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Science-Fiction-Sozialismus

Brechts „Guter Mensch von Sezuan“ spielt im alten China, vor einer Kulisse der Fremdheit und des Vergangenen, die Voreingenommenheiten abbauen soll, um so den Blick für die Skizze der eigenen Gegenwart frei zu machen. Nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft, nicht in China – weil es sich nicht mehr als Symbol einer fremden Welt eignet –, sondern auf einem dystopisch verfremdeten Planeten Erde einerseits und einem artifiziellen Beverly-Hills-Planeten andererseits spielt, beinahe in einem neo-brechtischen Versuch, der Film „Elysium“.

Dort oben, auf dem gleichnamigen Luxus-Stern, leben die Herrschenden wie Götter und verzehren mit der Torte, was unten den geknechteten Arbeitern des vollpauperisierten Los Angeles in der Suppe fehlt. Der Staat ist keine Instanz der Vernunft, sondern zu einer Polizeizentrale auf Elysium verkommen, die um die Aufrechterhaltung einer Ordnung der Unordnung mit Konzernen und Kriminellen paktiert. Die Robotisierung ist eine einzige Knute, die in Gestalt von brutalen Polizeiautomaten das überflüssig gemachte Lumpenproletariat in Schach halten soll. In dieser Klassengesellschaft ist die Befriedigung vitaler Bedürfnisse buchstäblich nur im Himmel zu erwarten, dort also, wo im Film die Bourgeoise den Platz der Götter eingenommen hat. Indem der Himmel der Götter als der Himmel der Bourgeoise enttarnt wird, wird folglich auch eine antireligiöse Kritik des göttlichen Himmels zur antikapitalistischen Kritik des bourgeoisen Himmels verschärft.

Doch so hellsichtig ist der Film nicht immer. Selbstverständlich krankt „Elysium“ an fast allem, woran eigentlich jeder großzügig finanzierte Spektakelfilm auch krankt. Obwohl der Film einerseits Religionskritik zu Sozialkritik radikalisiert fällt er andererseits immer wieder in parareligiöse Schicksalsschwärmerei zurück, um damit unbeholfen metaphysische Deutungskraft zu simulieren. Über diese verfügt der Film aber nicht, weil alles, was am menschlichen Leben der Rede und der Deutung im kulturellen Werk wert wäre, zum Aufhänger für Effekte trivialisiert und so substanziell entwertet wird. Dadurch werden auch die Effekte grundlos, belanglos, leblos und schließlich langweilig. Wie in vielen zeitgenössischen Filmen wird fast selbst das Konstruktionsniveau des Klischees unterboten. Es herrscht chronischer Mangel an eigenständigen Beobachtungen und Darstellungen des menschlichen Lebens, die es schaffen würden, den Zuschauern Wirklichkeit so zu zeigen, dass diese Wirklichkeit durch überlegte Aneignung belebt und durch sinnvolle Interpretation lebenswert wird. Es handelt sich also um ein Kulturprodukt ohne den befreienden Sinn von Kultur. Der Film denkt und erzählt eigentlich nicht, sondern reiht leere Narrationsrudimente aneinander: Arme Waisenkinder werden moralisch durch einen Nonne gestärkt, die ihren Zöglingen mit Medaillons und mystizistischen Raunereien Durchhaltegeist empfiehlt. Diese salbungsvollen Bilder sollen dem Publikum Tiefgang und Bedeutung suggerieren. Weil der Film sich nicht durch Reflexion und Interpretation um Sinn bemüht, werden dem Publikum solche Surrogate von Sinn als unbefriedigende Ersatzbefriedigung angeboten. Auch die weibliche Begleitung des männlichen Hauptcharakters kommt eigentlich nur als Hausfrauenfigur vor. Nach Krankenhaus-Dienstschluss leistet sie im Eigenheim unbezahlte Reproduktionsarbeit für die Gesundheit des Helden und wird später Objekt von Gewalt: Der schmierige Bösewicht des Films bemächtigt sich ihrer Intimsphäre, tätschelt ihr Kind und küsst sie auf die Schulter – hier bricht der Film aus den Billig-Bildern allerdings ein Stücken aus, weil er es zulässt, diese durch Verkehrung wirkende Parodie der Familienszene als Kritik des familiären Normalzustandes und seiner latenten Gewalt zu lesen. An dieser Stelle ist der Film mit einer spielerischen und kaum merklichen, vielleicht sogar unbeabsichtigten, Ironie durchaus subversiv. Wenn in dieser Art von Film im Gesamtentwurf die Innovationen ausbleiben, findet man sie vielleicht in dessen Ritzen versteckt.

Bei aller Kritik des Filmes ist aber dessen dezidiert formulierte Gesellschaftskritik hervorzuheben, die sich entschieden von der Routine des Blockbuster-Kinos absetzt. Freilich ist sie vereinfacht, verkürzt, plakativ und wie all diese Vorwürfe noch lauten. Aber sie hält sich erstaunlich souverän frei von ideologischen Fallstricken und Beliebigkeitsschustereien. Was läge etwa näher, mit den sozialen auch die ökologischen und moralischen Verwerfungen der Menschheit zu skandalisieren und beide einer dunklen Eigenmacht der Technik oder einer menschlichen Wolfsnatur zuzuschreiben? Tatsächlich funktionieren ungefähr so viele scheinkritische Filmproduktionen. Sie nehmen von allem ein wenig und verrühren es ahnungslos zu einem Brei, mit dem sie eine weitere Sondersparte im Konsumentenbedürfnis ausfüttern. Als politische Zwitterwesen und Kreuzungsprodukte unterschiedlichster Diskurse produzieren solche Filme aber nur ein vernunftloses Durcheinander und sind damit dezidiert anti-kritisch. Motive der gesellschaftlichen Gegenwart werden zu abstrakten Großthemen überspannt und als monolithische Blöcke vernünftiger Reflexion dadurch unzugänglich: die bedrohte Natur, der böse Mensch, die zerstörerische Technik – allesamt irrational verzerrte Eindrücke einer in ihnen nicht reflektierten Wirklichkeit.

Der Film „Elysium“ aber fragt nach Produktionsverhältnissen und nach der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Er geht davon aus, dass Produktion und Verteilung gesellschaftlich organisiert werden müssen, damit das Elend der Welt gelindert werden kann. Dann fallen auch die Bedrohtheit der Natur, die Boshaftigkeit der Menschen und die Zerstörungskraft der Technik menschlichem Denken und Handeln wieder zu. Das ist straighter old-school-Marxismus im besten Sinne seiner aufklärerischen Tradition und eine ernste Stellungnahme zum Zeitgeschehen, weit weg vom pseudo-politischen Erbauungskino.

Überraschend für einen Science-Fiction-Film weiß „Elysium“ daher auch, dass sich über Technik, auch wenn sie phantastisch fingiert ist, nicht abstrakt philosophieren lässt, ohne auf den Fetischcharakter ihrer gegenwärtigen Anwendung hereinzufallen. Denn Technik ist immer konkret. Sie ist kein eigensinniger Fetisch, sondern von den gesellschaftlichen Verhältnissen abhängig, denen sie untersteht. Die Hauptfigur des Films etwa arbeitet in einer Fabrik zur Produktion von Polizeirobotern, von welchen sie in einer frühen Szene auf dem Weg zu eben dieser Fabrik verprügelt wurde. Die Herrschaft durch Technik wird so als die Herrschaft der Fabrik oder der Produktionssphäre verstanden: Der Technikfetischismus spitzt sich am Ort der Warenproduktion zu und wird damit auf den Fetischismus der Warenform radikalisiert. Gegen solche Fremdbestimmungen hält der Film fest, dass die Menschen die Verhältnisse, von denen sie beherrscht werden, selbst produzieren und deshalb auch verändern können. Marx sagt nichts anderes.

Ob die Technik den Menschen dergestalt unterjocht oder ihm dient, obliegt also ihrem gesellschaftlichen Gebrauch. Mit diesem Gedanken unterscheidet sich der Film – wie neulich auch „Pacific Rim“ – etwa vom Klassiker „Matrix“, der karnevalistischen Folklore-Kitsch gegen die Maschinenwelt feiert. Technik ist in „Elysium“ hingegen nicht per se schlecht, sondern kann zum Wohle der Menschheit beitragen. So ist der Hauptfigur die Kontrolle der (menschlichen) Natur durch enhancement-Technologien durchaus willkommen: Ein Exoskelett macht sie zum Datenträger für arkanes Putschwissen und zum übermenschlichen Kraftpacket. Als Revolutions-Mech hat er so die technischen Möglichkeiten auf seiner Seite mit denen er gegen die gesellschaftliche Wirklichkeit rebelliert – etwas runtergebrochen personifiziert er das marxistische Konzept vom Widerspruch zwischen Produktionsmitteln und Produktionsverhältnissen. Im übrigen erweist sich das Heldentum des Hauptcharakters dadurch in erster Linie als Produkt technischer Heroisierung und nicht – wie in den meisten Science-Fiction- oder Actionfilmen üblich – als heimliche Wiederkehr des Mythos im Gewand der Technik.

Doch der Kern des Filmes sind die Szenen, in denen unter der Science-Fiction-Ästhetik Bilder der Gegenwart an der Leinwand erscheinen: Raumschiffe, die hoffnungslos überfüllt nach Elysium übersetzen aber tödlich am hochgerüsteten Abwehrring der elysischen Festung scheitern, wie Flüchtlinge an den EU- und US-Außengrenzen. In lebensgefährlichen Großfabriken, die die Kinogänger als Amazon-Lagerhallen und Daimler-Fabrikationsstätten erkennen, schuften sich prekarisierte Tagelöhner angesichts der ständigen Kündigungsdrohung bis an die Grenze des Todes. Die Profiteure dieser Gesellschaftsordnung lassen sich auf Elysium als gesichtslose Masse der Unmündigkeit vom technokratischen Polit-Management verwalten und von eindimensionalen Glückskonzepten dumm machen – ironischerweise eine nicht unpassende Beschreibung der Situation, in der man sich den Film ansieht.

Es ist durchaus bemerkenswert, dass mit „Elysium“ ein Film vorliegt, der es erlaubt, dass mitten in die Blockbuster-Unterhaltungskulisse plötzlich eine Kritik am globalen System des Elends einbricht. Vor allem deshalb, weil diese Kritik in ihren Vereinfachungen politische Ökonomie nicht zu tragischem Schicksal und ewiger Urszene des Menschentums essentialisiert, sondern mit einer streng linken Zukunftsoption versieht: Die technischen Mittel zur Behebung des Leidens liegen bereit und nach der Revolution – leider einfallslos auf actiontauglichen Zweikampf und etwas Knöpfedrückerei komprimiert – werden diese Mittel sozialisiert: Ein ironisch karikierter Techno-Che bringt buchstäblich den Himmel auf Erden, indem er das Herzstück der elysischen Utopie, medizinische Wunderapparate, vom Festungsstern auf die Erde holt.

Obwohl der Film geradezu verzweifelt versucht, die Wirklichkeiten innerhalb und außerhalb des Filmes anzunähern, ist es grotesk, wie weit sie doch voneinander entfernt bleiben. Im Kino fiebert man betroffen angesichts einer Wirklichkeit, die einen draußen kalt lässt und einen nichts mehr anzugehen scheint. Spätestens mit dieser Erfahrung stellt sich die Frage: Ist der Film subversiv, eine populäre Form gesellschaftlicher Aufklärung, die versteckt auf den Mangel politischer Empathie und Mündigkeit weist? Oder steht er einmal mehr für die ungeheure Integrationskraft der Kulturindustrie, in der politische Stellungnahmen zwangsläufig auf Unterhaltungs- und Verkaufswert reduziert sind? Vielleicht weist die Zwiespältigkeit dieser Fragen aber auch auf eine Kluft, die sich als innere Ambivalenz durch den Film zieht, nämlich auf die relative Kluft zwischen Politik und Kultur. Politisierungsversuche der Kultur bleiben bedeutungslos, wenn das gesellschaftliche Leben entpolitisiert ist. Und gleichzeitig entzieht sich die Kultur dem direkten politischen Zugriff, ohne dadurch prinzipiell unpolitisch sein zu müssen.

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