Das „Selbstbestimmungsgesetz“ – Fortschritt oder Rückschritt?
Versuch einer philosophischen Einordnung
Von Paul-Gerhardt Stephan
I. Eine umkämpfte Reform
Das im allgemeinen Diskurs oft einfach kurz als „Selbstbestimmungsgesetz“ bezeichnete „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“ – im Folgenden als SBG bezeichnet1)Aus dem Selbstbestimmungsgesetz wird im Folgenden unter der Sigle „SBG“ zitiert. Bei Verweisen auf einzelne Paragraphen des eigentlichen Gesetzestexts wird nur die Paragraphennummer angegeben, bei solchen auf die Erläuterungen zum Gesetz auf die Seitenzahl des vom Kabinett beschlossenen Entwurfs. Bereits beschlossene Gesetze werden im Literaturverzeichnis nicht eigens nachgewiesen und unter Nennung des üblichen Kürzels und der entsprechenden Paragraphennummern zitiert. – wurde am 23. August 2023 vom Bundeskabinett beschlossen. Es soll, nachdem es den Bundestag passiert hat, zum 1. November 2024 in Kraft treten.2)Dieser Artikel wurde im November 2023 geschrieben und gibt den damaligen Stand des legislativen Prozesses wieder. (Es hat sich seitdem jedoch fast nichts getan.)
Diesem Gesetz ging eine jahrelange Debatte um das 1980 beschlossene und derzeit noch gültige, zuletzt 2017 aktualisierte, Transsexuellengesetz (TSG) voraus, das gewisse Bedingungen an eine Änderung des Geschlechtseintrags knüpft. Diese sind insbesondere die Zustimmung eines Gerichts, das seine Entscheidung auf der Grundlage von zwei voneinander unabhängigen Sachverständigengutachten zu treffen hat. Diese Gutachten müssen vor allem bestätigen, dass die antragstellende Person „sich auf Grund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht, sondern dem anderen Geschlecht als zugehörig empfindet und seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben“ (TSG, § 1, Abs. 1) und dass „mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich ihr Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird“ (ebd.). An diesem Verfahren wird kritisiert, dass es zu umständlich sei – etwa dadurch, dass die Antragsteller3)Ich gebrauche in diesem Artikel bewusst das generische Maskulinum, da er sich (1) kritisch mit der der ‚Gendersprache‘ zugrundliegenden Ideologie auseinandersetzt und da es in ihm (2) ja wiederholt um Menschen geht, die sich als ‚nicht-binär‘ verorten und die durch traditionelle Ausdrucksweise eleganter mitadressiert werden als durch umständliche Wortunterbrechungen, die noch dazu im gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurs immer auch das Bekenntnis zu jener problematischen Ideologie mit einschließen. Zu guter Letzt möchte ich (3), dass dieser Artikel sowohl von Befürwortern als auch von Kritikern des Gesetzes möglichst ohne unnötige Vorbehalte gelesen wird – die traditionelle Schreibweise erscheint mir in dieser Hinsicht gerade die ‚inklusivste‘ zu sein. die Verfahrenskosten i.d.R. selbst tragen müssen – und zu sehr in ihre Privatsphäre eingreife, da die Gutachter zu intimen Fragen der Sexualität und der Entwicklung der Wahrnehmung des eigenen Geschlechts Stellung nehmen müssten. Das SBG sieht nun so gut wie keine Hürden zur Änderung des Geschlechtseintrag mehr vor. Selbst in Deutschland lebende Staatsbürger anderer Länder mit dauerhaftem Aufenthaltsstatus sollen, sofern sie volljährig und voll geschäftsfähig sind, einfach zum Standesamt gehen und den Geschlechtseintrag inklusive des Vornamens durch eine bloße Willenserklärung ändern lassen können. Man muss diesen Termin nur mindestens drei Monate vorher beim Standesamt anmelden und es gilt danach eine einjährige Sperrfrist, ehe man eine erneute Eintragsänderung vornehmen kann. Ebenso ist es laut Art. 1, § 2, Abs. 4 in bestimmten Fällen nicht möglich, den Geschlechtseintrag ändern zu lassen, wenn ein baldiges Erlöschen des Aufenthaltstitels bevorsteht, um es zu erschweren, dadurch eine drohende Abschiebung zu verhindern. Die einzige weitere signifikante Einschränkungen liegen Art. 1, § 9 zufolge „im Spannungs- und Verteidigungsfall“ vor. Unmittelbar davor und währenddessen muss man juristisch gesehen ein Mann bleiben, „soweit es den Dienst mit der Waffe auf Grundlage des Artikels 12a des Grundgesetzes und hierauf beruhender Gesetze betrifft“. Die Eltern können Art. 1, § 3, Abs. 2 zufolge ohne weitere Prüfung durch Dritte für ihr Kind einen neuen Geschlechtseintrag beantragen.
Die Debatte zu diesem Gesetz – und ähnlichen Bestrebungen in anderen Ländern – ist äußerst hitzig. Während die einen eine staatliche Anerkennung von Transgeschlechtlichkeit grundsätzlich ablehnen, halten andere selbst noch die Bestimmungen dieses Gesetzes für zu rigide und würden sich eine noch weitgehendere Liberalisierung wünschen. Dabei ist festzuhalten, dass die Kritiker solcher Gesetze sich nicht unbedingt als politisch rechts verorten. Im Gegenteil gibt es eine lautstarke linke Kritik – international prominent vertreten etwa von der Autorin Joanne K. Rowling und in Deutschland der Zeitschrift Emma –, die in ihnen eine Aushöhlung feministischer Errungenschaften betrachtet und insbesondere eine Gefährdung weiblicher Schutzräume. Selbst solche Kritiker werden von Befürwortern dieser Gesetze massiv angegriffen und als „transfeindlich“ bezeichnet. Rowling etwa gilt in manchen Kreisen als reaktionäre persona non grata. (Weiterlesen)
Fußnoten
↑1 | Aus dem Selbstbestimmungsgesetz wird im Folgenden unter der Sigle „SBG“ zitiert. Bei Verweisen auf einzelne Paragraphen des eigentlichen Gesetzestexts wird nur die Paragraphennummer angegeben, bei solchen auf die Erläuterungen zum Gesetz auf die Seitenzahl des vom Kabinett beschlossenen Entwurfs. Bereits beschlossene Gesetze werden im Literaturverzeichnis nicht eigens nachgewiesen und unter Nennung des üblichen Kürzels und der entsprechenden Paragraphennummern zitiert. |
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↑2 | Dieser Artikel wurde im November 2023 geschrieben und gibt den damaligen Stand des legislativen Prozesses wieder. (Es hat sich seitdem jedoch fast nichts getan.) |
↑3 | Ich gebrauche in diesem Artikel bewusst das generische Maskulinum, da er sich (1) kritisch mit der der ‚Gendersprache‘ zugrundliegenden Ideologie auseinandersetzt und da es in ihm (2) ja wiederholt um Menschen geht, die sich als ‚nicht-binär‘ verorten und die durch traditionelle Ausdrucksweise eleganter mitadressiert werden als durch umständliche Wortunterbrechungen, die noch dazu im gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurs immer auch das Bekenntnis zu jener problematischen Ideologie mit einschließen. Zu guter Letzt möchte ich (3), dass dieser Artikel sowohl von Befürwortern als auch von Kritikern des Gesetzes möglichst ohne unnötige Vorbehalte gelesen wird – die traditionelle Schreibweise erscheint mir in dieser Hinsicht gerade die ‚inklusivste‘ zu sein. |