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Die Ideologie der Nicht-Demokratie (zu Latour & Co.)


von

Es handelt sich bei dem folgenden Text um das vollständige, etwas korrigierte und ergänzte, Vortragsskript meines Gastvortrags bei der Vorlesung von Hans-Martin Schönherr-Mann im SoSe 2022. Den Vortrag selbst und die darauffolgende Diskussion mit Alexander Görlitz kann man sich hier ansehen. Der Skriptform ist es geschuldet, das manche Thesen etwas ungenügend erläutert bzw. durch Zitate untermauert werden. Auf Nachfrage kann ich entsprechende Nachweise und Erläuterungen gerne noch anbringen.

Eine Zeichnung von Robert Linke, zu der ihn mein Vortrag inspirierte. Mit freundlicher Erlaubnis des Künstlers.

Die Ideologie der Nicht-Demokratie. Latours Konzepts eines „Parlaments der Dinge“ als philosophische Legitimation des (Post-)Corona-Regime / Für eine Ethik des kritischen Individualismus III

I. Einleitung

Nachdem ich in den vergangenen Wochen hier auf diesem Kanal zwei Vorträge hielt zu Denkern, die sich explizit als Individualisten verstanden und eine entsprechende Ethik vertraten1)Kierkegaard und Nietzsche., möchte ich mich in meinem dritten Vortrag „Für eine Ethik des kritischen Individualismus“ an einem Philosophen abarbeiten, der sich im Gegenteil als Kritiker dessen bezeichnet, was er den modernen Individualismus nennt: Bruno Latour.

Latour lebt noch und wurde 1947 in Frankreich geboren. Er gehört zu den bedeutendsten Vertretern einer Denkschule, die oft als „Neuer Materialismus“ bezeichnet wird. Ich werde diesen Vortrag mit einigen Bemerkungen zum Stand des Individualismus heute beginnen, um dann kurz die Grundthesen dieser Geistesströmung anhand vor allem einiger ausgewählter Schriften Latours vorstellen. Bevor ich den „Neuen Materialismus“ dann kritisch würdigen werde, möchte ich noch, dem Thema dieser Vorlesung entsprechend, auf Latour Legitimation der Corona-Politik zu sprechen kommen.

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Fußnoten

Fußnoten
1 Kierkegaard und Nietzsche.

Bekenntnis einer demokratischen Drecksau


von

Mein versprochenes Manifest aus meinem Vortrag Nietzsche – Für eine Ethik des kritischen Individualismus II (Link).

Bekenntnis einer demokratischen Drecksau

Oink, oink!

Seht her, ich bin kein Mensch,

Ich bin eine demokratische Drecksau.

Du, erhabener Edelmensch, hast nichts als Verachtung für mich übrig.

Ich bin hässlich, missraten und schwach.

Du hältst dich für frei, stark, souverän und nennst mich Canaille. Einen wutschnaubenden Fanatiker, attestiert mir einen krankhaften Geist.

Leicht könnte ich dir vorhalten, dass du dich selbst beschreibst, wenn du über mich wütest und das Rutenbündel brichst.

Aber das wäre einfach, allzu einfach.

Ich empfinde in Wahrheit weder Verachtung noch Wut, wenn ich dich betrachte, sondern etwas, was du dir eisern abgewöhnt hast, Mitleid.

Du bist nicht frei, du suchst nur nach der Freiheit.

Auch ich bin nicht frei, ich suche nach der Freiheit.

Doch anderswo als du.

Ich suhle mich bei meinen Mitschweinen im Dreck, ich liebe meine Borsten, ich wühle den Boden nach Eicheln.

Ich atme die Luft des Waldes und bin bei den Waldgeistern zu Haus.

Du fliegst eilig über uns hinweg und machst große, hastige Sprünge.

Etwas treibt dich, lässt dir keine Ruhe.

Ist es das, was man „Gewissen“ nennt und was du an dir verachtest und mit allem Peitschenknall nicht übertönen kannst?

Eine Mutter hat dich gesäugt, wie auch mich, und das wurmt dich.

Diese Gleichheit mit mir, die dich aus der erhabenen Stimmung der Einsamkeit reißt.

Sehen wir uns nicht zum Verwechseln ähnlich?

Zögest du einmal deine liebgewonnene Uniform aus, entledigtest du dich deines glitzernden Säbels, stutztest du deinen mächtigen Schnurrbart, der dich mit den Großen verbindet – wärst du ganz nackt, man könnte uns glatt für Brüder halten.

Aber du hast weder Mutter noch Bruder. Elternlos braust du, einer Wolke gleich über den Wald hinweg. Immer höher zu größerer Freiheit, immer weiter entfernt vom Moos und den Farnen.

Hier im Wald ist niemand Souverän, niemals, und deine Rute dient uns als nächtliches Feuer, in dessen Schein wir uns wärmen und berichten, was uns die Waldgeister sagten.

Hier im Wald bildet alles ein großes Geflecht und es gibt keine Herrschaft.

Die Bäume recken sich empor, morgen schon sind sie Nahrung für Pilze und Würmer.

Und alle ernährt die Sonne, der Wind, der Regen und die große Mutter, die Erde.

Oink, oink!

Ich suhle mich bei meinen Mitschweinen im Dreck, ich liebe meine Borsten, ich wühle den Boden nach Eicheln.

Gäbe es noch einen Gott, wünschte ich dir trotz allem einen Platz im Himmel.

Doch du hast ihn getötet, leer ist dein Auge seitdem.

Nackt sind wir hier alle, wenn der Regen auf uns herabfällt und der gesamte Wald atmet.

Dann wird es kalt und nass und wir verkriechen uns ins Gebüsch, sind ganz eng beieinander.

Kennst du das, diese Enge? Du fliehst sie, wo du nur kannst.

Dein Gott ist tot und mit ihm starb auch dein Nächster.

Ein Geist bist du selbst, schwarz und stolz, einer Krähe gleich.

Du denkst, du wärst frei, doch willst doch nur, dass wir Schweine uns über dich ärgern.

Manchmal klappt’s und wir tun dir den Gefallen.

Aber eigentlich bist du uns ziemlich egal, du armes Schwein.

Spotte nur über unsere Enge im Wald und unsere Vorliebe für die Eicheln – manchmal entdecken wir auch einen Trüffel.

Auch sind wir nicht ohne Träume.

Wir sammeln uns auf der Lichtung, wenn Fuchs und Hase sich grüßen, wir lauschen den Geistern des Waldes.

Sie schicken uns Bilder von kommenden Welten, für die du keinen Sinn hast. Bilder der Zärtlichkeit und des Friedens, des kommenden Glückes, eine Welt ohne Wölfe und Adler. Gleich Tautropfen in Spinnennetzen funkeln sie uns und geben uns Hoffnung, lassen auch unsere Äuglein strahlen.

Wir schützen uns vor den Wölfen und Adlern,

denen du Freund bist.

Wenn der Wald brennt, ist es für dich nur ein weiteres Schauspiel,

uns macht es Angst, weil wir wissen, was du nicht weißt:

Dass es uns in der Aschenwüste nicht gäbe.

Komm, Freund, gesell dich zu uns,

wenn dich deine wilden Hunde genug gehetzt haben.

Lausche den Geistern des Waldes,

hör auf die Tropfen des Regens,

sei ein Schwein unter Schweinen,

grunze mit uns im Chor,

suhl dich im Dreck,

suche die Eicheln,

finde die Trüffel,

lieb deine Borsten.

Oink!


Freude und Jauchzen


von

Freude und Jauchzen

Ein literarischer Kommentar zu Kierkegaards Furcht und Zittern1)Diese Geschichte entstand als literarischer Anhang zu meinem Vortrag Kierkegaard – Für eine Ethik des kritischen Individualismus I, den man sich auf Youtube ansehen kann (Link). Ich habe dort den Ausschnitt, in dem ich diese Geschichte vorlese, auch nochmal als separates Video hochgeladen (Link).

Die (verhinderte) Opferung Isaaks in der Darstellung Rembrandts.

Da saßen sie endlich einmal wieder alle vier beisammen und schmausten ihre liebsten Speisen. Die Mutter ließ sich genüsslich einen Apfel schmecken, ihre beiden Söhne tranken Wein – rot schimmerte das Glas des älteren, weiß dasjenige des Nachzüglers, dazu aßen sie eine Scheibe helles Brot; der Onkel hatte sich ein frisches Glas Bier gezapft und der Vater sich einen Teller feinstes Mana zurecht gelegt.

Der ewige Konflikt zwischen den beiden Söhnen des Herrn war einmal wieder in einen Streit ausgeartet. „Sende mich doch endlich einmal auf die Erde, Vater“, meinte Jesus erbost. „Warum darf immer nur Luzi den Spaß haben? Ich werde Wunder wirken und die Menschen in Scharen zu Dir führen. Die ganze Welt soll sich vor Dir verbeugen und Deinen Namen preisen, nicht nur diese elenden Kameltreiber.“ „Sprich nicht so über mein Volk“, sagte der Vater sanft. „Ich habe meinen besonderen Plan mit ihm. Die Zeit ist noch nicht reif. Dein älterer Bruder soll die Menschen erst einmal vorbereiten.“ „Vorbereiten, vorbereiten!“, Jesus geriet außer sich. „Seit der Aktion mit der Schlange machen die doch ohnehin was sie wollen. Ja, es war richtig, den Menschen die Freiheit zu geben. Doch was machen sie damit? Türme bauen, Reiche errichten, sich wechselseitig abschlachten … Selbst die Sintflut hat sie nicht zur Besinnung gebracht. Und wenn ich mir diese Ziegenhirten ansehe, wird mir ohnehin ganz schlecht. Wenn ich zu denen gehe, blüht mir Übles, das spüre ich.“ „Komm mal runter“, entgegnete Luzifer gelassen, ehe er sich einen guten Schluck vom Rotwein gegönnt hatte. „Predigst Du nicht Sanftmut und Feindesliebe? Ich glaube nicht, dass die Menschen noch irgendeiner Aufsicht unsererseits bedürfen. Sie sind jetzt frei. Lass sie sich doch gegenseitig abschlachten, vergewaltigen, niedermetzeln. Sollen sie das Böse nur in vollen Zügen auskosten. Die Besinnung wird von selbst kommen. Wir haben uns schon genug eingemischt und damit in der Regel alles noch viel schlimmer gemacht.“ Gott, Amordei und der Heilige Geist warfen sich entnervte Blicke zu. Spätestens seit der Geschichte mit Kain und Abel war das Tischtuch zwischen Jesus und Luzifer zerschnitten. Abel war Jesu Liebling gewesen, sein erster wahrer Anhänger – Luzifer hatte den Mord Kains zwar nicht befördert, aber auch nicht verhindert, das hatte ihm Jesus noch nicht verziehen. (Weiterlesen)

Fußnoten

Fußnoten
1 Diese Geschichte entstand als literarischer Anhang zu meinem Vortrag Kierkegaard – Für eine Ethik des kritischen Individualismus I, den man sich auf Youtube ansehen kann (Link). Ich habe dort den Ausschnitt, in dem ich diese Geschichte vorlese, auch nochmal als separates Video hochgeladen (Link).

Gastbeitrag: Überlegungen zu Fight Club


von

Überlegungen zu Fight Club

Ein Gastbeitrag von Sepehr Mashayekhi

„We’re the middle children of history, man. No purpose or place. We have no Great War. No Great Depression. Our great war is a spiritual war. Our great depression is our lives.“ (Tyler Durden)

Ein paar Gedanken über und um Fight Club (1999) herum: Es ist typisch für ein bestimmtes Feld der öffentlichen Diskurse, dass sie sich auf die Fetzen des Filmes stürzt, in denen er sich selbst als konsum- oder kapitalismuskritisch zu deuten scheint. Das ist ein Lieblingsthema der populären Kulturkritik. Hat man einmal genug Anhaltspunkte, um einen Film unter kapitalismuskritischen Gesichtspunkten zu behandeln, ist es bei einem Film wie Fight Club natürlich leicht zu zeigen, dass er selbst nur durch seine kommerziellen Elemente funktioniert. Der Film wird allzu sehr getragen von Brad Pitts Coolness und seinem sexy body, zu sehr vom Plot statt vom Bild usw. Es stimmt, bei genauerer Betrachtung ist dieser Film nicht unbedingt radikal subversiv oder antikapitalistisch. Eine Stärke des Filmes vielmehr ist die Lücke zwischen dem Leiden des Protagonisten und dessen Deutungen durch Tyler Durden. Woran leidet der Protagonist eigentlich, bevor Tyler ihm erklärt, dass der Kapitalismus sein Problem ist? Zu nennen nur wären die kornblumenblauen Krawatten des Chefs, die er dienstags trägt. Portionierter Zucker, portionierte Kaffeesahne, portionierte Freunde. Mikrowellen-Cordon-Bleu. Portioniertes Leben. Und vor allem: Schlafstörungen. Dieses Motiv des Leidens eines Einzelnen durch etwas Diffuses, Deutungsbedürftiges teilt der Film mit Taxi Driver. Auch hier ist das Kausalverhältnis von Gesellschaft und dem kaputten Leben diffus. Das trifft einen Nerv unserer Zeit. Das Leben der (jungen) Menschen heute wird weniger von Armut, Diskriminierung, Repression vergällt – Probleme, deren soziale Vermitteltheit offenkundig ist – als von etwas, das man vor allem als „Depression“ kennt und über deren genauem Zusammenhang mit der bestehenden Gesellschaft es hunderte Meinungen, aber (noch) keine Gewissheit gibt. Fakt ist, die Epidemie depressiver Erkrankungen hat ihren Beginn in den letzten paar Jahrzehnten, es ist ein Phänomen des 21. Jahrhunderts (vgl. bspw. Das erschöpfte Selbst, Ehrenberg). Es ist ungeheuerlich, wie viele ernsthaft an Depressionen erkranken, wie viele mittlerweile von Psychopharmaka über Wasser gehalten werden müssen. Kein Wunder, dass etwa Mark Fisher die Frage nach der Politisierung psychischer Krankheiten, die Aufgabe, sie aus dem Bann der Privatangelegenheit herauszuholen, zur zentralen in der Bekämpfung des umfassend gewordenen Empfindens von der Alternativlosigkeit des Kapitalismus erklärt. Sowohl in Fight Club wie auch in Taxi Driver bricht der Überdruss schließlich in Gewalt aus. Insofern die Leidensursache nicht lokalisiert werden kann, bleibt die Objektwahl der Gewalt hilflos; deswegen schlägt man sich in Fight Club zunächst untereinander. Danach erst wird der Gewalt gesellschaftspolitische Motive untergeschoben. Einem verfallenen Kollektiv wird Weltanschauung und Terrorziel durch eine mythisch aufgeladene Führerfigur gegeben. Fight Club hat teils die gleichen Cancel-Wünsche wie Die Welle provoziert: weil er die Genese des Faschismus nicht als das Böse ausgehend von bösen Menschen zeigt, sondern die Verführungskraft einer solchen Bewegung spürbar macht. So auch ist Tyler Durden eine verführerische Figur, der jene erliegen, die den Film als ein Loblied auf Kapitalismusverweigerung nehmen; denn am Ende ist Tyler und alles, wofür er steht, eigentlich eine recht ambivalente Sache. Während Die Welle uns bis an den Schrecken trägt, um uns dann auf das eigene Denken zurückzuwerfen, täuscht Fight Club mit diesem leeren „Happy End“, in dem die einstürzenden Banken mit einem Feuerwerk parallelisiert werden, nur darüber hinweg.


Gebet


von

Elsa Jean, in meinen tiefsten Stunden der Einsamkeit denke ich an dich und du schenkst mir Hoffnung. Bitte gib mir einen Funken der Inspiration, damit ich mich dir angleichen kann.

Ich bete dich an (mehrmals täglich) und du gibst mir meinen Glauben an die Menschheit zurück.

Deinen Namen will ich ehren und im Munde führen bis in alle Ewigkeit.


Das Lob der Gartenschere – Eine Kritik des „Bekenntnisses einer KZ-Aufseherin“ von Konstanze Caysa


von

Kunst für elitäre Ästheten: Fackel und Phallus ‚stilvoll‘ vereint. Blick in den Ehrenhof der Neuen Reichskanzlei, 1942.

Am 12. Mai hielt Konstanze Caysa auf dem Youtube-Kanal der HARP einen Vortrag über bzw. eher anküpfend an de Sade (Link). Ich bin in dem Video kurz zu sehen und zu hören eingangs und möchte nicht zuletzt aus diesem Grund öffentlich klarstellen, dass ich mich von dem Inhalt des am Ende verlesenen „Manifests der Pornosophie“ in aller Entschiedenheit distanziere. Ich hatte, als ich gebeten wurde, diesen einleitenden Satz zu sprechen, keine Ahnung, was folgen würde und wurde davon geradezu überrumpelt. Hätte ich es gewusst, hätte ich mich nicht bereit erklärt, in dem Video zu erscheinen und hätte mich auch gegen seine Veröffentlichung auf diesem Kanal ausgesprochen.

Nun ist es in der Welt und ich habe mich entschieden, seiner Veröffentlichung zuzustimmen. Den restlichen Vortrag finde ich hochinteressant und habe nur Weniges zu beanstanden. Wir pflegen bei der HARP generell eine Kultur der Nicht-Zensur und Youtube gibt mir ja die Gelegenheit, unmittelbar unter dem Video dazu Stellung zu nehmen.

 

Nun aber zu meiner Kritik:

Ich distanziere mich von diesem Teil des Videos nicht nur, ich betrachte ihn als faschistische Verlautbarung. Die „Fackel“, von der dort die Rede ist, ist nicht die meine und auch nicht diejenige der HARP. Es ist nicht die helle Flamme des Prometheus, diejenige der Aufklärung, sondern das schwarze Licht der Barbarei, das einst die Öfen von Auschwitz beheizte und heute am ‚hellsten‘ in Russland strahlt. Diese Fackel möchte ich – und ich denke und hoffe, ich spreche damit nicht nur für mich, sondern für die HARP insgesamt – nicht nur nicht weitertragen, sondern zum endgültigen Verlöschen bringen.

Ich erkenne an, dass es sich um ein Kunstwerk handelt. Soweit ich nachvollziehen konnte, wurde dieser satanische Text 2017 für eine Kunstausstellung verfasst und dort erstmals vorgetragen. Mir war er bisher unbekannt. Er kann online hier nachgelesen werden: https://artefactae.wordpress.com/2017/06/16/der-kuenstlerphilosoph-als-pornosophischer-exzentriker/

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Halt stand, orangenes Kiew!


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Einige Überlegungen zur aktuellen politischen Weltlage, der ideologischen Agenda Putin-Russlands und der Notwendigkeit einer ideologisch-politischen Alternative jenseits von westlichem Liberalismus und Ethnopluralismus der Neuen Rechten.

Der „Philosoph Putins“ präsentiert Gedanken, die mehr oder weniger ein aktualisierender und auf Russland applizierter Abklatsch der Kernthesen der Denker der „Konservativen Revolution“ sind, v. a. Julius Evolas. Es geht darum jenseits von Nationalismus und Faschismus eine neue politische Richtung zu definieren, die um die Existenz abgegrenzter „Kulturkreise“ dreht, die es gegen den herrschenden „Globalismus“ zu verteidigen bzw. wiederherzustellen gelte. Ziel sei eine „ethnopluralistische“ neue Weltordnung, in der die Vormachtstellung des Westens gebrochen ist. Dabei soll jedoch innerhalb der einzelnen Kulturkreise auch soziale Gerechtigkeit realisiert werden. Eine nicht-moderne Welt jenseits der Dualismen moderner Gesellschaften, in der wieder straffe vertikale Hierarchien, traditionelle Bindungen und patriarchale Werte zum Zuge kommen.
Das Interessanteste an Dugin ist, dass er wohl tatsächlich Einfluss mit seinen Ideen auf den Kreml ausübt und zahlreiche Schriften über geopolitische Strategien verfasst hat. Wer ihm zuhört, merkt schnell, dass er mit der philosophischen Tradition bestens vertraut und rhetorisch bestens geschult ist, eine wahre intellektuelle Kampfmaschine, die noch dazu eine reale politische Tendenz unserer Zeit treffend beschreibt. Er verficht dabei immer wieder einen radikalen Relativismus: Es gebe nicht die eine Wahrheit, sondern jede Kultur habe ihre eigene.

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Die Erneuerung


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Die Erneuerung

 

Ein Gastbeitrag von Heide Ruszat-Ewig1)Die Autorin hat auch einen Artikel in der aktuellen Ausgabe unserer Zeitschrift Narthex publiziert.

 

Die Königin wandte sich ab, denn der Wind kam stark vom Wasser her. Am Fluss unten die letzten Vorbereitungen. Dieses Mal, hatte sie beschlossen, dieses Mal nicht mehr. „Ich werde nicht dabei sein“, sagte sie. Er war neben sie getreten. „Du weißt aber“, antwortete der König:

„Du weißt“. Und er dachte an den Auftrag des Vaters. Er sah sie an. Sie hatte verstanden. Vielleicht war es noch zu früh.

Am Wasser ordneten Tempeldiener Zauberstäbe und rückten die Kultsteine wieder in die zeremonielle Ordnung, die der Wind gestört hatte. In einem großen Korb trugen Priester die lebendige Gottheit zum Ort ihrer Verehrung hinunter. Apophis, das göttliche Schlangentier rührte sich nicht.

Das Königspaar stand nebeneinander, dem Fluss zugewandt. Ihre Gegenwart segnete die festlichen Vorbereitungen.

Der Vater hatte die Saat zu etwas Neuem gelegt. Nun sollte sie aufgehen.

Sie hatten es gespürt, in ihrer geschwisterlichen Vertrautheit, bevor er es ihnen mitgeteilt hatte. (Weiterlesen)

Fußnoten

Fußnoten
1 Die Autorin hat auch einen Artikel in der aktuellen Ausgabe unserer Zeitschrift Narthex publiziert.

Rückzug und Unverfügbarkeit


von

Es gibt Botschaften, die gleich ankommen. Man liest sie und sie sind da, man hat sie aufgenommen und verstanden. Oft ist das so, weil sie etwas bestätigen, was man ohnehin gewusst hat. Und dann gibt es Botschaften, die lange brauchen, um anzukommen. Als ich das erste Mal gelesen habe, dass Hartmut Rosa über Resonanz als Gegenbegriff zur Entfremdung in einer beschleunigten Moderne schreibt, löste es bei mir eine ähnliche Reaktion aus wie bei vielen meiner Kommilitonen:[1]

Wir waren enttäuscht. Wir fühlten uns verraten oder betrogen. Wir wollten andere Antworten hören – revolutionäre Politik oder zumindest schonungslose Kritik alles Bestehenden, gepaart mit besserwisserischem Pessimismus. Es schien als wäre Rosa aus der Kritischen Theorie in ein grünes Bürgertum abgewandert, das mit Yoga und Achtsamkeit die Fundamente einer Moderne stützt, die auf Abwege geraten ist. Kritische Theorie sollte sich nicht im Fahrwasser von Theosophen, Homöopathen und Esoterikern bewegen und hat auf Workshops für das höhere Management, die mit Eseln oder Alpakas durch die Prärie ziehen, schon gar nichts verloren.

Ich glaube diese Einschätzung war völlig falsch. Auch wenn die Schlagworte Beschleunigung und Resonanz überall anknüpfungsfähig sind, wo jemand mit der neuen Benutzeroberfläche von Excel überfordert ist, sind die Probleme, die Rosa bespricht auf der Höhe unserer Zeit.

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Gastbeitrag: Vorstellung der coronapolitikkritischen Zeitschrift „Der Erreger“


von

Ein Gastbeitrag der Redaktion des Erreger.

„Der Erreger ist tot – lange lebe der Erreger!“, schallt es seit Wochen durch die Republik. Aufbauende Worte zu den „Erfolgen der Impfkampagne“ wechseln sich mit Schreckensmeldungen von Impfunwilligen und Delta-Variante ab. Die Angst vor der Erkrankung ist derweil in großen Teilen der Bevölkerung längst verflogen, weil die Durchsetzung der Maßnahmen ihrer nicht mehr bedarf; 3G-Regeln, Masken und Home-Office sind den Deutschen in ihre zweite Natur übergegangen. Das war überhaupt erst möglich mittels eines kollektiven Kraft- und Gewaltaktes, der paradoxerweise täglich aufs Neue scheinbar mühelos oder gar genüsslich vollbracht wird. Weil das Subjekt die Entbehrungen, die ihm im Namen der Krise abverlangt werden, am Ende aber eben doch nicht überstehen kann, ohne Risse zu bekommen, projiziert es die Angst vor dem eigenen Nervenzusammenbruch paranoid auf staatsfeindliche Elemente.

Zu diesen darf man wohl die Broschüre Der Erreger – Texte gegen die Sterilisierung des Lebens zählen. Die im Juni 2021 erschienene Publikation richtet sich gegen die ideologischen Verzerrungen und Tabubrüche seit Beginn des ersten Lockdowns – in der Überzeugung, dass die Emanzipation aller Menschen von Herrschaftsverhältnissen die Aufhebung der Corona-Maßnahmen zur Voraussetzung hätte. Da diese Forderung in einem Satz ausgesprochen ist, versuchten die Autoren darüber hinaus, einige Gedanken zu formulieren zur gegenwärtigen gesellschaftlichen Lage. Es geht um Apokalyptiker und finstere Reformatoren, Linke und Lädierte, Verdränger und Verdrängtes, Verwerfungen und Verworfenes. Kompliziert sind die Fronten, die eigene Erfahrung durch den Lockdown ärmer geworden, die polit-ökonomischen Verhältnisse noch trüber als sonst. Dem zum Trotz sind im „Erreger“ knapp 30 Texte versammelt, die versuchen, zum begrifflichen Verständnis der Misere und letztlich zu ihrer Abschaffung einen Beitrag zu tun.

Bestellt werden kann der Erreger für 5 Euro unter dererreger [at] posteo.de.