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Die Linke neu erfinden


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Die Linke neu erfinden

Ein E-Mail-Dialog mit Atta Boy über den progressiven Neoliberalismus, die Neue Rechte und genuin „links-linke“ Antworten auf beide von Aufstehen bis Zusammenkommen, die DDR u. v. m.

 

Lieber Atta, danke, dass Du Dir die Zeit nimmst, mit mir einen E-Mail-Dialog zu dem Essay Streitschrift für eine Politisch Unkorrekte Links-Linke zu führen, die in diesem Jahr [2018] bei Edition Tsveyfl in Bonn erschienen ist. Der Untertitel des knapp 50 Seiten dicken Heftes lautet „P.U.L.L. – Die Strömung zum Aufbau eines differenzsensiblen Proletariats“. Es geht Dir also um eine Neuerfindung der Linken angesichts des gravierenden Rechtsrucks, den wir fast überall in den letzten Jahren beobachten konnten. Deine Grundidee lautet, dass sich die Linke, ob willentlich oder unwillentlich, für den Neoliberalismus hat instrumentalisieren lassen und sich nur erneuern kann, wenn sie mit dieser Instrumentalisierung bricht. Ich denke auch, dass in den letzten Jahren eine gravierende Verschiebung des Begriffs „links“ stattgefunden hat – heutzutage gilt als „links“ oder „emanzipatorisch“, was früher noch als bürgerlich-liberal gegolten hätte. Man wird dann vor die Wahl gestellt, entweder auf der „progressiven“ (also neoliberalen) oder eben rechten und mithin faschistischen Seite zu stehen. Im Grunde wird so den Rechten ja nur in die Hände gespielt, weil sie sich als die einzige Alternative zum Neoliberalismus profilieren können. Meine Frage zum Einstieg: Muss man sich angesichts der herrschenden Machtverhältnisse nicht vielleicht mit dem progressiven Neoliberalismus versöhnen – weil er ja immerhin besser als sein autoritärer Widerpart ist?

Also erstmals Danke für das Angebot zum Gespräch und Dein Interesse! Und jetzt muss ich bezugnehmend auf Deine erste Frage gleich anfangs heftig widersprechen.

Erstens: Es gibt keinen „progressiven“ Neoliberalismus. Für Österreich würde wohl am ehesten der Industrielle Peter Haselsteiner unter diese Kategorie fallen, da er sowohl die (neo-)liberale Klein-Partei „Neos“ mit Geld unterstützt als auch massiv gegen den FPÖ Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer in den Bundespräsid­entschaftswahlkampf (zweiter entscheidender Wahlgang am 4.12.2016) zugunsten des „überparteilichen“ Kandidaten der Grünen interveniert hatte. Dabei ging es ihm primär darum, Angst vor einem EU-Austritt zu schüren, der im Fall des Falles seine eigenen Handels- und Wirtschaftsinteressen in massive Turbulenzen bringen hätte können. Seine politischen Interventionen sind völlig abgeebbt, seitdem ÖVP-Kanzler Kurz der FPÖ als erstes ein Lippenbekenntnis zur EU-Mitgliedschaft abgerungen hatte. In Folge ist ihm auch die aktuelle Politik der Schwarz-Blauen Regierung mit ihren Beschlüssen, die Arbeitszeit auf bis zu 12 Stunden auszuweiten, kein Dorn im Auge, das Gegenteil ist der Fall. Wir sehen also, dass die „progressiven“ Kräfte des Neoliberalismus überhaupt kein Problem haben sich mit dem kommenden Rechten Anstand auszusöhnen, solange sie ihre Profitinteressen nicht gefährdet sehen. Dieses ökonomische Kalkül bestimmt freilich auch breite Teile jener liberalen Mittel- und Oberschicht, die sich zur Not schlicht ins Private zurückziehen können, um dort – finanziell abgesichert – ihre Freiräume immer noch weiter zu leben, während das gesamt-gesellschaftliche Klima insgesamt deutlich reaktionärer geworden ist. Logischerweise folgt auch die Kulturindustrie und die Marketing-Strateg_innen allein den Profitflüssen und rechtlichen Regulierungen und nicht irgendeinem global-liberalen Idealismus. Der kommende Rechte Anstand und sein Tugendterror ist eben nicht der Widerpart, sondern allein die lange Zeit unsichtbare Unterseite des tödlichen Eisberges der zeitgenössischen kapitalistischen und kulturellen Formen.

Zweitens: Hier sind wir an der wohl schmerzhaftesten Stelle, diese Konstel­lation bzw. diese äußerst intelligible Erzählung verweist auf die völlige Irrelevanz von linken Standpunkten. Spätestens mit dem Einknicken von Tsipras nach dem überwältigten OXI der griechischen Bevölkerung ist Tachers Ausspruch „there is no alternative“ erneut real-politisch extrem übermächtig geworden (Lesenswert dazu: https://mosaik-blog.at/drei-jahre-oxi-griechenland-hoffnung-europa-scheitern-bilanz/). Wir sind als Linke gegen­wärtig schlicht nicht mehr greifbar als glaubwürdige und effektive Alternative. Seitdem Donald Trump die Präsidentschaftswahl (8. 11. 2016) für sich entschieden hatte, gibt es den Versuch eine Erzählung mittlerer Reichweite zu kreieren, die von wirtschafts- und gesellschaftsliberalen Kräften ins Spiel gebracht wurde und auf eine angebliche Frontstellung des globalen (Neo-)Liberalismus, der sogenannten offenen Gesellschaft (Karl Popper) mit lokal-nationalen reaktionären, protektionistische Kräften zielt. Tatsächlich war ein Gastbeitrag „Alles so schön hyper“ des deutschen Kulturwissenschaftlers Andreas Reckwitz in der Zeit vom 15.6.2016 (https://www.zeit.de/2016/51/identitaet-diversitaet-kulturen-kampf) so etwas wie der Initialzünder für meine Streitschrift. Er beschreibt eine angebliche Frontstellung von globaler „Hyperkultur“ auf der einen Seite und lokalem „Kulturessenzialismus“ auf der anderen. Dabei würden Links- und Neoliberale näher zusammenrücken sowie all jene reaktionären Kräfte aller Couleur, die im Gegenzug eine „Dekadenz des Westens“ beklagen. Wenn wir uns aus (radikal)linker Perspektive damit zufrieden geben, haben wir bereits den Kopf in den Sand gesteckt. Auch das ist eine Möglichkeit, sich von der eigenen Ohnmacht dumm machen zu lassen. Das wäre allerdings kein Eingeständnis in die eigene Niederlage, sondern allein ihr Verdrängen.

Wir befinden uns heute in einer seltsamen historischen Situation, die einerseits durch die Übernahme von Elementen eines freiheitlichen Sozialismus der 68er auf lebensweltlicher Ebene gekennzeichnet ist, also sich auf eine enormes Individualisierungs- und Distinktionsbedürfnis stützt und in der andererseits der Slogan „Es gibt keine Gesellschaft, sondern nur Individuen“ massiv propagiert wird und die Prinzipien des kapitalistischen Konkurrenzkampfes nicht nur gesamtgesellschaftlich auf Makroebene arbeiten, sondern auch in die kleinsten Poren des Sozialen eingedrungen sind.

Mein Zugang war tatsächlich auch der genau umgekehrte als jener der sich in Deiner Frage ausdrückt: Nicht quasi instinktiv der liberalen Erzählung folgen, weil die des kommenden Rechten Anstandes dermaßen eklig ist, dass man damit erst gar nicht in Berührung kommen will. Sondern dem Erfolg der neuen Rechten erst einmal jene faktische Anerkennung zollen, die er auch verdient und sich vor allem ein Stück weit auf ihre Erzählungen einlassen. Denn wenn sie nicht an zumindest einen realen
Aspekt der gegenwärtigen politischen Konstel­lation anschließen könnte, wäre sie nicht derart erfolgreich. Volker Weiß hat in einem Vortrag zu seiner Analyse „Die autoritäre Revolte“ deutlich gemacht, dass die frühen Exponenten der sogenannten „Neuen Rechten“ als Ausgangspunkt ihrer ideologischen Erneuerung das Eingeständnis in ihre historische Niederlage gesetzt hatten. Das finde ich einen sehr spannenden Punkt. Die Niederlagen der Linken sind freilich nicht allein militärischer Natur gewesen, sondern deutlich komplizierter und ziehen sich über einen deutlich längeren Zeitraum. Einerseits wurden ihre Ideale, Begriffe und Praktiken spätestens durch den Stalinismus von innen ausgehöhlt und verloren dadurch massiv an Glaubwürdigkeit, andererseits war das Fortbestehen der realsozialistischen Länder bis zu den 1990er Jahren paradoxerweise ein Garant dafür, diesen Ideen in der kapitalistischen Welt mehr Durchsetzungskraft zu bieten und sie realpolitisch abzusichern. Was danach kam, wissen wir. Das Ende der Geschichte und der Triumph des liberal-demokratischen Machtblocks, der sich in den kapitalistischen Zentren ab den späten 1970er Jahren gegen den Keynesianismus durchgesetzt hatte. Die 68er-Bewegung wurde für diesen Prozess nachträglich zum kulturellen Katalysator, in dem die neue Linke dann ebenfalls scheitern musste.

Ich spreche in Bezug auf die heutige Situation aus linker Sicht von einem höchst ambivalenten Erbe bzw. plädiere ich dafür, diese Entwicklung als klare Niederlage zu deuten und nicht als langsamer Triumph von Gleichberechtigung und neuen Freiheitsgewinnen, die von linker Seite in die liberal-demokratischen Institutionen hineingetragen wurde. Ich plädiere dafür, an Walter Benjamins Geschichtsbegriff anzuknüpfen, der die Perspektive der Unterdrückten und der Hoffnungslosen einnimmt und orientiere mich an der Dialektik der Aufklärung, anhand der nachvollziehbar wird, wie potentielle Progressivität immer wieder einkassiert wird und in Herrschaft umschlägt.

Die Rechte hat ihre Niederlage und die der Linken deutlich früher erkannt (freilich durch ihre Phantasmagorien hindurch betrachtet) und ihre Taktik verändert, während die Linke in breiten Teilen bis heute nicht bereit ist, sich ihr historisches Versagen einzugestehen. Während wir also noch in der liberalen Endzeit der Geschichte festsitzen, hat die Rechte begonnen wieder Geschichte zu machen und ist momentan dabei eine reaktionäre Internationale aufzubauen. (Weiterlesen)


Nietzsche verfilmen als Glättung – Über den Film „Thinking Nietzsche“


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Philosophie zu verfilmen ist eine delikate Aufgabe, an der man im strengen Sinne eigentlich nur scheitern kann. Entweder der Film verkommt zur bloßen Illustration einer philosophischen Idee – und scheitert darum als Kunstwerk; oder er gelingt als Kunstwerk, wird dabei aber der philosophischen Idee nicht gerecht. Ein Film, dem beides mehr oder weniger gelang, ist der jüngst erschienene Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot von Philip Gröning, der in gewisser Weise eine Verfilmung von Sein und Zeit ist: Er bringt er die Radikalität, die in Heideggers philosophischer Konzeption der „Eigentlichkeit“ liegt, eindrücklich rüber, gerade auch in ihrer Problematizität. Zugleich funktioniert er als Streifen: Er ist auch sehenswert, wenn man ihn nicht als Verfilmung von Heideggers Hauptwerk ansieht, sondern einfach nur als Film.

Ein weiteres gelungenes Beispiel ist die Dokumentation Examined Life von 2008, in der einige der wichtigsten Philosophen der Gegenwart kurze Statements zu den Grundinhalten ihres Denkens abgeben an von ihnen gewählten Schauplätzen. Die Dokumentation gibt einen guten Überblick über den Stand des gegenwärtigen Denkens (oder: gab es zumindest vor zehn Jahren), langweilt nicht, die Beiträge sind klar und prägnant und die Idee mit den Schauplätzen als ‚Ereignisorten‘ des Denkens war originell und inspirierend. Und Szenen wie die, in der Slavoj Žižek uns auf einer Müllhalde begrüßt und sagt: „Wir sollten uns an diesen Anblick gewöhnen“1)Aus dem Gedächtnis zitiert., oder die turbulente Taxifahrt mit Cornel West durch Chicago, während der er in seiner unglaublich mitreißenden Art über Jazz, afroamerikanische Kultur, Marxismus, den Tod, klassische Musik und Heidegger spricht (damals ging das noch ohne irgendwie in den Geruch des ‚Reaktionären‘ zu kommen), – das ist einfach in sich großes Kino, da wird Philosophie im wörtlichen Sinne verkörpert, da bleibt etwas hängen, selbst, wenn man sich gar nicht für Philosophie interessiert und den Film ‚nur‘ zum ästhetischen Vergnügen konsumiert.

Wieviel Glättung verträgt Nietzsche? – Rasur als Verfahren.

Es ist also ein nicht wenig anspruchsvolles Ziel, das sich die junge Produktionsfirma Moving Thought gesetzt hat, wenn sie beansprucht, wie man auf ihrer Website nachlesen kann, Filme zu produzieren, die Philosophie und Film vereinigen. Zwei Filme sind es, die sie bislang veröffentlicht hat und zwar in diesem Jahr, sie handeln jeweils von Nietzsche und können als Referenz immerhin ausweisen, mehrfach preisgekrönt und bei Filmpreisen nominiert worden zu sein: der Kurzfilm Deternity und die Dokumentation Thinking Nietzsche. Um es vorwegzunehmen – jemand, der in Rhetorik geschult ist, wird bereits ahnen, was kommt: Ich halte beide Filme für vollkommen gescheitert und zwar nicht an dem immanenten Widerspruch der Gattung ‚philosophischer Film‘, sondern als Film und als Illustration philosophischer Gedanken. Und zwar, weil sie beide in einem schlechten Sinne zeitgemäß sind: Sie repräsentieren eine dominante Tendenz in der sich ‚avantgardistisch‘ dünkenden Gegenwartskunst, wie sie auf den Kunsthochschulen heute auf der ganzen Welt produziert wird, und die ich als ‚common sense-Postmodernismus‘ bezeichnen würde. Verrätselte, verspielte, anspielungsreiche Arbeiten, die handwerklich sehr sauber gearbeitet sind und ab und an ‚Winke‘ zu wirklich radikalen, spannenden Themen geben und mit wohldosierten formalen Brüche arbeiten, im Ganzen jedoch bloß nirgends anecken wollen, nichts auf den Punkt bringen und, in einem Wort, langweilig sind. Der verzweifelte Versuch, gleichzeitig brav und radikal zu sein, das Design von Apple, Google und Facebook als Leitbild zu wählen und trotzdem irgendetwas zu vermitteln, das interessant sein könnte. Es ist klar, dass eine solche ‚Kunst‘ (wenn man nicht gleich von Design sprechen möchte) am Gegenstand Nietzsche nur scheitern kann – denn Nietzsche, so viel ist sicher, hätte sie gehasst, man lese nur seine späten Polemiken gegen Wagner. (Weiterlesen)

Fußnoten

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1 Aus dem Gedächtnis zitiert.

Den Standort bestimmen. Ein Plädoyer für Authentizität


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Emanuel Kapfinger gelingt es in seinem Text Woanders sein, als man ist wiederholt wichtige Fragen aufzuwerfen, die in der Mainstream-Linken selten diskutiert, wenn nicht gar verdrängt werden. Grundsätzlich stimme ich seiner Problemdiagnose zu, auch wenn ich sie vielleicht in anderen Worten formulieren würde: Es hat im Zuge der Neoliberalisierung der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten ein individualistischer Lifestyle als hegemonial durchgesetzt – und der Aufstieg der „Neuen Rechten“ ist die schlechte Reaktion darauf, weil sie künstlich Formen der Vergemeinschaftung aufrechterhalten bzw. neu herstellen will (allen voran Familie und „Vaterland“), die historisch aus guten Gründen prekär geworden sind. Die Krise der Linken hat demgegenüber viel damit zu tun, dass man sich einerseits den neoliberalen Individualismus voll auf die Fahnen schreibt (und auch in der wirklichen Praxis lebt) – und damit die den Rechten in die Hände spielende Entsolidarisierung weiter forciert –, andererseits keine wesentlich besseren, weil genauso künstlichen, Antworten darauf hat. Demgegenüber neue Formen der konkreten Solidarität zu praktizieren und zu etablieren, halte ich für ein wichtiges Anliegen. Darum müsste es gehen.

Ich frage mich nur, woher die Scheu kommt, für diese Art von Kapitalismuskritik selbst den verworfenen Begriff der ‚Authentizität‘ zu gebrauchen. Wird nicht in dem ganzen Text – und auch in anderen jüngeren Texten Emanuels 1)Ich meine damit den Artikel Wir brauchen eine Diskussion über die Karriereplanung der linken Studis und den Facebook-Post Thesen zum Wahlerfolge der AfD. – nicht gerade das Ideal von Authentizität im Sinne eines aufrichtigen Selbstverhältnisses gerade in Beschlag genommen gegen Lebensformen, die sich unschwer als ‚Pseudo-Authentizität‘ bzw. Unaufrichtigkeit kritisieren lassen? Dass sich linke Studis etwa selbst einreden, sie wären revolutionär, obwohl ihre Praxis objektiv sehr konformistisch und karrieristisch ist? Dass sich Rechte wähnen, besonders ‚gemeinschaftlich‘ zu sein, obwohl die Kollektive, als deren Teil sie sich wähnen, reine Hirngespinste sind? Dass man sich in bestimmten romantisch verklärten Situationen besonders nah an seiner eigenen Lebenswirklichkeit fühlt, obwohl seine wirkliche Praxis eine ganz andere ist? Ist Emanuel in diesem Punkt nicht schlichtweg – unauthentisch? (Weiterlesen)

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Fake Quotes on Fake Beards


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Ralph Waldo Emerson followed the rules for respectable gentlemen of the first half of the 19th century and only wore decent sideburns.

One of the most delicate and subtile questions of the philosophy of beards – an underestimated area on which I am currently undertaking a larger project – is the matter of the fake beard. When the fake beard comes into consideration the trouble begins: ordinary men can become philosophers, boys can be men, weaklings can be heroes … and even women can become men! How can one still maintain that the beard is somehow an authentic expression of one’s inner self if the mere possibility of a fake beard comes into play? Does this possibility not imply that every beard is in fact a mere mask, a fake beard?

This and other crucial questions of beardedness I will discuss in some upcoming texts – and are discussed in passages of nearly all important figures of modern thought such as Nietzsche, Adorno, and Sartre.

One great passage on the matter of fake beards I had hoped to have found in the work of the famous American essayist Ralph Waldo Emerson (who is, by the way, an often understated source of inspiration for Nietzsche!). It is quoted endlessly all over the internet and goes like this:

When a resolute young fellow steps up to the great bully, the world, and takes him boldly by the beard, he is often surprised to find it comes off in his hand, and that it was only tied on to scare away the timid adventurers.

I do not think that this quote needs much commentary. It is not just an excellent example for the philosophical reflexion on the problem of the fake beard but contains a deep wisdom about life in a concentrated and well-construed form. Just how a sublime aphorism should be written. I also love it because of its particular use of the word „bully“ which wasn’t known to me before.

Ironically, however, after some tormenting research for its precise source (I wanted to look up in its context of course and cite it correctly) and with the kind support of some colleagues who responded to a cry for help which I posted on an anglophone philosophers‘ mailing list1)Namely Björn, Ridvan Askin, Lawrence, Pete Morriss, and Aditi Chaturvedi, whom I want to thank both wholeheartedly and wholebeardedly! it turned out to be a fake quote. It is not by Emerson but by a much less known author called Oliver Wendell Holmes2)1809-1894, a Boston-based physician and writer, not to be confused with his son, a well-known judge and jurist, who lived from 1841 to 1935., from the second chapter of his novel Elsie Venner. Since I want to write about the philosophical and not the literary discourse on the beard this renders this awesome quote unfortunately almost completely worthless for my purpose. Not that I care too much about the distinction between philosophy and literature – one should not blur them but I think it is not possible to draw their borderline precisely; moreover, I would not hesitate to quote from novels by Sartre and poems by Nietzsche in a philosophical article (exactly because these texts often contain more interesting philosophical insights than their philosophical works in a narrow sense do) – but somewhere a – albeit arbitrary – borderline simply has to be drawn and I already have other great quotes which deal with the issue at stake.

Also Oliver Wendell Holmes was a „sideburner“ – at least in his old age.

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1 Namely Björn, Ridvan Askin, Lawrence, Pete Morriss, and Aditi Chaturvedi, whom I want to thank both wholeheartedly and wholebeardedly!
2 1809-1894, a Boston-based physician and writer, not to be confused with his son, a well-known judge and jurist, who lived from 1841 to 1935.

Erwachsenwerden mit Erich Fromm


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Zum Gefühl der Ohnmacht“ ist ein kleiner Aufsatz von Erich Fromm, der 1937 in der „Zeitschrift für Sozialforschung“ erschien. Fromm legt darin dar, wie das Gefühl der Ohnmacht dazu geführt hat, dass statt einer sozialistischen Revolution die faschistischen Kräfte in Europa die Oberhand gewinnen konnten. Er ist online leicht zu finden und liest sich an vielen Stellen so, als würde er von der „Berliner Republik“ handeln. Ich versuche im folgenden kurz mit Hilfe dieses Aufsatzes zu erklären, weshalb ich das Gefühl der Ohnmacht gegenüber größeren Strukturen, sei es dem Kapitalismus, religiös-kultureller Einheiten wie „christliches Abendland“ oder „islamisches Morgenland“ oder dem Staat, für zerstörerisch, dagegen eine emanzipatorische Politik, die sich auf das Individuum bezieht, für notwendig und fortschrittlich halte.

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The Difficult Art of Remembering Forgotten Philosophers. A Report on a Conference in Milwaukee


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Under the title “Forgotten Philosophers – and Why We Should Remember Them” a group of graduate students of the Marquette University in Marquette, Milwaukee, organized a most interesting conference which took place from the 28th to the 29th of April 2017. To avoid that this conference will be forgotten all too quick – here is a little report.

Link to the conference’s webpage with the full schedule: https://forgottenphilosophers.wordpress.com/

The conference’s promising poster.

 

I. Why remembering at all?

Everyone familiar with the philosophy of history of philosophy might be skeptical about the value of a conference dedicated to forgotten figures of philosophy. While from a positivist, scientific point of view it might appear valuable for the sake of its own to remember as many facts as possible and oblivion an evil in itself, philosophers tend to highlight the necessity or even the value of forgetting certain aspects of the world – and history in particular. From a Hegelian point of view, for example, all events are worth to forget that did not contribute to the progress of history. From a Marxist point of view, one might suspect that this perspective justifies writing history with the eyes of its winners – the ruling class. Thus, pointing to forgotten figures of history might be a subversive, even revolutionary task – only, insofar, however, these forgotten figures were forgotten because they represented a counter-ideology to the dominating one of their time from the point of view of the respective subordinated one. In On the Uses and Abuses of History for Life, Nietzsche made, from a meta-perspective, the case for an engaged view on history that should always be related to a future-oriented task – be it critical or be it affirmative towards the present. A point of view that was taken up later prominently by Heidegger in Being and Time.

The pressuring question seems to be if this strong tendency of modern philosophy should be disregarded as falsely objectivist (in the case of Hegel and Marx – because of a hidden subjectivism) or falsely subjectivist (in the case of Nietzsche and Heidegger) – and if we should finally forget these bold ideas of the past as over-ambitious and retreat to a modest version of democratic positivism. A retreat which implies, on one hand, the benefit that it suits everyone’s taste since everything is seen as being equally worth to remember; which serves, on the other hand, no one’s taste since everyone might be dissatisfied which a purely chaotic image of history that might not even be called history in the classical sense of the term any longer.

Granted, however, that there is definitely some sort of value in remembering forgotten figures of philosophy (which is hard to deny if one does not think of him- or herself possessing absolute knowledge already), more problems arise when one tries to organize such a conference: Who counts as a forgotten philosopher at all? (In a certain sense, even Kant, Plato, and Hegel might be “forgotten philosophers”.) Which forgotten philosophers are more worth being remembered than others? (Since due to obvious practical limitations not all can be remembered.) And does the notion of “forgotten philosophers” include figures which have never been even noticed? (Weiterlesen)


Die „Narthex“ sucht neue Redaktionsmitglieder


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Das Print-Organ der Halkyonischen Assoziation für radikale Philosophie, die Narthex, sucht Verstärkung für ihr gegenwärtig vierköpfiges Redaktionsteam. Bewerben können sich alle Interessierten bis zum 31. 10. 2018. Alle Informationen gibt es hier.

Wir freuen uns auf euch!


Hat die Sozialdemokratie eine Zukunft?


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Lizenz: DerHexer, Wikimedia Commons, CC-by-sa 4.0

Hat die Sozialdemokratie eine Zukunft?

Zu Sahra Wagenknechts jüngsten Büchern Reichtum ohne Gier (Campus Verlag, 2016) und Couragiert gegen den Strom (Westend Verlag, 2017)

 

Eine Populistin

Eines hat Sahra Wagenknecht jedenfalls geschafft: Sie hat sich zum Abstand die mit Abschnitt populärsten und medial präsentesten Gesicht der deutschen Linken gemausert. Es vergeht kaum eine Woche, in der sie nicht in Talkshows auftritt, Interviews gibt oder mit irgendeinem Statement in den Schlagzeilen ist. Und zwar nicht nur (oder vielleicht sogar: gerade nicht) in linksradikalen Nischenzeitungen, sondern in den bürgerlichen Mainstream-Medien. Ihre Facebook-Seite hat etwa 427.000 Likes, nur Gregor Gysi hat mit etwa 481.000 mehr. Zum Vergleich: Ihre parteiinterne Rivalin Katja Kipping kommt auf gerade einmal 70.000, ihr Mann Oskar Lafontaine auf 68.000, Martin Schulz auf 454.000, Andrea Nahles auf schlappe 17.000. Sogar die gesamte Linkspartei hat nur 253.000 „Gefällt mir“-Angaben. 1)Stand: 12. 4. 2018. Wie sehr ihre Popularität trotz aller Attacken gegen sie nicht schwindet, sondern wächst, zeigt, dass ihre Facebook-Seite Anfang Februar, als ich diesen Artikel schrieb, noch bei 416.000 Likes lag – während die Like-Zahl aller anderen Seiten weitgehend unverändert blieb. Und während Kipping sogar von weniger Leuten abonniert als ‚geliket‘ wird – was ein gewisses Desinteresse an dem impliziert, was sie so über ihre Seite teilt – hat Wagenknecht  über 431.000 Abonnenten. D. h., auch viele, die sie ganz dezidiert nicht ‚liken‘ wollen, folgen ihr trotzdem. Wer das erreicht, hats in der Facebook-Welt geschafft.

Wie jede derart prominente Person polarisiert sie freilich immer wieder. Es sind vor allem drei Themen, mit denen sie gerade in den eigenen Reihen, also innerhalb der Linkspartei im Speziellen, aber auch der linken Bewegung im Allgemeinen, auf Unmut stieß: Ihr angeblicher „Linksnationalismus“ (von manchen polemisch als „National-Sozialismus“ gelabelt), der etwa mit einer gemäßigten Haltung zur Flüchtlingsproblematik einhergeht und mit einer großen Skepsis gegenüber supranationalen Institutionen wie der EU; ihre generell ‚konservative‘ Einstellung in vielen Fragen (so hört man ihr wenig bis nichts zu feministischen oder erst recht ‚queeren‘ Themen) 2)Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet dieses Interview für das linksliberale Vice-Magazin, in dem es dezidiert um Feminismus geht.; und jüngst ihre Forderung nach einer „linken Sammlungsbewegung“ oder gar „neuen linken Volkspartei“.

Sahra Wagenknecht ist Populistin im besten Sinne des Wortes: Sie versteht es, dem Volk aufs Maul zu schauen und ihre Botschaften in zugespitzter Form auf den Punkt zu bringen. Gleichzeitig muss man anerkennen, dass sie auch keine Stammtischpolterin ist. Ihr spezieller Charme scheint vielmehr darin zu liegen, dass sie selbst noch relativ simple, eingängige Botschaften wie „Steuern für Reiche rauf“ oder „Steueroasen schließen“ mit großer intellektueller Sicherheit und einem ausgeprägten Differenzvermögen zu begründen vermag, ohne sie darum zu verwässern. Sie ist schließlich nicht nur Autorin reißerischer Facebook-Posts, sondern auch zahlreicher Sachbücher und einer volkswirtschaftlichen Dissertationsschrift, schmückt sich immer wieder mit ihren Marx- und Hegel-Kenntnissen und ihrem bildungsbürgerlichen Hintergrund.

Die kontroverse Debatte um ihre Positionen – und insbesondere ihr Projekt einer neuen linken Partei – sind Grund genug, nicht nur über ihre mal mehr mal weniger durchdachten Pressestatements zu diskutieren (dass ihre berüchtigte „Gastrecht“-Äußerung etwa einer genaueren intellektuellen Prüfung nicht standhält, dürfte sich schwerlich bestreiten lassen), sondern sich einmal genauer anzuschauen, auf welcher theoretischen Basis ihre tagespolitischen Äußerungen stehen. Ich habe mir also die Mühe gemacht, mir einmal ihre beiden jüngsten Bücher, Reichtum ohne Gier (eine theoretische Abhandlung) und Couragiert gegen den Strom (ein ausführliches Interview mit Florian Rötzer, im Anhang sind einige Reden von ihr abgedruckt), anzusehen und sie vor dem Hintergrund der drei genannten Themenkomplexe kritisch zu prüfen. Meine Kernfrage: Vermag es Wagenknecht – wie sie beansprucht – eine linke Perspektive für die Zukunft aufzuzeigen, die über eine bloße Problemdiagnose hinausgeht? Oder verwickelt auch sie sich in den üblichen Dilemmata linker Realpolitik? Ist ihre Kapitalismuskritik verkürzt? Oder schafft sie es, die Kurve irgendwie zu kratzen und ein glaubwürdiges sozialdemokratisches Projekt für das 21. Jahrhundert zu skizzieren?

Ich kann mich dabei unmöglich auf alle interessanten und bedenkenswerten Überlegungen einlassen, die Wagenknecht in ihren Büchern darlegt. Stattdessen werde ich mich auf zwei Problemknoten konzentrieren, die an ihren Ansichten besonders stark umstritten sind – und die auch tatsächlich im Zentrum ihres Programms stehen: Ihr (tatsächlicher oder vermeintlicher) „Nationalismus“ und ihr Eintreten für eine Marktwirtschaft ohne Kapitalismus.

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1 Stand: 12. 4. 2018. Wie sehr ihre Popularität trotz aller Attacken gegen sie nicht schwindet, sondern wächst, zeigt, dass ihre Facebook-Seite Anfang Februar, als ich diesen Artikel schrieb, noch bei 416.000 Likes lag – während die Like-Zahl aller anderen Seiten weitgehend unverändert blieb. Und während Kipping sogar von weniger Leuten abonniert als ‚geliket‘ wird – was ein gewisses Desinteresse an dem impliziert, was sie so über ihre Seite teilt – hat Wagenknecht  über 431.000 Abonnenten. D. h., auch viele, die sie ganz dezidiert nicht ‚liken‘ wollen, folgen ihr trotzdem. Wer das erreicht, hats in der Facebook-Welt geschafft.
2 Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet dieses Interview für das linksliberale Vice-Magazin, in dem es dezidiert um Feminismus geht.

Unterstützt die Narthex 4!


von

Liebe Leserinnen und Leser dieses Blogs,

die „Halkyonische Assoziation für radikale Philosophie“ betreibt nicht nur einen tollen Weblog, sondern gibt auch seit 2015 eine jährlich erscheinende Philosophiezeitschrift mit dem Titel Narthex. Heft für radikales Denken heraus. Die diesjährige Ausgabe soll sich, seinem 200. Jahrestag entsprechend, mit dem bedeutenden Philosophen, Ökonomen und politischen Theoretiker Karl Marx auseinandersetzen.

Der Inhalt und das Layout stehen schon in weiten Teilen – es fehlt uns jetzt nur noch am schnöden Mammon, um in den Druck gehen zu können. Wir benötigen mindestens 1.500 €.

Um dieses Geld akquirieren zu können, haben wir bei „Startnext“ eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Unterstützt uns dort – und teilt am besten auch den Link: https://www.startnext.com/narthex-4-marx

Ihr ermöglicht damit nicht nur das Erscheinen eines hochwertigen Beitrags zur Diskussion um die Aktualität von Marx‘ Theorien, sondern auch die weitere Arbeit an unserem großartigen Philosophieheft.

 

PS: Weitere Informationen zum Heft und einige Ausgaben und Auszüge zum Download findet Ihr auch hier.


Rezension zu Andrew Culp: „Dark Deleuze“


von

Mit ein wenig Verspätung folgt hier die schon länger angekündigte Vollversion meiner Rezension von Dark Deleuze, das im März 2017 im Laika-Verlag Hamburg erschien (übersetzt von Achim Szepanski, mit einem Nachwort von Jose Rosales) von Andrew Culp für den Widerspruch 64.

Unser Kommunismus verlangt, dass wir unter dem Deckmantel des Geheimnisses die Konspiration intensiv vorantreiben, da es nichts Aktiveres als den Tod der Welt gibt. Unser Hass treibt uns an. Gleich einem „Abenteuer, das in den sesshaften Gruppen durch den Ruf des Außen ausbricht“, ist es unser Sinn, der sagt, dass die Welt unerträglich ist und uns dazu zwingt, unsere eigenen barbarischen Belagerungsmaschinen herzustellen, um das neue Metropolis, welches den Platz des Urteils einnimmt wie ein Himmel auf Erden, anzugreifen[.] (S. 72)

Wie man solche Sätze von großer ästhetischer Suggestionskraft und sprachlicher Finesse produziert, hat der amerikanische Medienwissenschaftler und Deleuze-Forscher Andrew Culp zweifellos von seinen philosophischen Bezugsgrößen abgelernt. Seine im Original 2016 bei University of Minnesota Press, Minneapolis, unter demselben Titel erschienene Studie ist nicht nur über, sondern auch mit Deleuze und Guattari geschrieben. Doch was bedeutet diese philosophische Apologie des Hasses, des „Todes der Welt“ und des Barbarentums genau?

Als exzellenter Kenner der Werke von Deleuze und Guattari kann Culp ohne Zweifel gelten. Er zitiert quer durch den gesamten Corpus ihrer mittlerweile zu Klassikern des Poststrukturalismus avancierten Texte selbst entlegenste Stellen mit folgendem programmatischen Ziel:

Es ist meine ultimative Absicht, die Leser davon zu überzeugen, all die freudvollen Wege für die dunklen Alternativen zu verlassen. Das beste Szenario wäre, dass diese Unterschiede in der Irrelevanz verschwänden, nachdem Dark Deleuze sein vorgebliches Ziel erreicht hat: Das Ende dieser Welt, die finale Niederlage des Staates und der volle Kommunismus. (S. 26)

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