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Don´t panic!


von

Ein Gastbeitrag von Martin Gloger. Der Text entstand als Antwort auf die Preisfrage des Eos-Preises 2021: „Geht die Welt unter?“ (Link).

Don´t panic!

Zur Antwort auf die Frage: „Geht die Welt unter?

Die Frage, ob die Welt unter geht, ist grundsätzlich sehr einfach zu beantworten: Es spricht einiges dafür, dass die Welt untergehen wird. Unser Planet kollidiert eines Tages mit einem anderen Himmelskörper; die Sonne verwandelt sich in ferner Zukunft in einen Roten Riesen und das Leben auf der Erde wird unwirtlich; eine oder mehrere Pandemien löschen das Leben eines Großteils der Menschheit aus. Es besteht darüber hinaus die Möglichkeit einer Selbstauslöschung des Menschen durch Krieg oder andere Zivilisationskatastrophen. Im Zuge des Klimawandels werden Teile der Welt unbewohnbar und die Bewohner der gemäßigten Zonen werden sich in sichere Ressorts zurückziehen und die Grenzen zur Peripherie abriegeln. Weniger dramatisch, aber dennoch mit drastischen Folgen für die allgemeinen Lebenschancen – zumindest in der westlichen Welt – könnte ein Zusammenbruch der digitalen Welt sein, bei dem das Alltagsleben enorm eingeschränkt ist, etwa durch Kollaps digitaler Zahlungsmittel und gleichzeitigem Ausfall der Geldautomaten. Es gibt also viele Möglichkeiten, wie diese Welt Ihr Ende findet, und laufend kommen neue hinzu. Es ist also anzunehmen, dass die Welt zerstört wird oder sich die Lebensumstände deutlich zum Schlechteren wenden – unklar ist dagegen, wann, wo und auf welche Art und Weise es geschehen wird. Das es eines Tages zur Katastrophe kommen wird, scheint oft weniger Grund zur Sorge zu sein, als die Unsicherheit, wann es geschehen wird. Diese allgemeine Verunsicherung hat diverse Erzählungen über das Ende der Welt inspiriert.

Im Folgenden wird der Begriff Weltuntergang in einem sehr weiten Sinne gebraucht. Für das Ende der Welt sind verschiedene Szenarien denkbar, astrophysikalische Szenario, dass das gesamte Universum zerstören wird, als eine Naturkatastrophe, die das Leben auf der Erde dezimiert oder aber auch als eine von Menschenhand gemachte Apokalypse, etwa einen Krieg, der die Menschheit global vernichtet. Die Möglichkeit einer Selbstauslöschung der Menschheit ist ein historisch relativ junges Szenario, dass vor allem durch die Zivilisationskatastrophen des 20. Jahrhunderts angestoßen wurde. Mangels Expertise und Prognosefähigkeit soll an dieser Stelle auf eine Behandlung einer kosmischen oder globalen Apokalypse verzichtet und der Schwerpunkt eher auf sozialphilosophische Aspekte gelegt werden.

In diesem Text soll eigene keine Prophezeiung oder Prognose des Endes der Welt vorgetragen werden. Das Vorhaben dieses Essays ist bescheidener. Philosophisch kann die Frage, ob und wann die Welt untergeht, nicht beantwortet, sondern allenfalls kritisiert werden:  Was ist damit gemeint, dass die Welt unter geht? Ist die Frage nach einem Weltuntergang für uns relevante? Grundsätzlicher formuliert, was ist die Stellung des Menschen in der Welt und welche Möglichkeiten der Gestaltung dieser Welt haben wir? (Weiterlesen)


Willkommen in der Wüste des Normalen!


von

Der Text entstand als Antwort auf die Preisfrage des Eos-Preises 2021: „Geht die Welt unter?“ (Link).

 

Willkommen in der Wüste des Normalen!

Über Pandemie und Weltuntergang

 

Überall beginnt man die spätestens seit März 2020 andauernde Phase als eine Art neue Epoche, als ‘Zeitalter der globalen Pandemie’ und dergleichen zu bezeichnen. Diese Redensart hat offensichtliche Vorteile. Sie markiert die schmerzhafte Zäsur zwischen den Anforderungen der Gegenwart und dem alten ‘Normalzustand’, dem Leben noch ungehindert durch social-distancing, Maskenpflicht und Lockdown, noch nicht gemessen an statistischen Fallzahlen, Inzidenzen und Immunisierungsquoten. Unter den Bedingungen der weltweiten Verbreitung des neuartigen Coronavirus-Erregers, SARS-CoV-2 (severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2), kann dieses alte ‘Normal’ als ein zunehmend wünschenswerter aber unerreichbarer Zustand erscheinen. Sicherlich wird mit größter Anstrengung daran gearbeitet, die Krise zu bewältigen und unter immunisierten Bedingungen wieder etwas ‘Normalität’ zu ermöglichen. Dennoch drängt sich die Ahnung auf, dass dies nicht die alte Normalität sein kann und dass es das soziale Leben in der Form, wie wir es kannten, vielleicht nie wieder geben wird. Slavoj Žižek exklamierte 2020 in seinem Buch Pandemic!: “There is no return to normal, the new ‘normal’ will have to be constructed on the ruins of our old lives(…)” 1)Žižek, Slavoj: Pandemic! Covid-19 Shakes the World, 1. Aufl., New York: OR Books 2020. S.3. So viel lässt sich mit gewisser Sicherheit sagen: Erkrankung, Immunisierung und Mutation werden die Rahmenbedingungen des gesellschaftlichen Lebens bis auf unabsehbare Zukunft bestimmen. Diese Einsicht muss nicht in Verzweiflung über den Untergang ‘normalen’ Lebens münden. Vielmehr entblößt die Krise die intrinsische Krisenhaftigkeit des alten ‘Normalzustands’ und kann damit die Notwendigkeit des Umdenkens ins Bewusstsein rufen – die Notwendigkeit der Entwerfung anderer, auf globaler Kooperation und Solidarität fußender Lebensbedingungen. Dieser kurze Essay beansprucht weder die ganze Wahrheit über das Alte zu sagen, noch verlässliche Aussichten über die Zukunft zu offenbaren. Er ist lediglich ein Versuch den Übergang zu markieren, vor einigen Fallen auf dem Weg zu warnen und wie Žižek, als er vor etwa 20 Jahren über eine andauernde Krise schrieb, die seinerzeit mit der hereinbrechenden Apokalypse verglichen wurde, stellt er die Frage: “where have we seen this before?”2)Žižek, Slavoj: Welcome to the Desert of the Real! Five essays on September 11 and related dates, London: Verso Books 2002. S.3

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Fußnoten

Fußnoten
1 Žižek, Slavoj: Pandemic! Covid-19 Shakes the World, 1. Aufl., New York: OR Books 2020. S.3
2 Žižek, Slavoj: Welcome to the Desert of the Real! Five essays on September 11 and related dates, London: Verso Books 2002. S.3

Scherben des Götterkults in der Polis


von

Der Kernpunkt dieses kurzes Beitrags liegt darin, auf ein Spannungsverhältnis innerhalb der Geschichte der Polis aufmerksam zu machen. Ich möchte über eine ideengeschichtliche Entwicklung in der griechischen Klassik und ihre Widerspiegelung auf die Selbstwahrnehmung des Subjekts sprechen. In der Hauptsache soll gezeigt werden, dass die Polis Riten, Mythen und kriegerische Ideale aus der archaischen Zeit übernimmt, das mit der aufkommenden bürgerlichen Subjektivität kontrastiert.

Die griechische Kultur entwickelte sich in Auseinandersetzung mit Jahrhunderte lang währenden Kriegen. Im Zeitraum der sogenannten dorischen Wanderung des elften Jahrhunderts v.Chr., lebten die griechischen Völker unter ihren Königen noch in mehr oder weniger kleinen Gemeinschaften. Befestigungen und Burgen dienten den Schutz der Aristokraten und Ritter. Der größte Teil der Bevölkerung lebte aber noch in bäuerlichen Dorfgemeinden. Da in vielen Fällen die dorische Wanderung eine dauernde Gefahr bedeutete, von anderen Völkern verdrängt zu werden, gliederten sich die Dorfgemeinschaften in Polisverbände ein.1)Vgl. Burckhardt, Jakob: Griechische Kulturgeschichte, Bd. 1, München: Dtv, 1977, S. 16 ff/S. 60. Die politische Verbundbildung ermöglichte neue Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, so dass ab dem 8. Jahrhundert allmählich bürgerliche Lebenspraktiken entstanden, die die bäuerliche und adlige zwar nicht ganz verdrängten, aber doch ergänzten und nachhaltig veränderten.2)Vgl. Boehringer, David: Heroenkulte in Griechenland von der geometrischen bis zur klassischen Zeit, Berlin: Akademieverlag, 2001, S. 166

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Fußnoten

Fußnoten
1 Vgl. Burckhardt, Jakob: Griechische Kulturgeschichte, Bd. 1, München: Dtv, 1977, S. 16 ff/S. 60.
2 Vgl. Boehringer, David: Heroenkulte in Griechenland von der geometrischen bis zur klassischen Zeit, Berlin: Akademieverlag, 2001, S. 166

Was ist Natur?


von

In der gut regierten Stadt blüht auch die umliegende Natur. Fresko von Ambrogio Lorenzetti im Rathaus von Siena. (Bildquelle)

Dieser Text ist der Versuch, für mich selbst ein paar grundlegende Ansichten zum Naturbegriff zu klären ohne überbordende Referenzen. Wichtige Vordenker neben den genannten sind vor allem Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Ernst Bloch und Hartmut Rosa.

Natur ist für mich zunächst einmal das Wort für jenes seltsame Andere, das allen menschlichen Aktivitäten vorausgeht, von ihnen jedoch nicht selbst hergestellt werden kann. Aus diesem Verständnis folgt klarerweise – wie schon bei Aristoteles –, dass alle Erzeugnisse menschlicher Praxis, bis hin zu unseren inneren subjektiven Zuständen, stets ein naturhaftes Moment in sich tragen, selbst wenn dies bei Artefakten, begrifflichen Gedanken und Ähnlichem nicht das bestimmende Moment ist. Der Mensch hat ein zwiegespaltenes Verhältnis zur Natur: Er fürchtet ihre Macht zum einen seit jeher und möchte sie bändigen, die Abhängigkeit von ihr am liebsten ausmerzen. Das ist jedoch letztlich vergeblich. Selbst die Replikatoren der Sternenflotte sind etwa noch von einer externen Energiezufuhr abhängig. Zudem entwickeln die Resultate der menschlichen Bemühungen oft selbst ein Eigenleben, werden zu einer ‚zweiten Natur‘, die uns ebenso fremd und feindlich gegenübersteht wie diejenige, der wir zu entrinnen trachteten. – Darüber hinaus dient die Natur dem Menschen aber auch als Dialogpartner, als Sphäre der Befreiung von den rigiden Zügeln der Selbstbeherrschung, als Reich des Genusses, der Verehrung und der Inspiration. Beide Aspekte schlagen oft ineinander um; was in dem einen Moment Genuss verursachte, bringt im nächsten Schmerz.

Oft wird empfunden, dass die Beseitigung der Natur so weit ging, dass wir dieses zweite Moment immer häufiger vermissen. Ich denke, das ist wahr. Ein wahrscheinlich ideales Verhältnis zwischen Mensch und Natur kann man meines Erachtens in der Toskana und vergleichbaren Kulturlandschaften erleben: Hier herrscht seit Jahrtausenden eine dialogische Koexistenz zwischen beiden. Im Rathaus von Siena kann man einen Freskenzyklus von Ambrogio Lorenzetti aus dem frühen 14. Jahrhundert betrachten, der diesen Gedanken illustriert: Wenn es der Stadt schlecht geht, verdorrt die sie umgebende Landschaft; floriert die Stadt, blüht auch die Natur um sie herum. (Weiterlesen)


Lasst die Spinner reden!


von

Ken Jebsen, wir brauchen dich. Auch wenn du ein Depp bist.

Jeder gute König braucht seinen Kasper!


Leichenfledderei


von

Paul Stephan hat mir ja den Tipp gegeben – für den ich ihm auch sehr dankbar bin – dass ich mir doch die Beiträge nochmal ansehen sollte, die ich bisher auf diesem Blog verworfen habe. Also das, was schon fast im Abfalleimer gelandet wäre. Das ist ein wenig, als würde ich eine Psychoanalyse mit mir selber anstellen, aber gut, gibt Schlimmeres. Und von was sollte ich genau wegsehen wollen, nicht wahr?

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Mathematik


von

Ich könnte den ganzen Tag damit zubringen, mir solche Videos anzusehen, auch wenn ich sie nicht einmal im Ansatz verstehe. Zu was doch der menschliche Geist in der Lage ist, wenn er sich auf etwas hartnäckig konzentriert! Ständig richten wir unseren Blick nur auf die Zahlen, der Haushalt muss stimmen etc.. Vielleicht eine gute Übung. Vielleicht sollte auch ich noch viel mehr rechnen. Nur sollte man darüber nicht vergessen, dass dieses Rechnen den Blick in eine innere Welt von unfassbarer Schönheit bedeutet. Wenn ich all diese Fraktale und Rechnungen nur geistig durchdringen könnte, ich müsste kein LSD mehr nehmen. Wozu auch? Ist ja alles in meinem Kopf.

So viel Arbeit, die ich an mir selber leisten muss. Wie ich das nur schaffen soll…


Research, research: Hydroxetamin


von

So, als nächstes versuche ich es mal mit HXE, also Hydroxetamin. Schon verrückt, ich habe keine Ahnung von Chemie… Wie interessant wäre es bitte, sich mit der Synthese von diesen Stoffen auszukennen?

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Satan


von

Vielleicht ist das ja der Satan. Diese Stimme in einem, die einem sagt: „Jetzt tu doch nicht so, als würdest du klassische Musik mögen. Tu doch nicht so, als seist du schlau. Tu doch nicht so, als seist du stark. Tu doch nicht so, als seist du fähig.“


Vielfalt und Sprachprobleme – Die Skepsis der Postmoderne


von

Der Zeitgeist ist postmodern geworden. Das Bemühen um eine geschlechterbetonende Sprechweise, die Einrichtung von Toiletten für reale Zwitter und solche, die es werden wollen, sowie Schmutzkampagnen gegen mächtige weiße Männer sind nur der oberflächliche und gemeine Ausdruck einer Philosophie, die in ihrer populären Gestalt kaum mehr erkennen lässt, woher sie eigentlich stammt und was ihr Wesen ist. Solche Auswüchse sollen nicht der Maßstab sein, denn wir haben es bei der Postmoderne mit einem ernsthaften Versuch von Philosophie zu tun, mit einer ernsthaften Auslegung des Seins und der Ethik. In der praktischen Politik steht die Postmoderne für eine Identitätspolitik, doch ihre Philosophie steht für Nicht-Identität, Vielfalt und Differenz. Beides ist kein Widerspruch: Aus der Forderung nach Differenz folgt eine identitäre Politik. Diversity ist die Kampfvokabel einer forcierten Subjektivität, die auf alle möglichen Verschiedenheiten Rücksicht nimmt.

Postmoderne heißt Skepsis

Die forcierte Subjektivität ist aber nicht der gedankliche Kern der Postmoderne. Die Philosophie der Differenz behauptet die Existenz eines Unterschieds im Sinn eines absoluten Unterschieden-Seins und einer Unvereinbarkeit der Unterschiede. Alle Vorstellungen von der Welt und alle Zugriffe auf die Welt seien untereinander so unterschiedlich, dass es unmöglich wäre, sie in irgendeiner Art zu vereinen. Die fehlende Einheit, die Unmöglichkeit zur Einheit – das ist der eigentliche Kern der postmodernen Philosophie. Diese Unvereinbarkeit aufgrund einer Unmöglichkeit zur Einheit gehört zu den bekannten Tropen einer philosophischen Richtung, die an den Universitäten kaum gelehrt wird – der Skepsis. Im Kern ist die Postmoderne eine skeptische Bewegung, eine Philosophie des Zweifels und der Unentschiedenheit aufgrund der Unentscheidbarkeit des zu Entscheidenden.

Wittgenstein als geheimer Vater

Der Begründer der Postmoderne ist Ludwig Wittgenstein. Er hat sich nie als postmodern bezeichnet, ist aber ein entscheidender Ursprung jener Skepsis, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts breit macht. Mit Ludwig Wittgenstein beginnt die so genannte linguistische oder pragmatische Wende in den Geisteswissenschaften.

Der nähere und allgemein anerkannte Ursprung der Postmoderne ist das Werk von Jean-François Lyotard. Er war es, der Wittgensteins Begriff des Sprachspiels mit weitreichender Wirkung auf das Wissen und die Ethik angewendet hat – mit ihm werden Wittgensteins Glasperlenspiele politisch. Auftakt ist Das postmoderne Wissen von 1979, dessen Titel sich eigentlich treffender wiedergeben ließe mit: ‚Die Verfassung der Postmoderne‘. Für die ethischen Konsequenzen zieht man am besten den Widerstreit von 1983 zu Rate.

Die Grundverfassung der Postmoderne

Die Postmoderne ist so verfasst, dass sie nicht mehr an die Großen Erzählungen glaubt. Sie ist ernüchtert, sie kann Utopien nicht ausstehen. Diese großen Erzählungen sind aber eigentlich von sich aus gar keine Erzählungen, es sind Analysen, die eine Einheit des Geschehenen postulieren aufgrund eines Prinzips, auf das sie die Ereignisse zurückführen. Auch der Marxismus will und wollte Wissen schaffen und keine Erzählungen erzählen mit seiner Geschichtsutopie, die sich nicht als Märchen, sondern als logische Folgerung versteht. Die skeptische Postmoderne hält solche prognostischen Versuche nicht mehr für ausreichend legitimiert, weil sie die Rückführung auf einheitliche Prinzipien und Letztbegründungen generell ablehnt.

An die Stelle der Letztbegründung tritt Inkommensurabilität. Diese Unvergleichbarkeit heißt nichts anderes als die Unmöglichkeit einer Einheit oder die Abwesenheit der Prinzipien im Ganzen. Wo Prinzipien und Grundsätze fehlen, ist Wissen im eigentlichen Sinn nicht mehr möglich. Das ist die skeptische Seite der Postmoderne.

Skepsis führte im ursprünglichen antiken Sinn bei Sextus Empiricus zur epoché, einer edlen Urteilsenthaltung und vornehmen Gleichgültigkeit (ataraxia). In der Postmoderne führt sie zum Gegenteil, zu einer scharfen Verurteilung abweichender Meinungen und zu einer Engagiertheit im Sinne der diversity. Die postmoderne Skepsis ist eine dogmatische Skepsis – und diese Dogmatik entstand aufgrund ihrer Verbindung zu den Sprachspielen Wittgensteins.

Die Grundsätze der Postmoderne

Weil sie dogmatisch ist, lassen sich ihre Grundsätze, oder besser: ihre Tropen und Wendungen auch zusammentragen und ihrer Herkunft bestimmen:

1) Werte sind inkommensurabel.

Werte sind für die Postmoderne wie Sprachen. So wie Arabisch für Unerfahrene wie eine Kehlkopferkrankung klingt, so bleiben die Subjekte immer Muttersprachler ihrer eigenen Werte und Vorstellungen und verstehen vom Anderen nur ein letztlich unverständliches Gebrüll und Gekrächze. Es gibt keine universelle Sprache, es gibt nur Sprachen im Plural.

Aus der unvereinbaren Vielfalt an Sprachen folgt das Gebot der Toleranz: Lass die Vielfalt bestehen! Bei Wittgenstein sind Sprachen nämlich zugleich eine Lebensform (Philosophische Untersuchungen Nr. 23) als auch die Grenzen der eigenen Welt (Tractatus Nr. 5.62). Aus der absoluten Unvergleichbarkeit folgt das unbedingte Gebot, andere Welten in Ruhe spielen zu lassen.

2) Werte sind heterogen und agonal

Die Ethik der Toleranz ist notwendig, weil die Werte (ungefähr wie unterschiedliche Satzarten) sich nicht nur unvereinbar, sondern auch feindlich in einem Wettbewerb gegenüberstehen. Vereinigungen unter eine große Erzählung, also die Vereinigung unter einen leitenden Grund, wird bloß als ein Machtspiel begriffen, als eine Vereinnahmung anderer Welten. Dieser Gedanke kommt weniger von Wittgenstein, als von Nietzsche oder Heidegger, der moderne Wissenschaft bloß als Machenschaft zur Ermächtigung der Subjekte verstand. Praktisch heißt das: Sprachspiele sind immer Machtspiele.

3) Dissens, nicht Konsens ist das Ziel

Lyotard weist das Habermasianische Modell der Konsens-Erzeugung weit von sich. Dieser veraltete Wert würde bloß vereinen, was unvereinbar ist. Da die Unvereinbarkeit nicht begründbar ist, hört man auch gar nicht erst auf die Gründe des Anderen. Hier hat die postmoderne Empörungskultur wohl ihren Ursprung: Ein postmoderner Mensch kann und will sich auch gar nicht einigen können. Es ist kein Zufall, dass sich Lyotard auf die Sophistik beruft.

4) Gerechtigkeit statt Klugheit oder praktische Vernunft

Trotz der unvereinbaren Heterogenität der Sprach-Welten bleibt Gerechtigkeit möglich, nämlich genau dann, wenn jede Sprache sprechen darf, wenn alle Sprachlosen ihre Stimme bekommen und zu Teilnehmern am Sprachspiel werden. Das Spiel ist dann gerecht, wenn alle mitspielen dürfen.

Gleichzeitig gibt es für das Recht, mitspielen zu dürfen, keine Letztbegründung. Mit der Abschaffung von diskutierbaren Gründen geht aber sowohl die Klugheit als auch die praktische Vernunft verloren, die auch andere Arten der Gerechtigkeit kennt – Verteilungsgerechtigkeit oder Kompetenzgerechtigkeit zum Beispiel. Das kategorische Gebot der Diversity bleibt als einzige Art der Gerechtigkeit übrig, wenn die Einheit und Ganzheit als leitender Grundsatz verloren gegangen ist.

5) Indifferenz ist abgeschafft

Eine der offensichtlichsten Folgen der Analoge des Praktischen zu einem Wittgensteinschen Sprachspiel ist die Abschaffung aller Indifferenz. Es gab im Ethischen eigentlich immer einen nicht gesondert thematisierten Begriff der Neutralität, der weder gut noch böse ist, etwa der Gebrauch von Vorurteilen in der Komik. Doch die Sprachspiele Wittgensteins haben eine Besonderheit. Ihre Regeln entstehen gleichursprünglich mit dem Gebrauch. Jede Änderung des Gebrauchs ändert die Regeln, jede Änderung der Regel ändert den Gebrauch – und beides ändert das gesamte Spiel. Man kann eben nicht die Schachregeln verändern, ohne nicht zugleich das gesamte Spiel zu verändern.

Doch für die Politik ist eine solche Analogie ebenso falsch wie fatal. Die fast schon manische Sprachobsession der Postmoderne hat hier ihren Ursprung: Sie glaubt allen Ernstes, mit einer Veränderung der Sprache würde sich die Welt verändern.

6) Subjektive Gefühle statt Gründe

Die Einheit ist in der postmodernen Skepsis nicht mehr rationalen Gründen zugänglich, weil die Sprach-Welten unvereinbar seien. Zu den Menschenrechten soll nur noch ein Band des Gefühls übrig bleiben, eine Art sensus communis. Das Gefühl drängt zur Sprache, Gefühle werden selbst zu Gründen. Hier liegt der Ursprung der postmodernen Empfindsamkeit.

7) Der Logos ist plural und keine Einheit

Dieser Grundsatz ist der wichtigste der postmodernen Skepsis. Aus ihm leiten sich alle vorangegangenen Grundsätze ab. Die Vernunft selbst soll vielfältig, heterogen und in sich unvereinbar sein. Die Vielfalt der Gründe führt zu einer Vielfalt des Wissens und der Werte, zu ihrer Unvergleichbarkeit. Wolfgang Welsch hat hierzu eine informierte skeptische Metaphysik verfasst. Sie streitet die Existenz von Universalien ab, also allgemeinen Einheiten, die eine Vereinigung anleiten können.

Die Kritik an den postmodernen Grundsätzen

Zur Kritik dieser Grundsätze bliebe vieles zu sagen, aber ich beschränke mich hier auf zwei Punkte.

Der plurale Logos ist ein fauler Logos. Die postmodernen Menschen brauchen gar nicht erst nach einer Einheit zu suchen, weil sie im Vorhinein wissen, dass ihre Privatsprachen unvereinbar sein werden. Als Dogmatik für die Politik oder Wissenschaft werden die postmodernen Grundsätze sogar zu einer gefährlichen Rechthaberei der Subjekte in ihrer Subjektivität. Diversity als kategorisches Gebot sorgt für eine unsachliche Politik aus allen möglichen identitären Gründen, zu einem Kult der Proporzpolitik. Identitäre Gründe sind all jene Gründe, die sich bloß um Verschiedenheit bemühen. Die Verschiedenheit, das Bunte und Vielfältige, kann aber kein Maßstab sein. Der eigentliche ethische Maßstab darf nur das Können für die Aufgabe sein. Wenn diversity Macht ergreift, wird die Politik unsachlich und persönlich, postfaktisch und vielleicht sogar postdemokratisch. Denn wenn die Werte generell unvereinbar sind und sich bloß im Machtspiel behaupten müssen, ist der Weg von der notwendigen diversen Toleranz zur möglichen singulären Intoleranz nicht sehr verwinkelt.

Generell gilt: Vorsicht vor falschen Analogien! Die Gründungsmetapher der Postmoderne verfehlt völlig den Sinn von Logos. Logos meint nicht Sprache im Sinn dessen, was die empirische Sprachwissenschaft untersucht. Der Logos meint das Sprechen, das Miteinander-Sprechen, den Austausch von Gedanken. Sprachregeln und die Grammatik sind etwas völlig anderes die Regeln der Dialektik und Rhetorik. Im Sprechen sind die Wörter, Sätze und Gesten tatsächlich nur Mittel des Ausdrucks, um einen Gedanken deutlich zu machen. Derselbe Gedanke kann nicht nur in verschiedenen Worten, er kann auch in verschiedenen Sprachen ausgedrückt werden. Scheint bei dieses Übersetzungen nicht doch so etwas wie Übersetzbarkeit hindurch – Vereinbarkeit?

Vor allem: Wenn es stimmt, dass wir im Sprechen viele verschiedene Ausdrücke für dasselbe verwenden können, dann verändert sich mit dem Sprachgebrauch auch nicht das Sprachspiel und dessen Regeln. Vielleicht liegt hier das Hauptproblem der Postmoderne. Mit ihrer anti-utopischen Skepsis ändern sie eigentlich nichts und treiben bloß die Unvereinbarkeit im Diskurs weiter voran. Das ist nutzlos, aber leider nicht nutzlos genug. Die Postmoderne ist in ihrer populären Form weit entfernt von jener wirklich existenziellen Skepsis eines Emil Cioran, der alles dekonstruiert, bis er selbst unbrauchbar zu allem geworden ist. Denn das ist das Ziel einer echten Skepsis: eine moralfreie Untauglichkeit und nicht die Freiheit zu einer untauglichen Moral.

Lektüretipps

Heisterhagen, Nils: Kritik der Postmoderne. Warum der Relativismus nicht das letzte Wort hat, Springer 2019.

Sokal, Alan: Eleganter Unsinn. Wie Denker der Postmoderne missbrauchen, C.H.Beck 1999.