Skip to content

Sprache des Krieges – Teil 2

Sprache des Krieges

Teil II: Lexik

Link zu Teil 1.

„Am Anfang war das Wort; und das Wort war bei Gott; und Gott war das Wort.“ So rief der christliche Gott dazu auf, das Leben durch Liebe zu kennen – so begann die Konstruktivität. Die Destruktivität des Diabolischen drückt sich auch in Worten aus, in Worten menschlicher Lügen und Manipulationen. Die letzte dieser Äußerungen lautete: „Wir starten eine Spezialoperation zur Entnazifizierung und Entmilitarisierung der Ukraine.“ Dieses Oppositionsmuster ist keineswegs ein Appell an die Gefühle von Gläubigen oder Atheisten, sondern eine gewisse Betonung dessen, wie die Bedeutungen von Wörtern, die auf Menschlichkeit und Konstruktivität abzielen, heute verdreht werden und etwas ganz anderes bedeuten können. Ukrainerinnen und Ukrainer erleben die Bedeutung dieser Worte heute.

Die heutigen russischen Kriegsworte sind eine Fortsetzung der Schaffung chronologischer Synonyme des Hasses auf alles Ukrainische. Das heißt, diese Wörter unterscheiden sich im Wortlaut, haben aber immer Narrative von Spott vermittelt. Wir Ukrainerinnen und Ukrainer mussten fast immer unsere eigene Geschichte durch die Linse der russischen Sprachkreativität lesen. Durch dieselbe Wortgebung – von den Historikern der Zarenzeit, bolschewistischen Erzählungen und moderner russischer Propaganda – sah uns die Welt: Worte politischer Mythen, verzerrte und gestohlene Geschichte. Die Verwirklichung davon wurde besonders deutlich durch Anthroponyme (Eigennamen), Toponyme (Gebietsnamen, Städtenamen, Straßennamen) und Chrononymie (Periodisierung der Epochen und der Ereignisse). Lange Zeit waren wir ihre Dialekte oder wurden als Synonyme interpretiert. Für einige sind wir nach wie vor Synonyme, aber für uns selbst haben wir schließlich erkannt, dass es sich um Antonyme handelt.

Die heutigen Kriegsworte sind Worte der russischen Sprache. Sie führen in die Irre und verbreiten Unwahrheiten, sie sind feige: „Wir sind nicht da“ (Krim und Ostukraine, 2014), „Dies ist eine Spezialoperation, kein Krieg“, „Wir zerstören militärische Objekte“ usw. Russische Kriegsworte belügen die Welt und sich selbst. Die Aufgabe ihrer Semantik ist es, zu erschrecken und zu drohen: „Wir können wiederholen“ (1945!), „Alles in Atomasche verwandeln“, „Das Butscha-Massaker ist eine Theaterinszenierung“ usw. Leider deckt dieses Wörterbuch alle Bereiche des Russischen ab, sowohl abstrakt-geistige als auch alltägliche und terminologisch-wissenschaftliche. Sich hinter der falschen Bedeutung von Wörtern zu verstecken bedeutet, den Sinn für die Realität zu verlieren. Russische Kriegsworte sind nicht nur Waffen gegen Ukrainerinnen und Ukrainer – sie zerstören sich selbst.

Die heutigen Kriegsworte klingen auch in der ukrainischen Sprache. Die Worte der ukrainischen Sprache im Krieg spiegeln Tragödie und Heldentum, Liebe und den einfachen Wunsch zu leben. In der Sprache verstärken sich Zeichen von Schmerz und Hingabe, Stolz und Leid: „vergewaltigt“, „sein Leben geopfert“, „erschossen“, „nicht kapituliert“ usw. Ukrainische Kriegsworte beruhigen mit ihrem Inhalt: „Irpin wurde befreit“, „eine russische Rakete wurde abgeschossen“, „unsere Soldaten sind am Leben geblieben“. Es ist sehr wichtig, dass sich das positive Kriegsvokabular durch Übersetzung entwickelt. Die ukrainische Sprache wird mit englischen, polnischen, französischen Wörtern bereichert, und neuerdings ist unsere Vokabular-Fähigkeit auch mit deutscher „Terminologie“ gefüllt, die das gute, kämpferische Potential an Konsonantenklängen enthält. Die Ukrainerinnen und Ukrainer sind allen Lexiken der Welt für Konzepte und Begriffe im Kampf gegen die Sprache der Lüge und des Bösen dankbar.

Sowohl diese als auch jene Worte des Krieges bilden seit langem Sätze des Bewusstseins, eine Syntax der Mentalität. Die russische Mentalitätssyntax, geprägt durch große Öl- und Gasvermögen, hat eine faschistische Grammatik des 21. Jahrhunderts geschaffen, für deren Überwindung wir mehr als eine Generation brauchen werden. Die ukrainische Mentalitätssyntax, die gezwungen ist, sich selbst zu verteidigen und andere auf Kosten ihrer eigenen Laute zu schützen, aktualisiert und erfrischt die Vielfalt der europäischen Grammatiken der freien Welt, erinnert uns an Punkte und Ausrufezeichen als die wichtigsten Satzzeichen in der Welt der Demokratie und Freiheit, weil es um humanistische Werte, um Prinzipien und Appelle geht. Heutzutage ist es unmöglich, über etwas zu schweigen – man muss schrei(b)en, man muss zuhören, man muss kämpfen. Es ist für alle gefährlich, sich an den Krieg in der Ukraine zu gewöhnen.

Hier und überall ist heute Wachsamkeit gegenüber Botschaften und Interpretationen, gegenüber Einwänden und Bestätigungen geboten. Deshalb schrei(b)e ich hier und jetzt über die Wachsamkeit gegenüber dem Bösen in der falschen Rezitation der Texte des Krieges, über die „große Kultur“ durch ihre „mächtige Sprache“. Die Sprache der gegenwärtigen und der zukünftigen Ukraine hängt von dieser Wachsamkeit ab, die heute ein Solo der Freiheit und Verantwortung aufführt und sich der schrecklichen Totalität eines Lügennarrativs widersetzt, sodass dieses Beispiel zum Modell für die Weltanschauungsgrammatik anderer werden kann.

 

So spricht der Krieg in der Ukraine!

2 Comments

  1. Quo vadis schrieb:

    Erst hat der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskij, die politische Opposition durch das Verbot aller linken und anderen Oppositionsparteien faktisch eliminiert. Dann hat er die Gewerkschaften kaltgestellt und alle verbliebenen Medien in der Ukraine strenger staatlicher Kontrolle unterstellt. Jetzt greift der ukrainische Präsident die einzige große Struktur an, die sich den Behörden noch nicht untergeordnet hat – die ukrainisch-orthodoxe Kirche. Wenn dieser Plan gelingt, kann man in der Ukraine nicht nur von der Errichtung eines autoritären, sondern eines totalitären Regimes sprechen, das mit terroristischen Methoden ausnahmslos alle Lebensbereiche im Lande kontrolliert.

    https://www.nachdenkseiten.de/?p=96200

    Mittwoch, 12. April 2023 um 07:38 Uhr | Permalink
  2. Paul Stephan schrieb:

    Es ist zweifellos wichtig, auch die Ukraine und deren „Sprache des Krieges“ kritisch in den Blick zu nehmen.

    Ich habe leider nicht die Ressourcen, diesen Artikel auf der Ebene der Faktenlage zu überprüfen.

    Doch dieser Artikel vergisst sowieso das Entscheidende: Die Ukraine ist ein Land im Krieg. Und dieser Krieg wird nicht zuletzt propagandistisch und mittels des Einsatzes von Provokateuren geführt. Dass da die vollen bürgerlichen Freiheiten nicht gewährt werden können, ist doch klar. Ich kann diese Empörung nicht nachvollziehen. Oder soll die Ukraine es kampflos zulassen, wenn russische Einflussagenten Lügenpropaganda streuen?

    Wie gesagt: Ob der ukrainische Staat in den besagten Einzelfällen über das Ziel hinausgeschossen ist oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Aber angesichts dieses großen Makels kann ich diesen Artikel ohnehin nicht ernstnehmen.

    Und was ist das für ein Krieg? Ein Verteidigungskrieg, um genau die mühsam errungenen bürgerlichen Freiheitsrechte zu verteidigen! Im Gegensatz zu Russland ist die Ukraine weiterhin ein bürgerlicher demokratische Rechtsstaat – jetzt natürlich einer im Ausnahmezustand. Die Empörung sollte sich doch auf das putinistische Regime richten, dass die Meinungsfreiheit und alle anderen Freiheitsrechte schon seit Jahren mit Füßen tritt!

    Der Begriff „totalitär“ scheint mir da erst recht vollkommen fehl am Platz zu sein und jeden Sinn zu verlieren. Den würde ich noch nicht einmal auf das Putinistenregime anwenden wollen.

    Montag, 17. April 2023 um 06:26 Uhr | Permalink

Posten Sie ein Kommentar.

Ihre Email-Adresse wird niemals veröffentlicht oder geteilt. Erforderliche Felder sind mit * markiert.
*
*