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Ich lehre euch den Übermorgen
Freitag, 9. Januar 2015
Gesucht wird Zarathroxa. Wer oder was ist Zarathroxa? Ist Zarathroxa ein Tier – ein Gott? Oder gar beides? Philosoph …. ?
An alle kühnen Sucher und Versucher! Tut mir die Augen auf, denn in den nächsten 295 Tagen wird sich Zarathroxa zu erkennen geben! Es wird der Tag kommen, an dem Zarathroxa in voller Gestalt, in ganzer Pracht, mit schillernden Farben und angespannten Linien dastehen wird, um uns den Weg in Richtung Übermorgen zu weisen. Von nun wird in diesem Blog jeden Tag ein neues Bild zu sehen sein, und jeden Tag wird sich eine neue Facette Zarathroxas den Augen der freien, sehr freien Geister entbergen…
Rezension: Achim Szepanski: Kapitalisierung
Dienstag, 6. Januar 2015
Achim Szepanski: Kapitalisierung
Bd. 1: Marx‘ Non-Ökonomie (456 S.)
Bd. 2: Non-Ökonomie des gegenwärtigen Kapitalismus (474 S.)
Laika-Verlag; Hamburg 2014
Während die Menschen noch immer meinten, sie seien in ihren Entscheidungen frei und autonom – zumindest, wenn sie sich genug selbst reflektieren würden – war dieser kümmerliche Rest an Reflexivität doch nur ein Mittel, um ihnen ein geringes Gefühl an Würde zu lassen, das bei dieser arroganten Spezies nun einmal als Selbsttäuschung nötig ist, um sie am Arbeiten zu halten. Letztendlich war diese Inszenierung ohnehin schon lange nahezu unnötig geworden, denn die wahre Arbeit ging schon längst nicht mehr von den Menschen und ihren ineffizienten Gehirnen aus, sondern gewaltigen Rechenmaschinen, die sich der Kapazitäten der Gehirne als Netzwerkknotenpunkte bedienten. Und wer bediente die Maschinen? Ja, die Menschen bedienten sie, doch sie steuerten sie schon lange nicht mehr. Die Maschinen waren endgültig zu sich selbst steuernden Automaten geworden und hatten selbst noch die Eliten entmachtet, die sie einst in bester humaner Absicht erfunden hatten. Das immanente Ziel dieses ‚Humanismus‘ hatte in der faktischen Selbst-Abschaffung der Menschheit zu sich gefunden. Immerhin würden es die letzten Menschen nicht schlecht haben. Die Maschinen hatten für sie ein Ableben in Glück und Sicherheit erfunden. Und die Menschen? Die blinzelten, dachten an ihre kühnen Vorfahren zurück und meinten: „Wir haben das Glück erfunden.“ Das höchste Glück hieß ihnen der gute Tod, den die Maschinen ihnen erdacht hatten. Und so taten sie lächelnd den letzten Atemzug des hochmütigsten Wesens, das das Universum je gesehen hatte, während die Maschinen sich dazu aufmachten, das Universum zu maschinisieren.
Was sich wie eine Dystopie irgendwo zwischen Matrix, Blade Runner, 1984 und Brave New World liest, ist, wenn man der Kernthese von Kapitalisierung, dem jüngsten Werk des Frankfurter Techno-Produzenten, Schriftstellers und kritischen Theoretikers Achim Szepanski, dessen erste zwei Bände, Marx‘ Non-Ökonomie und Non-Ökonomie des gegenwärtigen Kapitalismus im vergangenen Jahr bei Laika erscheinen sind, folgt, mitnichten eine bloß abstrakte Befürchtung, sondern zu einem guten Teil bereits Realität bzw. sich – ceteris paribus – konkret abzeichnende Zukunft.
Während die hegemoniale linke Diskussion kulturkritisch abgedriftet ist und sich lieber mit Fragen von Political Correctness (Schwarz oder black?), Gender (Binnen-I oder Unterstrich?), der Ästhetik (Neo-Avantgardismus oder Neo-Pop?), der Religion (Islam hard oder Christentum light?) oder der ‚richtigen‘ Positionierung in inner- und zwischenstaatlichen Konflikten (Israel oder Palästina? USA oder Europa – oder China?) oder des Lifestyles (Kiffen oder koksen? Fleisch oder Gemüse?) befasst als mit den wirklichen hard facts der Ökonomie – und diese wenn, dann in Form einer marxologischen Beschäftigung mit Marx im Rahmen kulturkritischer Re-Hegelianisierungsprojekte und eifriger philologischer Exegese (zumal hierzulande unter dem Banner der „Wertkritik“) als Teil linker Allgemeinbildung pflichtschuldig als vermeintliche Basisbanalitäten für abgehakt erklärt –, schlägt Szepanski in Kapitalisierung ganz andere Wege ein und versucht nicht nur, Marx zu interpretieren oder den ‚philosophischen Kern‘ von Marx‘ Ökonomiekritik zum hundersten Mal zu entbergen, damit aus der Weltrevolution qua wahrer Einsicht in die logische Struktur des Warenfetisch doch noch was wird, und für subjekttheoretische Spekulationen nutzbar zu machen, sondern Marx wirklich zu lesen, d.h. ihn als Theoretiker der kapitalistischen Ökonomie ernst zu nehmen und konsequent auf die Gegenwart anzuwenden.
Dazu nimmt er waghalsige Operationen vor, die ihn in der gegenwärtigen (deutschen) linken Gemengelage sofort ins Abseits katapultieren müssen: Er wagt es, dasselbe wie Marx zu machen und sich exzessiv der neusten, fortgeschrittensten, auf der Höhe der Zeit befindlichsten Philosophie und Wissenschaft als Steinbruch und Material zu bedienen (bei Marx: Hegel, Spinoza, Stirner, Feuerbach, Smith, Ricardo u.v.m., bei Szepanski: Marx selbst, Laruelle, Derrida, Deleuze, Guattari, Foucault, Bahr, Anders, Land, Althusser – um nur die wichtigsten zu nennen), um dann, vermittelst einer emphatischen Bezugnahme auf die ökomische Realität als nicht-diskursive Wirklichkeit, anhand dieses Materials die Gegenwart besser verstehen zu können. Doch für den, der von dieser unfähigen Linken und ihren ewigen um sich selbst kreisenden ‚Dialogen‘, ‚Debatten‘ und ‚Diskursen‘ ermüdet bis angeekelt ist, genau die richtige Lektüre zur richtigen Zeit. (Weiterlesen)
Die Stalinallee. Ein Bauwerk des realen Sozialismus
Sonntag, 30. November 2014
Ein beeindruckendes Zeugnis der vergangenen Wirklichkeit des realen Sozialismus ist die ehemalige Stalinallee in Berlin. Heute, in post-stalinscher Zeit, ist sie nach dem prä-stalinschen Karl Marx benannt und steht damit in der Spannung dieser beiden großen Namen. Auch das Nachdenken über Geschichte, Bedeutung und Ästhetik von Karl-Marx- und Stalinallee kommt um diese Spannung nicht herum.
Die Spannung von Marx und Stalin ließe sich als der Konflikt zwischen einer Utopie gesellschaftlicher Freiheit und Gleichheit einerseits und ihrer staatsterroristischen Pervertierung andererseits ausbuchstabieren. Die Oktoberrevolution brach soziale Verfestigungen auf, durch deren Risse die Marxsche Utopie kurz junge Triebe schlagen konnte. Sie führte zu geistig-kulturellen Öffnungen und legte Experimentierfelder frei, die durch den Revisionismus Stalins dann bald wieder verschlossen und verdeckt wurden. Soll diese Entwicklung in der Architektur verschlagwortet werden so wurde der frühsowjetische Konstruktivismus vom Sozialistischen Klassizismus verdrängt. So wie die Person Stalins, so könnte dann auch die nach ihm benannte und im Stil des Sozialistischen Klassizismus erbaute Allee für die gesellschaftliche und ästhetische Brutalität eines Sozialismus stehen, der sich die Seele des Humanismus aus der Brust gerissen hat.
Der Konstruktivismus kann als die Ästhetik des Marxschen Humanismus verstanden werden. Die klaren und deutlichen Strukturen des Konstruktivismus lassen sich als Analogien einer für das Menschenwohl organisierten und geplanten Wirtschaft lesen. Die konstruktivistischen Bauten wollen keine überwältigende Fassade und kein betörendes Blendwerk sein, sondern sind einer Gesellschaft verpflichtet, die sich selbst transparent ist und sich frei bestimmt. Im Konstruktivismus soll nicht der pompöse Luxus der Wenigen herrschen, sondern humane Funktion für die Vielen. All diese Errungenschaften werden vom Sozialistischen Klassizismus revidiert. Gegen sozialen und ästhetischen Avantgardismus werden um einer nationalen Tradition willen dunkle Schatten des Zarismus auf die Fassaden projiziert. Die Rückkehr von Prunk und Ornament steht für eine neue soziale Elite von Parteikadern. Der Makel dieser gesellschaftlichen Rückentwicklung zeigt sich ästhetisch in einer unbeholfenen Applikation von anachronistischen Schmuckelementen auf eine von ihnen eigentlich emanzipierte Funktionsfläche und damit für einen Mangel in der Kohärenz des Ganzen. Die politisch-sozialen Verwerfungen des Stalinismus werden so architektonisch-ästhetisch sichtbar.
Allerdings lässt sich die Ästhetik der Stalinallee auch anders deuten. (Weiterlesen)
Science-Fiction-Sozialismus
Sonntag, 30. November 2014
Brechts „Guter Mensch von Sezuan“ spielt im alten China, vor einer Kulisse der Fremdheit und des Vergangenen, die Voreingenommenheiten abbauen soll, um so den Blick für die Skizze der eigenen Gegenwart frei zu machen. Nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft, nicht in China – weil es sich nicht mehr als Symbol einer fremden Welt eignet –, sondern auf einem dystopisch verfremdeten Planeten Erde einerseits und einem artifiziellen Beverly-Hills-Planeten andererseits spielt, beinahe in einem neo-brechtischen Versuch, der Film „Elysium“.
Dort oben, auf dem gleichnamigen Luxus-Stern, leben die Herrschenden wie Götter und verzehren mit der Torte, was unten den geknechteten Arbeitern des vollpauperisierten Los Angeles in der Suppe fehlt. Der Staat ist keine Instanz der Vernunft, sondern zu einer Polizeizentrale auf Elysium verkommen, die um die Aufrechterhaltung einer Ordnung der Unordnung mit Konzernen und Kriminellen paktiert. Die Robotisierung ist eine einzige Knute, die in Gestalt von brutalen Polizeiautomaten das überflüssig gemachte Lumpenproletariat in Schach halten soll. In dieser Klassengesellschaft ist die Befriedigung vitaler Bedürfnisse buchstäblich nur im Himmel zu erwarten, dort also, wo im Film die Bourgeoise den Platz der Götter eingenommen hat. Indem der Himmel der Götter als der Himmel der Bourgeoise enttarnt wird, wird folglich auch eine antireligiöse Kritik des göttlichen Himmels zur antikapitalistischen Kritik des bourgeoisen Himmels verschärft.
Zur Kritik der Documenta 2012
Freitag, 31. Oktober 2014
Rezension des Sammelbands Ästhetik der Unterwerfung, herausgegeben von Werner Seppmann (Laika-Verlag Hamburg, 2013; 244 S., 21 €)1)Erstveröffentlicht auf dem Blog Café Noir. Alle Bilder außer das Buchcover stammen von mir.
Mein Besuch der Documenta im August 2012 war ein erinnerungswürdiges und äußerst inspirierendes Erlebnis. Mit einem Zelt ausgestattet ermöglichte es mir die Integration des Occupy-Camps in den Ausstellungsbetrieb, dort einige recht sorglose Tage zu verbringen, die ich schlendern, betrachtend und reflektierend zubrachte. Eine Art Atempause im Alltagstrott, eine Gelegenheit, sich wirklich intensiv mit dem Stand der Kunst der Gegenwart auseinanderzusetzen. Einige Impressionen davon finden sich in der diesen Beitrag ergänzenden Photostrecke.
Von allen Fragen, die während dieser Zeit aufkamen, war die entscheidende – und dies sicherlich im Sinne des Ausstellungskonzepts –, wo eigentlich die Grenzen zwischen Kunst und ‚normaler Welt‘ verlaufen, wenn teilweise gar nicht mehr klar ist, ob ein gesehenes Objekt nun ein Werk oder nur ein ‚gewöhnliches Ding‘ ist, wenn selbst die Grenzen zwischen künstlichen und intendierten Gegenständen brüchig werden und zerfließen. Das Occupy-Camp selbst ist dafür vielleicht das beste Beispiel: Wurde es durch seine Duldung durch die Kuratorin zum ‚ready-made‘ gemacht, also zum Kunstwerk? Und was wurde unter dieser Prämisse zu seinem eigenen Selbstverständnis, ein zunächst politisches Projekt zu sein? Kann man in diesem Sinne mit Guy Debord nicht von einer gelungenen „Rekuperation“ sprechen – also der Integration und dadurch Unschädlichmachung eines ursprünglichen radikalen Impulses durch die Herrschenden? (Weiterlesen)
Is Revolutionary Ireland Dead and Gone?
Freitag, 31. Oktober 2014
Is Revolutionary Ireland Dead and Gone?
Bericht aus einem Land in der Krise1)Dieser Artikel wurde zum ersten Mal veröffentlicht in der AStA-Zeitung der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Ausgabe 2013/2, S. 32-35, zusätzlich auf dem Blog Café Noir. Alle Bilder stammen von mir.
Eines Menschen Vergangenheit ist das, was er ist. Sie ist der einzige Maßstab, an dem er gemessen werden kann.2)Alle Zitate in den Zwischenüberschriften stammen von Oscar Wilde, geboren in Dublin.
Was für einen Menschen gilt, gilt erst recht für eine Nation: Um die aktuelle Situation in Irland zu verstehen und bewertend einzuordnen, ist es unvermeidlich, wenigstens in groben Zügen die irische Geschichte zu kennen.
Eigentlich hat sich seit den Zeiten von James Joyce und William Butler Yeats nicht so viel geändert in Dublin. Man ist in der übersichtlichen Hauptstadt viel zu Fuß unterwegs, schlendert mal gemütlich, mal gehetzt von einem Geschäft zum anderen, denkt über seinen derzeitigen Lieblingsmailwechsel nach und landet am Abend in irgendeinem Pub, wo man betrunkene Originale kennenlernt. Allerdings waren die Jahre vor dem 1. Weltkrieg in Irland auch ein Höhepunkt des politischen Aktivismus. Nicht nur in den Werken von Joyce und Yeats ist die nationale, und damit in Irland stets untrennbar verbunden: die soziale, Frage omnipräsent. Die irische Geschichte stellt sich, wenigstens ex post betrachtet, als eine der Not, der kolonialen Unterdrückung durch England, aber auch des zähen und unerbittlichen Widerstands dagegen dar, der letztendlich in die Revolution und die Unabhängigkeit mündete. (Weiterlesen)
Fußnoten
↑1 | Dieser Artikel wurde zum ersten Mal veröffentlicht in der AStA-Zeitung der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Ausgabe 2013/2, S. 32-35, zusätzlich auf dem Blog Café Noir. Alle Bilder stammen von mir. |
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↑2 | Alle Zitate in den Zwischenüberschriften stammen von Oscar Wilde, geboren in Dublin. |
Newgrange – Die Pyramide des Nordens
Freitag, 31. Oktober 2014
Es ist seltsam, über ein Artefakt zu schreiben, dass über 5000 Jahre alt ist. Wahrheitskriterium bei der Interpretation von Artefakten ist üblicherweise, dass die Interpretation das aufdeckt, was der Intention des Schöpfers entsprach, selbst wenn diese diesen bei seiner Produktion nur unbewusst geleitet haben mag. Derart sichert sie sich gegen interpretatorische Willkür und Spekulation. Voraussetzung dieser Methode ist die Annahme einer Kontinuität menschlichen In-der-Welt-Seins. Denkt man sich die menschliche Existenz als gebrochene, ist jede Interpretation zum Scheitern verurteilt. Ich kann die Artefakte anderer Menschen verstehen, weil ich Mensch bin wie sie – oder doch zumindest, weil ich auch ein Bürger, ein Europäer, ein Proletarier bin etc.
Doch wie diese Annahme rechtfertigen angesichts eines Artefakts, dass aus einer Zeit entstammt die mir, nach allem, was ich über sie weiß, derart fremd sein muss als hätte ich es mit einer gänzlich anderen Lebensform zu tun? Gibt es irgendeine unserer Kategorien, die sich auf die Jungsteinzeit übertragen lässt?
Der erste Eindruck der Grabanlage Newgrange ist so zweifellos der der Erhabenheit. Irgendwo in der irischen Provinz, in einer heute nur spärlich besiedelten Gegend, erstreckt sich das Boyne Valley. Heute ein Tummelplatz für Schafe, war hier um 3200 v. Chr. ein Zentrum der jungsteinzeitlichen Kultur, vergleichbar durchaus mit den frühen Hochkulturen des Südens. Hinterlassen haben uns diese Menschen nichts bis auf ihre Gräber. Hügelgräber sind es, Newgrange ist nur das größte von ihnen, 11 Meter hoch, 90 Meter der Durchmesser. Aus massiven Felsblöcken aufgeschichtete Kuppeln, in deren Inneren man die Toten bestattete. Man kann anhand des Ursprungs der verwendeten Steine, die teilweise von weit her stammen, errechnen, dass der Bau dieser Gräber Jahrzehnte gedauert haben muss unter der Beteiligung von hunderten von Arbeitern. Doch das eigentlich besondere ist, dass die Eingänge der meisten Gräber nach bestimmten astronomischen Ereignissen ausgerichtet sind. Im Falle von Newgrange ist das die Wintersonnwende. Trotz Verschiebung der Erdachse funktioniert der wohl beabsichtigte Effekt bis heute: Morgens zur Wintersonnwende fällt der Sonnenstrahl durch den Eingang genau in die das Innere des Grabs, genau dorthin, wo die Toten liegen. Den Rest des Jahres herrscht dort Dunkelheit. (Weiterlesen)
“Ein Extraloch für Freud” – Über die Sammlung “The Secret Block for a Secret Person in Ireland” von Joseph Beuys
Freitag, 31. Oktober 2014
Nach meinen Beiträgen über die neolithischen Gräber im Boyne Valley und über das heutige Irland aus der Brille von James Joyce und William B. Yeats bildet dieser Artikel den dritten Teil einer Irland-Trilogie, die verschiedene Aspekte der Geschichte und Psychologie der Insel anhand von Kunstwerken verständlich machen soll. Ob sich diese Reihe noch erweitern wird, wird sich zeigen.
§ 1 – Einleitendes
Das Besondere an der Sammlung The Secret Block for a Secret Person in Ireland ist zum einen, dass sie vom Künstler, Joseph Beuys, persönlich zusammengestellt wurde, zum anderen, dass es sich um Zeichnungen handelt. Sie lädt also dazu ein, neben dem so bekannten Plastiker und Performancekünstler Beuys auch den Zeichner kennenzulernen – eine vielfach unbeachtete Facette seines Oeuvres, die es sich aber durchaus zu entdecken lohnt. Sie befindet sich, neben vielen anderen Werken von Beuys, im „Hamburger Bahnhof“ in Berlin und ist dort zunächst noch bis zum 31. August 2014 zu sehen, gehört aber zum Bestand des Museums.
Die insgesamt 456 Zeichnungen entstanden von 1945 bis 1974, zum ersten Mal ausgestellt wurde das Konvolut 1974 in Oxford, dann unmittelbar danach in Belfast. Mir ist nicht bekannt, ob auch die augenblickliche Hängung auf Anweisungen von Beuys selbst zurückgeht, dies setze ich allerdings in meiner Interpretation voraus. Dies ist im Falle von Beuys ein keinesfalls zu vernachlässigendes Detail, erschließen sich seine Werke doch im Grunde nur in seiner ganzen Bedeutungstiefe, wenn man auch seine umfangreichen theoretischen Äußerungen zur Kenntnis nimmt. Nicht, dass es in ihnen nicht, wie bei jedem anderen Werk, einen Bedeutungsüberschuss gäbe, der die Intention Beuys‘ transzendiert. Doch man muss Beuys zunächst als das nehmen, als was er sich inszeniert hat: ein wandelndes Gesamtkunstwerk. Es geht hier also weniger darum, zum Verständnis der Werke biographische Hilfskrücken zu verwenden, sondern eher, dem Werk immanent gerecht zu werden, indem man seine Teile aufeinander bezieht. Diese zu leistende Gesamtinterpretation kann hier freilich nur höchst bruchstückhaft gelingen. Ich will vor allem die Relevanz und Radikalität von Beuys‘ Zeichnungen aufzeigen, die mich so sehr in ihren Bann gezogen haben. (Weiterlesen)
Carl Sternheim – Ein vergessener „Zaungast des Fortschritts“
Freitag, 31. Oktober 2014
Am Ende des berühmten Aphorismus Sur l’Eau (Nr. 100) aus den den Minima Moralia von Theodor W. Adorno heißt es:
Keiner unter den abstrakten Begriffen kommt er erfüllten Utopie näher als der vom ewigen Frieden. Zaungäste des Fortschritts wie Maupassant und Sternheim haben dieser Intention zum Ausdruck verholfen, so schüchtern, wie es deren Zerbrechlichkeit einzig verstattet ist.
In der mir bekannten, ohnehin sehr spärlichen, Sekundärliteratur zu den Minima Moralia, von einigen vielleicht nicht zu Unrecht als Adornos philosophisches Hauptwerk angesehen, fehlt jeder Verweis auf Carl Sternheim, den Adorno hier zweifellos meint, dem von 1878 bis 1942 lebenden Essayisten und Schriftsteller von Romanen und Dramen. Es ist auch nicht so, dass man um Sternheim und sein Werk wissen müsste, um den Aphorismus zu verstehen. Dennoch frappiert es und macht es neugierig, dass Adorno hier einen heute völlig in Vergessenheit geratenen Autoren an so prominenter Stelle lobend hervorhebt, in einem Atemzug mit dem großen Guy de Maupassant nennt.
Von diesem Fragezeichen getrieben machte ich mich an die Recherchearbeit und führte mir einige Schriften von Sternheim zu Gemüte. Ein weiteres Mal hat sich der Geheimtipp, zur Erweiterung und Vertiefung des eigenen Bildungshorizonts einfach den Referenzen in den Werken der großen Philosophen, und insbesondere Adornos, nachzugehen, bestätigt. Der Benn-Entdecker und Kafka-Förderer Carl Sternheim ist zu Unrecht vergessen. (Weiterlesen)