auch die Kommunikation des Menschen mit der Maschine in Form der Suchanfrage und die Kommunikation der Maschine mit dem Menschen in Form der Verständlichkeit zur Ware und zum Produktionsmittel. Auch der Betreff einer E-Mail landet in den Metadaten, wie oft man mit jemandem kommuniziert, der Gesundheitszustand von Menschen, die den Arzt anrufen, man kann herausfinden, wer mit wem eine Beziehung führt, und so weiter. (1)
Die Demokratisierung der Kommunikation führt zum andauernden Geplapper. Zuhören wird eine Kunst und die Therapeuten haben Hochkonjunktur. Das Zuhören, das den anderen nicht zum Objekt der eigenen Interessen macht, sondern als das der seinigen dennoch zu schätzen weiß, wird in einem Zeitalter, in dem Aktivität mit Freiheit gleichgesetzt wird und Kommunikation mit Geld, mehr und mehr Mangelware. Das liegt unter anderem daran, dass die gemeinsame Lebenswelt entschwindet und sich in verschiedene postfaktische Wahrheiten dissoziiert. Da wir andauernd mit neuen schockierenden Infos zugemüllt werden, wird der Kampf um politischen Einfluss zum Kampf um die Definition des Ausnahmezustands: Ist es der NSA-Skandel oder doch eher die Flüchtlingskrise? Dementsprechend müsste man eigentlich die Kunst der Passivität und des Verschwindens üben.
Die Verbindung zwischen Medien, Wirtschaft und Staat wird gelockert aber auch bewusstloser, auch hier scheinen die Wahrheiten keinen gemeinsamen Kern mehr zu finden. Um beispielsweise auf die Vorwürfen der „Beihilfe zur Volksverhetzung durch Unterlassung“ zu reagieren, richtete Facebook eine „task force“ gegen Fremdenfeindlichkeit ein, der Begriff spielt auf die Kampfverbände der amerikanischen Soldaten im zweiten Weltkrieg an. Die unterschiedliche Nutzung des Internets spiegelt die unterschiedlichen Lebenswelten seiner Benutzer wieder. So gibt es Produzenten und Konsumenten, Spieler und Forscher, Menschen die das Internet als Internet benutzen und solche, für die es nur den Hintergrund ihres Handelns darstellt. Wird das Internet öffentlich thematisiert, gibt es zumeist wenig Verweise darauf, wie die gesellschaftliche Bedeutung mit der Technik zusammenhängt, so wurde das Dark Net zu einem Raum erklärt, den man in der Vorstellung vieler einfach „zumachen“ könnte, was ungefähr so erfolgreich sein dürfte wie „die da oben“ einfach abzuknallen oder das menschliche Unterbewusstsein zu schließen.
3.
Informationen sind präziser und schneller zugänglich, werden dabei jedoch aus dem Kontext gerissen. So kann man komplette Werke von Marx und Hegel online finden, ebenso Vorträge und Artikel, die sie erklären und kommentieren. Möglicherweise wäre es eine Idee für die Zukunft, seiteninterne Suchmaschinen einzurichten, was viele Vorteile bringen würde. Die Verschwörungstheorie wäre deshalb nicht als solche zu bekämpfen, vielmehr müsste man die kapitalistischen Mechanismen in der Verschwörung erklären, vielleicht sogar um den Preis Marx und Hegel nicht mehr als solche zu benennen.
Die Frage, was das Leben lebenswert macht, war immer schon mehr den Priestern als den Philosophen überlassen. Der vernetzte Autist erfährt sich als Leiter eines niemals endenden Bewusstseinsstroms, der von Input nach Output fließt. Man kann nicht mehr tun, als die Verbindungen zwischen den Autisten aufzuzeigen. Warum sich in dieser digitalen Welt statt einer Kopie der analogen nicht unsere Träume entfalten, lässt sich nur teilweise durch anerzogene Fantasielosigkeit erklären. Der andere Teil ist die Gewalt des Staates, der das Eigentum noch da sichert, wo es beliebig reproduzierbar wäre.
Man attestiert sich überflüssig zu sein, wo man noch nicht einmal flüssig ist. Statt der einfachen Weisheit zu folgen, dass ein Mensch produktiv wird, wenn er sich selber schätzt, meint man sich vor einer Welt rechtfertigen zu müssen, die man nicht erträgt. Durch die Unmöglichkeit der Praxis verstellt wendet sich die Aggression gegen ihre Träger und wird zum Vorwand, noch produktiver im Sinne des Unterträglichen zu werden. Es gibt jedoch keine Möglichkeit sich zu rechtfertigen, das Unrecht ist zu groß. Man kann es nur anklagen. Die Sphäre der Kommunikation dagegen leidet an ihrer eigenen Bewusstlosigkeit: Die Kommunikation schlägt trotz immer besserer Mittel zunehmend fehl und keiner scheint zu wissen warum, am wenigsten diejenigen, die ihre Medien schaffen. Vielleicht hat sich ein Teil von uns bereits dieser Welt entzogen, ohne dass wir es bemerkt haben.
Immer noch stehen viele dem Internet mit einer merkwürdigen Ablehnung gegenüber, die davon ausgeht, dass Informationen auf magische Weise unseriöser werden, sobald sie im Netz landen. Während es zwar richtig ist, dass die Zensur für inhaltlich Mangelhaftes und Verrücktes hier wegfällt, stimmt es jedoch auch, dass Informationen schneller und in größerer Variation zugänglich sind und die Legitimation durch Autoritäten nicht automatisch leichter zu fälschen ist. Eher im Gegenteil ist es mir schleierhaft, weshalb es mit nichtdigitalen Mitteln schwieriger sein sollte, ein falsches Zertifikat auszuweisen als mit digitalen. Vielmehr zeigt das Netz die erschreckende Naivität vieler Menschen, die anscheinend ernsthaft glauben, dass man per SMS einen Präsidenten wählen kann.(2) Die russischen Hacker, die ihre Nutzerprofile vervielfacht haben, wozu man nicht in der Lage sein muss zu hacken, zeigen eine Form der Autorität, die sich den Anschein gibt für viele zu sprechen, wo nur der Standpunkt weniger gewürdigt wird und sich als derjenige der vielen verstellt. Wir haben jetzt die einmalige Chance, angesichts unseres Spiegelbildes endlich erwachsen zu werden.
Das Selbe Instrument, das mir den Zugang zu beinahe unendlich vielen Informationen ermöglicht, schafft auch die Möglichkeit, diese jederzeit ihrem Kontext zu entreißen oder diesen wieder aufzufinden. Es ermöglicht den Angriff auf geistige Autoritäten, führt jedoch die Verwirrung vor, die ein Angriff auf jegliche Autorität noch zur Folge hat. Da deren Verfilzungen so sichtbar wie nie zuvor sind, erscheint es als die einfachste Lösung, den gordischen Knoten durchzuschlagen, wo es vielleicht doch notwendig wäre ihn sauber aufzuschnüren. Die Frage „wer diese Leute eigentlich bezahlt, für das was sie da schreiben.“ wird zum Argument gegen diejenigen, die selber jedoch nicht auf dieses Argument verzichten können.
Was den Vertretern des systematischen Denkens immer unbegreiflich bleibt ist, wieso sich die eigene, scheinbar überlegene Denkform nicht so recht durchzusetzen vermag. Stattdessen scheint die Welt kein Problem damit zu haben, dass in ihrem Kopf nur Chaos ist. In der Spaltung des Denkens jedoch spiegelt sich die Spaltung der Realität, beispielsweise in reflexive und instrumentelle Vernunft oder in gefühlte und gedachte Wahrheiten. Religion, oder wie es heute heißt, Spiritualität, ist eine der Haupttriebkräfte des Menschen neben der Sexualität. Ihre Veränderung durch Vernetzung wird beispielsweise in den Patchwork-Religionen deutlich, aber auch darin, wie der IS Kämpfer über das Internet rekrutieren konnte. Die Kritik der Religion ist eines der interessantesten philosophischen Themen, an das die meisten Menschen anknüpfen können. Während ich das schreiben, läuten im Hintergrund die Kirchenglocken. Die Religion ist wider allen besseren Wissens nicht totzukriegen, weil die Hoffnung nicht totzukriegen ist. Die Menschen wollen nicht hören, dass es keine Hoffnung gibt, sie wollen etwas über sich selber hören, eine Antwort darauf, warum sie sich oft so schlecht fühlen und was all das Elend in der Welt zu bedeuten hat. Wie einem alle Wünsche erfüllt werden und man dennoch unglücklich bleiben kann. Der Zweifel daran, ob das, was einem wichtig erscheint objektiv wichtig ist, sollte nicht verdrängt werden.
Die Symbolik der Vernetzung ist stark mit derjenigen der Komplexität verbunden, die in der Beherrschung der Technik stets vereindeutigt werden soll. Die Mitarbeiter von Facebook führen ein hervorragendes Leben und werden um die Fähigkeit beneidet, aus sehr abstrakten Codes äußerst konkrete Bilder zu weben. Sie sind Meister der heteronomen Selbstverwaltung, die ihr Leben in Form von Finanzen, Zeit und Selbstwerbung perfekt im Griff haben, umgekehrt sehnen sich diejenigen, denen es entgleitet nach Autonomie.
4.
Die Systeme der Inhaltsprüfung auf Facebook sind noch nicht ausgereift, nicht einmal menschenverachtende Inhalte können sinnvoll verfolgt werden. Dies ist jedoch kein Problem der Technik. Was vom User nicht gemeldet wird, wird überhaupt nicht erst geprüft. Obwohl jeder bedenkliche Inhalte melden und so seinem Strafbedürfnis freien Raum lassen kann, gibt es weder für den „Kläger“ noch für den „Angeklagten“ einen auch nur halbwegs durchsichtigen Prozess. Für das Überprüfen des gemeldeten Inhalts ist in Deutschland ein Team der „Arvato AG“ zuständig, das aus ca. 600 Personen besteht. Die Arvato AG fühlt sich vor allem der Rationalisierung und dem Outsourcing verpflichtet, Entscheidungen über das gemeldete Material erfolgen oft innerhalb von Sekunden. Da sich niemand dafür zuständig fühlt sinnvolle Regeln auszuarbeiten, bleiben diese rudimentär und dennoch für alle Mitarbeiter bindend. Die Blüten der mangelhaften Überwachung durch Facebook will ich hier nicht beschreiben, weil sie einfach zu ekelhaft sind und die daraus entstehenden Früchte kann man ja jetzt grade ganz gut beobachten.
Die Plattform bietet Menschen Zuflucht, die im realen Leben nicht in der Lage sind, sich auszudrücken. Sie schafft Frustration über das schönere Leben der anderen, die bessere Fotos und mehr Likes haben. Die Möglichkeit, diese Frustration in entsprechender Form wieder loszuwerden, gibt es gleich nebenan. Die etwas verantwortungsbewusster Frustrierten dürfen dann diese Posts melden, so kann sich Facebook Mitarbeiter sparen.
Vor dem Hintergrund, dass die Arvato AG kaum in der Lage ist, dieser faschistoiden Tendenzen Herr zu werden, müsste man vielleicht einfach mal mehr Leute einstellen. Stattdessen wird die technische Kompliziertheit zum Vorwand für Intransparenz. Die Forderung nach bedingungslosem Grundeinkommen, die aus der Perspektive einer Firma mit wenigen Mitarbeitern natürlich nahe liegt, ist vor diesem Hintergrund als Rechtfertigungsdiskurs zu verstehen, der den Obdachlosen, die Nachts in den Bahnen Kaliforniens im Kreis fahren, wohl kaum helfen wird. Open Source Technologien ermöglichen zwar vielen Menschen die Selbstständigkeit, zeigen jedoch auch die Nachteile auf, die es hat, Besitzer einer Ein-Mann-Firma zu sein, denn der Traum von der Gründung eines Start-Up Unternehmens geht nur für die wenigsten auf. Sie bilden einen weiteren solchen Versuch von Facebook, sich als verantwortungsbewusst darzustellen. Das Problem des Faschismus, der durch die sozialen Medien befeuert wird, hat nichts mit der vielgescholtenen Filterblase zu tun, deren Existenz ich hiermit bestreite.(3)
Besonders interessant ist, dass Facebook kontinuierlich Geld investiert, um neue Plattformen für die Werbung seiner Kunden zu finden. Beispielsweise ist die gleichnamige Seite bereits so zugekleistert, dass WhatsApp und der Messenger nun generalüberholt werden müssen, um als Werbeträger zu dienen. Ob die Werbung irgendwann an eine natürlich Grenze kommt und was dann passiert bleibt abzuwarten.
Es gäbe an dieser Stelle eine große Zahl weiterer Themen, die interessant wären, zum Beispiel die Diskussion um Netzneutralität, Taylorismus und Datenverarbeitung, die Unterschiede zwischen Anbieter- und Nutzerperspektive sowie zwischen Datenfreiheit und Kommunismus. Ich habe selbst erst angefangen, mich mit dem Thema zu beschäftigen, habe allerdings den Eindruck, dass die Möglichkeiten der Technik endlos sind und bis in die Details hinein kritisch beleuchtet werden könnten und sollten.
Aufsichtsrat von Facebook und IT-Experte Marc Andreessen wurde berüchtigt für seine Aussage: „Anti-Kolonialismus war für das indische Volk für Jahrzehnte katastrophal. Warum also jetzt aufhören?“. Es ging um eine abgespeckte Facebook-Version, die auf dem indischen Markt veröffentlicht, lokale Anbieter verdrängt hätte. Später hat Andreessen diese Aussage zurückgenommen und meinte, er wolle das Thema Menschen mit mehr Wissen und Erfahrung bezüglich der Region überlassen. Ich nehme an, die entsprechenden Technologien wurden bereits verkauft.
Fußnoten:
Posten Sie ein Kommentar.